Ausgeprägt origineller Stil auf hohem Niveau

Manfred Wieninger: Der dreizehnte Mann

Manfred Wieninger zeigt in bester Tradition von Chandler und Hammett (aber eben auf die österreichische Art des Manfred Wieninger!) den Kampf des nicht anerkannten Einzelgängers gegen ein versumpftes Establishment. Von THEO BREUER

Der 13. MannBertolt Brecht gehörte zu den lesebesessenen Schriftstellern, die einem Kriminalroman nie aus dem Weg gehen konnten. Mir geht es genauso: Dabei liegen meine Vorlieben in erster Linie im anglo-amerikanischen Bereich – wohl auch deshalb, weil die Qualität der Kriminalromane hierzulande kaum an die der dortigen Kollegen heranreicht…

Nun habe ich allerdings den ersten Roman des 1963 geborenen Österreichers Manfred Wieninger gelesen, und es fehlen mir gleich die passenden Worte, meine außerordentlich positiven Eindrücke einigermaßen festzuhalten…

Wer hat sich in den letzten Jahren nicht alles versucht an einem Genre, das seit einiger Zeit ein derartiges Leserinteresse weckt, dass die Verlage kaum mit neuem Stoff nachkommen. Aus meiner Sicht wird da allerdings mehr Schrott als sonst etwas produziert, der sich geschickt durch Reihennamen wie Kölnkrimi, Eifelkrimi usw. tarnt. – Es ist nämlich keineswegs damit getan, sich für irgendeine Gegend irgendeinen Mord auszudenken und diesen in irgendeine (möglichst verzwickte) Handlung einzubinden, wie es allzu oft geschieht. Ich denke, gerade der Kriminalroman bietet eine erstklassige Möglichkeit (die von manchem Kritiker, der den Krimi von vornherein als nichtliterarisch abtut, möglicherweise stark unterschätzt wird), Individualität, Lokalkolorit und Zeitgeist auf spannende Art und Weise vorzustellen und das Typische der Menschen und Lebensweisen einer Stadt, einer Region, einer Schicht, einer Randgruppe mit ihren individuellen, psychologischen, soziologischen Eigenarten en in einem bestimmten Jahrzehnt sichtbar zu machen. (Die Krimis um den in Stockholm agierenden Kommissar Beck des schwedischen Autorenteams Sjöwall/Wahlöö sind hierfür ein ausgezeichnetes Beispiel – sicherlich auch die Kriminalromane des Belgiers Georges Simenon.) Wo diese conditio sine qua non ignoriert bzw. nicht stimmig verwirklicht wird, wo einfach drauf los gesponnen wird, kann letztlich nur Krampf herauskommen, der die Leser an der Nase herumführt, ja, regelrecht zum bloßen Käufer degradiert, der liest, was auf einer Liste steht. Dass Verlage eine Verantwortung zu übernehmen haben für die Entwicklung eines guten literarischen Geschmacks (auch und gerade im eher unterhaltenden Bereich), scheint bei vielen zuständigen Verlagsleitern bzw. Lektoren in Vegessenheit geraten zu sein.

Manfred Wieninger hat für mich einen der besten deutschsprachigen Kriminalromane der letzten Jahre geschrieben: Nachdem ich das Buch in einem Zug durchgelesen hatte (und ich konnte gar nicht anders, der Sog der 189seitigen, in 45 kurze Kapitel gegliederten Erzählung ist so enorm, dass ich mich bis zum Ende an das Buch gefesselt fühlte), hätte ich am liebsten gleich den zweiten Wieninger gelesen (der zwischenzeitlich wohl bereits geschrieben, aber natürlich noch nicht publiziert ist).

Der Titel Der dreizehnte Mann weist bereits darauf hin, an welchem Ort die Geschichte spielt: in Wien, wo einst auch Graham Greenes Der dritte Mann angesiedelt war… Wieninger gelingt mit der Person des Privatdetektivs Marek Miert endlich einmal wieder ein wirklich glaubwürdiger Typ Mensch, dem ich seine ganze chaotisch-zielgerichtete Arbeits- und Lebensweise ohne weiteres abnehme.

Das Buch, das auf einem hohen literarischen Niveau geschrieben ist und einen ausgeprägt originellen Stil hat (hier erweist der Lyriker Wieninger dem Romancier manch wertvollen Dienst), zeigt in bester Tradition von Chandler und Hammett (aber eben auf die österreichische Art des Manfred Wieninger!) den Kampf des nicht anerkannten Einzelgängers gegen ein versumpftes Establishment, das aus den Desastern des 20. Jahrhundert nichts gelernt hat und vor allem nicht bereit ist, auf Machtansprüche zu verzichten, die für die ganze marode Situation verantwortlich sind.

Mit dem ehemaligen Polizisten und (natürlich!) unter ständiger Geldnot leidenden Schnüffler Marek Miert, erleben wir eine Wiener Kriminalgeschichte mit politischen, polizeilichen und gesellschaftlichen Seilschaften, miefigem Milieu, asozialen Außenseitern, radikalen Randfiguren, einmal schnodderig, dann wieder elegisch, einmal humorvoll, dann radikal und insgesamt als Beispiel unseres absurden Daseins, das mit solch seltsam verwickelten Geschichten auf ironische Weise deutlich gemacht wird. Aufbau und Struktur, Sprache und Stil, Charaktere und Handlung (alles funktional im Hinblick auf die Durchschlagskraft und Nachvollziehbarkeit der Story bearbeitet – ohne dümmliche Sperenzchen oder künstlichen Firlefanz, sondern literarisch und psychologisch fundiert) machen diesen Roman zu einem Thriller, der Lust auf mehr macht: Ich warte bereits gespannt auf den zweiten Roman mit Marek Miert.

| THEO BREUER

Titelangaben
Manfred Wieninger: Der dreizehnte Mann
München: Europa Verlag 1999
187 Seiten

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Unter dem Regenbogen

Nächster Artikel

Storys, die Narben hinterlassen

Weitere Artikel der Kategorie »Roman«

Warten auf das Ende – Buchmesse-Schwerpunkt Spanien

Roman | Antonio Munoz Molina: Tage ohne Cecilia

Antonio Munoz Molina gehört zu den herausragenden zeitgenössischen spanischen Schriftstellern. Der 66-jährige Autor wird am 18. Oktober als Ehrengast Redner bei der Eröffnung der Frankfurter Buchmesse sein. Munoz Molina hat viele Jahre das Cervantes-Institut in New York geleitet und ist mit den meisten wichtigen Literaturpreisen Spaniens ausgezeichnet worden – bereits 1991 mit dem Premio planeta (den wichtigsten spanischen Literaturpreis) für den Roman Der polnische Reiter. Von PETER MOHR

Dresden nach dem großen Krieg

Krimi | Frank Goldammer: Roter Rabe In den letzten Kriegsmonaten setzt die Reihe historischer Kriminalromane ein, mit denen sich der Dresdener Autor Frank Goldammer (Jahrgang 1975) seit ein paar Jahren eine große Lesergemeinde geschaffen hat. Max Heller heißt sein Protagonist und die einzelnen Romane verbinden geschickt spannende Kriminalfälle mit deutsch-deutscher Zeitgeschichte nach dem Zweiten Weltkrieg. Von DIETMAR JACOBSEN

Entführt für einen großen Plan

Roman | Robert Wilson: Die Stunde der Entführer Zum dritten Mal lässt Robert Wilson seinen »Kidnapping Consultant« Charles Boxer aktiv werden. Diesmal werden innerhalb von 24 Stunden gleich 6 Milliardärskinder in London entführt. Über ihre Forderungen schweigen sich die Täter erst einmal aus. Lediglich eine Aufwandsentschädigung von insgesamt 150 Millionen Pfund – je 25 Millionen von jedem der Superreichen aus aller Welt – soll zu einem bestimmten Termin bereitstehen. Damit die Opfer freilich zu ihren Familien zurückkehren können, verlangt man kein Geld, sondern Signale für ein globales Umdenken. DIETMAR JACOBSEN hat Wilsons Die Stunde der Entführer gelesen.

Spaniens Unglück

Roman | Almudena Grandes: Inés und die Freude Almudena Grandes ist eine der wichtigsten Stimmen der spanischen Gegenwartsliteratur. Seit einigen Jahren arbeitet sich die 54-jährige Autorin in ihren Romanen aus alternierenden Perspektiven an ihrem großen Lebensthema ab: dem Spanischen Bürgerkrieg mit all seinen blutigen Facetten. Ihr ebenso ambitioniertes wie gewagtes Projekt ist ein sechsbändiges Opus Magnum über dieses dunkle Kapitel der spanischen Geschichte. Zuletzt hatte sie einen neunjährigen Jungen namens Nino ins Zentrum ihres Romans ›Der Feind meines Vaters‹ (dt. 2013) gerückt. Jetzt ist ihr neuer Roman ›Inés und die Freude‹ bei Hanser erschienen. Von PETER MOHR

Das Ende vom Anfang

Roman | Tom Cooper: Das zerstörte Leben des Wes Trench Tom Coopers Debütroman ›Das zerstörte Leben des Wes Trench‹ ist ein aggressiv männlicher Aufschrei aus einer geplagten Region. Bis zuletzt spannend beleuchtet er das hoffnungslose Leben in den Sümpfen Louisianas nach dem Wirbelsturm Katrina und einer Ölpest. Dabei vermischen sich Klischees von Coming-of-Age-Romanen, klassischen Abenteuergeschichten und filmische Eindrücke aus zeitgenössischen Thrillern. VIOLA STOCKER versuchte, nicht zu versumpfen.