Nach dem Katalog der Basler Ausstellung Max Beckmann. Die Landschaften hat sich SEBASTIAN KARNATZ nun den Katalog der Leipziger Ausstellung Max Beckmann. Von Angesicht zu Angesicht vorgenommen.
Schon allein die schiere Masse weiß zu beeindrucken: 400 Seiten ist der Katalog der Leipziger Beckmann-Schau dick, 417 Abbildungen zeigt er, davon 208 farbig. Doch nach der Lektüre ist es nicht so sehr die Quantität, die beim geneigten Leser hängen bleibt, sondern die Qualität des Katalogs. Dem von Susanne Petri und Hans-Werner Schmidt herausgegebenen Band gelingt ein seltenes Kunststück – er ist ein unterhaltsamer und informativer Ausstellungskatalog, der über die ephemere Erscheinung der Wechselausstellung hinaus Bestand haben wird. Um es also vorwegzunehmen: Im Gegensatz zum grundsoliden Basler Katalog bildet ›Von Angesicht zu Angesicht‹ nichts weniger als eine kleine wissenschaftliche Sensation, die allerdings auch für Interessierte aller Couleur nachvollziehbar bleibt.
Person und Rolle
Dabei beginnt der Katalog durchaus gediegen, um nicht zu sagen altmeisterlich. Uwe M. Schneede, dem wir die jüngste große Beckmann-Einführung verdanken, referiert klug über Bildnisse in der Moderne. Bedeutungen, Funktionen. In guter alter kunsthistorischer Tradition macht er den geistesgeschichtlichen Hintergrund der Beckmannschen Portraitkunst deutlich. Dabei spannt Schneede den Bogen von den Pionieren der Moderne, den französischen Impressionisten, bis zu Edgar Degas, Edward Munch und Pablo Picasso, den Beckmann selbst zeit seines Lebens als seinen großen Antagonisten ansah. In dieser von vielen – aber beileibe nicht allen – Konventionen befreiten Traditionslinie verortet Schneede auch Max Beckmanns Portraits.
Schneedes wichtigste – und zweifellos richtige – Erkenntnis beschließt den Essay und gibt den Weg für die folgenden Ausführungen frei: »Er benutzte die Figuren (i.e. Freunde, Familie etc.), die er genau kannte und daher besser verstand als andere, um die Überzeugungskraft seiner Bildwelt zu stärken.« Beckmann portraitiert also in seinen »erzählenden« Arbeiten Freunde und Bekannte nicht um sie als »Person« in seiner Bildwelt festzuhalten, sondern in diesem Fall ausschließlich aufgrund seiner hervorragenden Kenntnis ihrer Physiognomien und Affekte. Das heißt im Umkehrschluss aber auch, dass Beckmanns Bildwelt, dort wo sie Personen aus seinem direkten Umfeld in einen wie auch immer gearteten Erzählzusammenhang stellt, nicht den Regeln eines klassischen »Portraits« folgt. Die Dargestellten sind – beispielsweise in den Triptychen – nicht das in die Kunst übersetzte Abbild ihrer selbst, sondern sie stehen für einen anderen, übergeordneten Zusammenhang. Sie sind gleichsam als Schauspieler maskiert und verleihen der Beckmannschen Bildwelt gleichsam personale Authentizität.
Beckmann und der niederländische Widerstand
Hiermit wäre für den semantischen Zusammenhang der so genannten mythologischen Gemälde Max Beckmanns eigentlich alles gesagt. Dass dies aber nicht zwingend der Fall ist, beweisen paradoxerweise die folgenden Artikel. Christian Fuhrmeister und Susanne Kienlechner haben in akribischer Kleinarbeit die im und nach dem Amsterdamer Exil entstandenen Triptychen durchforstet und sind dabei auf auffallende Analogien zwischen den dargestellten Personen und gewichtigen Protagonisten des niederländischen Kulturlebens bzw. des Widerstands gegen das Naziregime gestoßen. Sie bieten in einem furiosen Artikel unzählige neue Zuordnungen, von denen etliche restlos überzeugen, andere auf mutige Art und Weise Widerspruch provozieren.
Doch auch die diversen Einsprüche, die man im Einzelnen erheben könnte, ändern nichts an der Tatsache, dass den beiden Autoren hier tatsächlich ein großer Wurf gelungen ist: Sie zeigen, dass Beckmann sehr wohl Kontakte mit dem zeitgenössischen Amsterdamer Widerstand pflegte, dass er diesen sogar maßgeblich in sein komplexes Bildprogramm zu integrieren suchte.
Macht dies Beckmann zu einem politischen Künstler? Sicherlich nicht. Denn so sehr sich die Autoren auch mühen, zu einer konzisen Deutung im Geflecht polyvalenter Sinnzuordnungen kommen sie nicht. Dies hängt mit Beckmanns komplexer Bildrhetorik zusammen, die Zusammenhänge verunklärt, semantische Strukturen korrumpiert und so – einer hochkomplexen Bildlogik folgend – aus den klaren Zuordnungen der Agit-Prop-Kunst ausschert. Das widerständige Element versteckt sich in der Ästhetik dieser Kunst, nicht in der Bildsemantik, die jede Eindeutigkeit kategorisch ablehnt.
So sind Deutungen gerade dort möglich, wo sie sich primär auf ästhetische Zusammenhänge berufen: Wie Kienlechner und Fuhrmeister Beckmanns Triptychon Blindekuh auf Picassos Guernica beziehen und so einen interpikturalen Paragone zwischen dem deutschen und dem spanischen Meister erkennen, ist schlüssig und klug beobachtet.
Naturgemäß müssen die weiteren Beiträge des Bandes im Vergleich zu der mutigen und innovativen Arbeit des Autorenduos Fuhrmeister/Kienlechner etwas abfallen. Nichtsdestotrotz bilden die Aufsätze der beiden ausgewiesenen Beckmann-Experten Olaf Peters und Barbara C. Buenger gewohnt geistreiche Kost.
Was allerdings der uninspirierte und den Rahmen der Thematik sprengende Aufsatz Mario-Andreas von Lüttichaus in diesem Katalog zu suchen hat, bleibt ein Rätsel. Von Lüttichau referiert über Thomas Mann und Max Beckmann, ohne auch nur die geringste Notiz von der neuesten und älteren Literatur, die dieses Thema berührt, zu nehmen. So bleiben sowohl Claudia Kempfers Arbeit über Max Beckmann und Gottfried Benn – ein durchaus ähnliches Thema – als auch die eigenen (sic!) Dramen Beckmanns, die auf der literarischen Ebene Vergleichbarkeit garantiert hätten, unerwähnt. Stattdessen lesen wir von Manns »Zu-sich-Nehmen heißer Schokolade« und der Angewohnheit Beckmanns »sich einen Drink zu gönnen«. Wenn das Diktum »Und beide rauchten, auch während der Arbeit« der Höhepunkt des heuristischen Strebens des Autors ist, dann dürfen an der Sinnhaftigkeit dieses Beitrags durchaus leise Zweifel angemeldet werden.
Eine Fundgrube für künftige Forschungen
Dieser einzelne Beitrag kann jedoch den grundsätzlich positiven Eindruck des Katalogs nicht trüben. Neben den Aufsätzen finden sich knappe Katalogeinträge zu den meisten ausgestellten Gemälden, persönliche Notizen einiger der stolzen Portraitierten – u.a von Heinrich Georges Sohn Jan George – und ein ausführliches kommentiertes Personenverzeichnis, das Felix Billeter und Christiane Zeiller in vorbildlicher Manier zusammengestellt haben. Diese – zusammen mit dem Register des Amsterdamer Widerstands von Kienlechner und Fuhrmeister – über 100 Seiten sind das eigentliche Prunkstück des Katalogs, das als unerlässliche Quelle für spätere prosopographische Beckmann-Forschungen weit über die Dauer der Ausstellung hinaus Bestand haben wird. So lohnt schon allein der Anhang des Katalogs seine Anschaffung.
Titelangaben
S. Petri / H.-W. Schmidt (Hrsg.): Max Beckmann. Von Angesicht zu Angesicht
Berlin: Hatje Cantz 2011
400 Seiten, 417 Abb., davon 208 farbig 49,80 Euro.
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