Soviel Beckmann gab es noch nie! Diesem Diktum kann man nicht nur, man muss ihm gar zustimmen. SEBASTIAN KARNATZ nimmt – zumindest lesend – die Reise von Basel über Frankfurt nach Leipzig auf sich.
Wer sich dieser Tage mit ICE auf die knapp über sechs Stunden dauernde Reise von Leipzig nach Basel begibt, kann nicht nur städtebaulich, sondern auch kulturell eine gewichtige Entdeckung machen. Im Leipziger Museum der Bildenden Künste erwartet den kunstbeflissenen Zugreisenden die Ausstellung Von Angesicht zu Angesicht, im Frankfurter Städel findet er Beckmann & Amerika, im Basler Kunstmuseum schließlich kann er Die Landschaften begutachten. All diesen drei Ausstellungen ist der thematisierte Künstler gemeinsam: Max Beckmann (1884-1950). Der geneigte Ausstellungsbesucher kann in diesem Fall wohl gar nicht anders, als in das hochgetunte Marktgeschrei der musealen Öffentlichkeitsarbeitsabteilungen – welch ein Wortungetüm! – einzustimmen: Mehr Beckmann war nie zu sehen! Bei Licht betrachtet ergibt sich folgendes Fazit: Mehr Beckmann war tatsächlich in Deutschland nie zu sehen!
Dies muss Anlass genug sein, um das Beckmann-Jahr 2011 – das im Übrigen ohne auch nur das entfernteste Jubiläum ausgerufen wurde – auch im TITEL-Magazin gebührend zu feiern. In den kommenden drei Wochen werden wir jeweils Donnerstag das vorstellen, was auch jenen, denen die ICE Route Leipzig-Frankfurt-Basel etwas stressig erscheint, sicher bleiben wird – drei Ausstellungskataloge mit verschiedenen Schwerpunkten, divergierender Ausstattung, Druck- und Aufsatzqualität. Den Anfang macht heute die Basler Ausstellung, die mit dem schlichten Titel Max Beckmann. Die Landschaften zumindest auf der Ebene der bereits erwähnten Marketingabteilungen unter den drei Schauen sicherlich die Unspektakulärste sein dürfte.
Der deutsche Maler Beckmann
Bei genauerer Betrachtung ist jenes Verdikt allerdings unhaltbar. Die Basler Ausstellung widmet sich einem großen Werkblock im schon rein quantitativ gewaltigen Werk Max Beckmanns. Dass die Landschaften im visuellen Gedächtnis der meisten Besucher eher weniger präsent sein dürften, liegt mitnichten an der Qualität der Werke als vielmehr an der seltsamen Rezeptionsgeschichte des Beckmannschen Œuvres.
Schon in den ersten zeitgenössischen Kritiken findet sich auffallend häufig der Topos des spezifisch »deutschen« Malers Max Beckmann. Beckmann selbst hat dieses Verdikt mit ironisch gebrochenem Großmannsgestus und der steten mündlichen wie bildlichen Bezugnahme auf »altdeutsche« Vorbilder geschickt zu schüren gewusst. Seinen finalen Triumph, die Einrichtung eines Beckmann-Saales in der Berliner Nationalgalerie 1933, konnte er allerdings nicht allzu lange genießen: Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten war Beckmanns Werk vom »urdeutschen« zum »entarteten« geworden. Dies ist zugleich Wohl und Übel jeglicher späteren Beckmann-Rezeption bis in die jüngste Gegenwart.
Beckmanns Malerei hatte – trotz des deutlichen Bannurteils – auch unter dezidiert linientreuen Protagonisten des Dritten Reiches durchaus seine Fürsprecher. Lilly von Schnitzler, die Gattin des später als Kriegsverbrecher verurteilten Hauptsturmführers Georg von Schnitzler, sammelte ebenso weiterhin die Werke des Malers wie Erhard Göpel, der sich in beruhigteren Zeiten mit dem Katalog der Beckmannschen Gemälde große Forschungsverdienste erworben hat, in bewegteren Zeiten allerdings Kunst für das in Linz angedachte Führer-Museum »sammelte«.
Diese seltsame Mittlerstellung zwischen nationalkonservativer Verehrung und tatsächlich vollkommen unverdächtiger Biographie hat die Beschäftigung mit dem Werk Max Beckmann bis in die 80er Jahre hinein zu einem wissenschaftlichen und musealen Minenfeld gemacht. Der mythisch-hermetische Beckmann der Triptychen galt als der große Traditionalist unter den Modernen – ein gegenständlicher Maler unter den Wilden des gegenstandszersetzenden Expressionismus.
Die unsichtbare Landschaft
Wie sehr diese Dichotomie am tatsächlichen Werk des Malers vorbeigeht, haben jüngere kunsthistorische Forschungsbeiträge immer wieder gesondert herausgestellt. Sehend kann der Ausstellungsbesucher und Katalogleser dies bei der Betrachtung des Beckmannschen Landschaftmalereiœuvres nachvollziehen. Beckmanns augenscheinlich gegenständliche Wiedergabe der äußerlich sichtbaren Landschaft ist immer auch eine Auseinandersetzung mit seiner eigenen inneren Landschaft. Es sind im besten Sinne des Wortes autobiographische Landschaften, die nicht nur malerische Auskunft über das Sichtbare, sondern auch über das Unsichtbare geben. In diesem Sinne wohnt den Landschaften Max Beckmanns spätestens seit den späten 20er Jahren ein Zug zur Abstraktion, zur Abbreviatur inne, der zu wahren haptischen Farbexplosionen ebenso führt wie zu extremen Verzerrungen und Dekonstruktionen des Bildausschnitts.
Der – wie auch die zwei anderen Kataloge der diesjährigen Beckmann-Ausstellungen – bei Hatje Cantz erschiene Ausstellungskatalog gibt diese wunderbaren Gemälde in hervorragender Qualität wieder, sodass der Leser auch ohne den Ausstellungsbesuch ungehemmt in Beckmanns Farb- und Bildwelten eintauchen darf. Gruppiert nach den großen topographischen Zäsuren in Beckmanns Schaffen – von Berlin über Frankfurt mit einem kurzen weiteren Aufenthalt in Berlin ins Exil nach Amsterdam und zum letzten großen Neubeginn nach Amerika – bietet der Katalog eine schier erschlagende Vielfalt von qualitativ herausragenden Landschaftsmalereien.
Selbst für Kenner des Beckmannschen Werkes dürften sich hier so manche Überraschungen ergeben. Eine waghalsige Komposition wie das 1931 entstandene Gemälde Kirche in Marseille aus dem Bestand des Leopold-Hösch- und Papiermuseums Düren jedenfalls sollte Fachleute wie Laien gleichermaßen staunen lassen. Doppelbödig gebrochen erscheint die Ansicht der Kirche durch die per se religiös konnotierte Ansicht aus einem nahsichtigen Fensterkreuz. Große Flächen von Schwarz und Weiß machen das Gemälde zu einem nachgerade abstrakten Spiel mit Hell und Dunkel. Der auf der Fensterbank präsentierte Fisch wiederum verweist auf die verrätselten Bildwelten des großen Mystikers ebenso wie auf die ganz banale kulinarische Tradition einer Hafenstadt.
Schaulust und Kritik
Angesichts solcher visueller Entdeckungsreisen fällt es dem begeisterten Leser und Rezensenten schwer, den Katalog zu kritisieren. Allerdings gäbe es hier durchaus einiges anzumerken. Die kundigen Einleitungstexte Nina Peters und Maren Stotzs zu den jeweiligen biographischen Stationen Beckmanns hätte man sich auch für einzelne ausgewählte Bildwerke gewünscht, wenn schon aufgrund der Masse an ausgestellten Werken die Besprechung jeder einzelnen Katalognummer nicht möglich war.
Hans Beltings einleitender Essay Biografie und Landschaft untermauert ein weiteres Mal Beltings Ruf als Kenner des Beckmannschen Oeuvres. Sein 1984 erschienener Essay Max Beckmann. Die Tradition als Problem in der Kunst der Moderne hat der Forschung intellektuell herausfordernd zahlreiche Aufgaben und Fragen gestellt, die auch heute noch nicht vollständig abgearbeitet sind. Aus dem Umkreis dieser Überlegungen stammen auchh Beltings kluge Anmerkungen zum Beckmannschen
Eva Demskis literarische Entdeckungsreise ins Frankfurt des Malers Max Beckmanns –anhand seiner Darstellung des zum Park gestalteten Mainufers »Nizza« – liest sich überaus vergnüglich und erfrischend. Ihr mit einem gehörigen Schuss Lokalkolorit versehener Beitrag ist ohne Zweifel ein Gewinn für den Katalog.
Schön ist auch, dass der Band von den kompetenten Beiträgen Nina Peters, der ausgewiesenen Spezialistin für Beckmanns Landschaftsmalerei, und Beatrice von Bormanns, die sich intensiv mit Beckmanns Amsterdamer Exil auseinandergesetzt hat, abgerundet wird.
Schweizer Wertarbeit
Alles in allem bietet der Katalog jedoch relativ wenige neue Informationen. Den spezifischen Gestaltungsmodi der Landschaften, die sicherlich eine ausführlichere Betrachtung verdient hätten, geht lediglich der einleitende Essay Beltings nach, der allerdings in seiner Kürze viele Fragen ganz bewusst nur anreißt. Aufregende oder gar neue Wege in der Betrachtung eröffnet der Katalog jedenfalls nicht. Dies ist schade, lässt allerdings folgerichtig den Bildern viel Raum zur Entfaltung.
So unaufgeregt, wie der Titel der Ausstellung es suggeriert, ist also auch der Katalog der Basler Schau Max Beckmann. Die Landschaften geworden. Dies mag man einerseits als Leser bedauern, andererseits aber ist der Katalog so zu einer grundsoliden, wunderbar bebilderten Einführung in das umfangreiche Landschaftmalereiœuvre eines der größten deutschen Maler des 20. Jahrhunderts geworden. Vor so viel Schweizer Wertarbeit gilt es, den imaginären Hut zu ziehen.
Titelangaben
Bernhard Mendes Bürgi und Nina Peter. (Hrsg.): Max Beckmann. Die Landschaften
Ostfildern: Hatje Cantz Verlag 2011
236 Seiten, 147 Abb., davon 117 farbig, 49,80 Euro.