Unwahres Wahrsagen

Jugendbuch | Salah Naoura: Star

ANDREA WANNER hat Marko durch seine schwierige Zeit als Superstar begleitet.
a href=“https://titel-kulturmagazin.net/wp-content/uploads/bc2497dccae130063cf05d2565bbe84786c48e791.jpg“>star
Zunächst vorneweg: der12jährige Marko kann nicht hellsehen. Er weiß das, nur die Menschen um ihn herum glauben daran, dass er mit dieser übersinnlichen Gabe gesegnet ist. Begonnen hat es eigentlich ganz harmlos beim Geburtstag seiner Mutter (die erst ihren 30sten feierte und somit eine sehr junge und außerdem alleinerziehende Mutter ist) auf der Pferderennbahn, wo Marko ein Gespräch mitgehhört hat. Er bewegt daraufhin seine Mutter dazu, auf ein Außenseiterpferd zu setzen und gewinnt prompt. 6000 Euro wären für die beiden mit ihren ewigen Geldsorgen eine feine Sache. Aber dann ist da noch die Freundin der Mutter dabei, Toxy. Und Toxy ist ausgerechnet Journalistin und macht aus dem Wettsieg eine Story über Markos außerordentliche Begabung.

Das Schicksal nimmt seinen Lauf

Funktioniert es nicht so? Aus einer harmlosen Geschichte macht die Presse eine Sensation, ein ganz normaler Junge wird zum Superstar hochstilisiert und spielt mit. Zum einen, weil es durchaus seine Vorteile hat, als Star gefeiert zu werden und sich ein Leben leisten zu können, von dem man immer geträumt hat. Zum anderen, weil es unglaublich schwierig ist, aus so einer Nummer auszusteigen, weil ihm ja doch keiner glaubt, dass er nicht hellsehen kann und der Druck, der auf ihm lastet, immens ist. So kommt es, wie es kommen muss. Marko avanciert zum Fernsehstar in einer Talentshow für Kinder und Jugendliche. Zufälle kommen ihm zu Hilfe, er, der so wenig in die Zukunft blicken kann wie alle anderen, trifft mit seinen »Prophezeiungen« doch immer wieder ins Schwarze. Ein Star ist geboren, wird gefeiert und vermarktet.

Salah Naoura erzählt das ebenso augenzwinkernd wie einfühlsam. Man spürt Markos Hin- und Hergerissensein, seine Schwächen, die ihn das neue Leben auskosten lassen – auch auf Kosten anderer. Aber auch seine Zweifel. An sich, seinen Mitschülern und Freunden, an einer Gesellschaft, die ihn zu dem macht, was er nicht ist. Und nebenher träumt er seinen großen Traum weiter: Er möchte seinen Vater finden, der ihn und die Mutter verlassen hat, als Marko noch ein Baby war.

Aufstieg und Ausstieg

Wie würde man selbst mit so viel Macht, Ruhm und Ansehen umgehen? Wer würde nicht den Verlockungen erliegen, die ein Leben als Star mit sich bringt? Marko hat zum Glück einen guten Freund an seiner Seite, Greg. Greg wird auch sein Manager, verlässlicher und mehr um Marko besorgt, als der richtige Manager, der Marko unter Vertrag nimmt. Aber auch Greg ist nicht ohne Fehler und seine Motive, Gutes zu tun, werden nicht immer mit ganz legalen Mitteln umgesetzt. Und dann gibt es da noch eine Sache …

Das Drama spitzt sich zu. Lügen, Erpressung und enttäuschte Erwartungen ballen sich zu einer hochexplosiven Stimmungslage zusammen. Welcher Ausweg bleibt Marko? Er zieht die Notbremse.

Salah Naoura, der mit seinem Kinderroman Matti und Sami und die drei größten Fehler des Universums für den Deutschen Jugendliteraturpreis 2012 in der Kategorie Kinderbuch nominiert war und ihn für die Übersetzung von Der unvergessene Mantel von Frank Cottrell Boyce aus dem Englischen ins Deutsche erhalten hat, hat ein Gespür für Geschichten, die sich in der Balance zwischen Banalem und Unglaublichen bewegen, zwischen falschen Träumen und echten Zielen, zum Mitlachen, Mitleiden und Nachdenken. Und er schreibt sie auf Deutsch. Nach aller Kritik an den Preisträgern des Deutschen Kinder- und Jugendliteraturpreise wäre das ein würdiger Preisträger im kommenden Jahr, nicht nur fürs Übersetzen!

| ANDREA WANNER

Titelangaben
Salah Naoura: Star
Weinheim: Beltz 2013
208 Seiten, 12,95 €
Ab 11 Jahren

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

An Interview with Jonsson/Alter

Nächster Artikel

»Die Wahrheit ist ein Weib, aber ein Wasserweib«

Weitere Artikel der Kategorie »Jugendbuch«

Schwere Vergehen

Jugendbuch | Lea Dittrich: Die Dinge, über die wir schweigen Schmerzliches verschweigt man gern. Davon verschwindet es aber nicht. Im Gegenteil, es verwandelt sich leicht in eine Lüge. Eine Lüge zieht die nächste nach sich und bald andere Vergehen. Ob sich da noch etwas retten lässt? Lea Dittrich hat es versucht. Von MAGALI HEIẞLER

Weltenentdecker

Jugendbuch | D. Steinhöfel: P. B. Shelleys Die Wolke Fast zweihundert Jahre alt ist das Gedicht The Cloud – und im Unterschied zum Ursprungsland England hierzulande wenig bekannt. Als wichtiges Beispiel der Lyrik der Romantik umfasst es nicht allein Naturphänomene, sondern implizit auch die menschliche Existenz, in ihrer Großartigkeit wie ihren Schrecken. Von beidem hat sich Dirk Steinhöfel in seiner eigenwilligen Visualisierung von P.B. Shelleys Die Wolke anregen lassen und eine weitere neue Welt geschaffen. Sein Bruder Andreas Steinhöfel hat den Text ebenso eigen neu ins Deutsche übersetzt. Von MAGALI HEISSLER

Blinder Aktionismus – und die Folgen

Jugendbuch | Robin Stevenson: Der Sommer, in dem ich die Bienen rettete Betrachtet man die Welt, kann einer schon angst und bange werden. Boden, Meer, Wälder, Flüsse, Tiere und auch noch die Politik, alles scheint im Untergang begriffen. Dagegen muss etwas getan werden, jetzt und auf der Stelle! Die Folgen von blindem Aktionismus sind jedoch nie die, die man erwartet hat. Robin Stevenson zeigt schmerzhaft deutlich, wie und warum das so ist. Von MAGALI HEISSLER

Ein Lied vom Sterben und Lieben

Jugendbuch | Brynjulf Jung Tjønn: Mein Herz hämmert, dass es wehtut Liebe und Tod, klassische Themen der Literatur, sind die überhöhte Version von Erfahrungen, denen kein Mensch ausweichen kann. Nur sind sie im Alltag keine Abstrakta, sondern ein Geschehen, dem Menschen ausgeliefert sind. Sterben und lieben heißen sie dann und zeigen sich ungeschminkt schonungslos. Dass man auch daraus ein Lied machen kann, beweist Brynjulf Jung Tjønn in seinem Roman ›Mein Herz hämmert, dass es wehtut‹. Von MAGALI HEISSLER

Das Heft des Staunens

Jugendbuch | Tae Keller: Wie man Wunder wachsen lässt Wer hat schon den Nerv, die Welt wissenschaftlich zu betrachten, wenn alles Drunter und Drüber geht? Ein Laborbuch als Langzeitprojekt? Eine selbst entwickelte wissenschaftliche Fragestellung? Die elfjährige Natalie hat ganz andere Probleme. Von ANDREA WANNER