////

Eloquenz und Kalauer

Menschen | Zum 80. Geburtstag des kulturellen Tausendsassas Hellmuth Karasek

»Manchmal fürchtete ich schon, ich schreib mich in eine Depression hinein«, bekannte Hellmuth Karasek über die Arbeit an seinem 2006 erschienenen Band Süßer Vogel Jugend. Der kulturelle Tausendsassa mit der stark ausgeprägten Affinität zur Selbstironie sprüht aber immer noch vor Tatendrang und hat im letzten Frühjahr unter dem Titel Frauen sind auch nur Männer einen Sammelband mit 83 Glossen aus jüngerer Vergangenheit vorgelegt. Sogar prophetische Züge offenbart Karasek darin, sagte er doch den Niedergang der FDP schon zwei Jahre vor der letzten Bundestagswahl voraus. Von PETER MOHR

Hellmuth Karasek mit Peter Mohr im Anschluss an eine Lesung im Mai 2011 in der Wattenscheider St. Nikolaus-Kirche
Hellmuth Karasek mit Peter Mohr im Anschluss an eine Lesung im Mai 2011 in der Wattenscheider St. Nikolaus-Kirche

Hellmuth Karasek, Mann der ersten Stunde beim 2001 eingestellten »Literarischen Quartett« des ZDF und mehr als ein Jahrzehnt lang in dieser Rolle TV-Kronprinz der deutschen Literaturkritik, hat stets viel Mut bewiesen und oft genau das getan, wovor ihn viele wohlmeinende Kollegen gewarnt hatten: Der Theaterkritiker Karasek hat (unter dem Pseudonym Daniel Doppler) selbst Theaterstücke geschrieben, und der eloquente Literaturkritiker scheute sich auch nicht, zwei Romane (Das Magazin und Betrug) vorzulegen.

Karaseks Bühnenarbeiten Hitchcock, eine Komödie (1988 in Konstanz uraufgeführt) und Innere Sicherheit (1990 in Osnabrück) fielen bei den Kritikerkollegen gnadenlos durch, und sein mutiges, aber die elitären Theaterkreise provozierendes Bekenntnis »Ich habe Stücke geschrieben, weil ich im Theater auch mal wieder lachen wollte«) löste Verständnislosigkeit aus. So verwundert es kaum, dass der »Madame Bovary«-Liebhaber Karasek seine Romane auf Lesungen selbst in die Rubrik anspruchsvolle Unterhaltungsliteratur einordnet – ein Genre, dem im deutschen Literaturbetrieb immer noch ein Makel anhaftet.

Hellmuth Karasek, der heute* seinen 80. Geburtstag feiert, fand in den 1960er Jahren nach einem kurzen beruflichen Intermezzo als Chefdramaturg in Stuttgart den Weg zum Kulturjournalismus. Über die Etappen Stuttgarter Zeitung, Deutsche Zeitung und Die ZEIT kam er 1974 zum Spiegel, dessen Kulturressort er viele Jahre leitete. Über die bewegten und bewegenden zwei Jahrzehnte beim Hamburger Nachrichtenmagazin hat Karasek den Roman Das Magazin (1998) geschrieben. Kein Enthüllungsbuch, sondern ein anekdotenreicher Schmöker, in dem die Spiegel-Redaktion wie ein Jahrmarkt der Eitelkeiten vorgeführt wird.

Neben Literatur und Theater (er verfasste den umfangreichen Teil über das Nachkriegstheater in Kindlers Literaturgeschichte der Gegenwart) gehört Karaseks »Liebe« auch dem Film – vor allem den Werken Billy Wilders, dem er 1992 ein umfangreiches Buch widmete. Nach dem Ausscheiden beim Spiegel zeichnete er zunächst als Herausgeber des Berliner Tagesspiegel verantwortlich und wechselte dann 2004 als Autor zum Springer Verlag. Mit Kolumnen und Kritiken ist Karasek noch im journalistischen Tagesgeschäft präsent – zumeist für die Berliner Morgenpost und fürs Hamburger Abendblatt, wo seine Ehefrau Armgard Seegers seit vielen Jahren als Feuilleton-Redakteurin tätig ist.

Kunst und Unterhaltung sind für den gebürtigen Brünner – James-Bond-Fan und Berlinale Jury-Mitglied in einer Person – nicht zwangsläufig Gegensätze. Vielleicht ist Karasek auch deswegen ein so gern gesehener, unterhaltsamer Gast in diversen Talkshows. Neben Madame Bovary und Billy Wilder gab es in seinem umtriebigen Un-Ruhestand auch noch Platz für die Rolle des Paten in der 5 Millionen SKL-Show bei RTL.

Wer Hellmuth Karasek einmal live erlebt hat, der weiß, dass sich Bildung und Unterhaltung, Eloquenz und Kalauer, Goethe-Rezitationen und zotige Witzchen nicht zwangsläufig ausschließen müssen. Er ist ein neugieriger Traditionalist, dem die Zeitungslektüre immer noch heilig ist und der dennoch inzwischen ein Ipad besitzt: »Weil meine Frau zu mir gesagt hat, das sei idiotensicher. Jetzt kann ich damit am Wochenende die Fußballergebnisse anschauen oder die ägyptische Revolution in entscheidenden Phasen verfolgen.«
(* am 4. Januar 2014)

| PETER MOHR

Buchtipp:
Hellmuth Karasek: Frauen sind auch nur Männer. Glossen
Hamburg: Hoffmann und Campe 2013
176 Seiten. 17,99 Euro

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Die Macht der Worte

Nächster Artikel

Monsieur Hulot und der Oktopus

Weitere Artikel der Kategorie »Bühne«

Weltmeister der Überraschungen

Bühne | Show: The Illusionists »The Illusionists« sind mit ihren neuen Stunts und Zaubertricks mit der »Direct from Broadway« – Show auf Europatour. Um eine Frage kommt man heutzutage nicht herum: »Will das Publikum derlei Shows wirklich noch sehen? Oder sind Magier völlig out?« Es wird immer schwieriger, Menschen von der Bühne herunter zum Staunen zu bringen. Die perfekte Illusion inszeniert sich schwer, wenn man eine Zielgruppe bedenkt, für das digitale Spezialeffekte im Kino oder auf dem heimischen Großbildschirm alltäglich geworden sind. ANNA NOAH prüft die magischen Momente auf Modernitäts-Tauglichkeit.

Zwischen Sein und Nicht-Sein, Wunsch und Wirklichkeit

Bühne | E.T.A. Hoffmann: ›Der goldne Topf‹

Die Frage nach den Möglichkeiten, sich selbst zu entfalten, den Anforderungen der Gesellschaft und auch sich selbst gerecht zu werden, stellt sich dem Menschen nicht nur im noch recht jungen Jahr 2020. Bereits in der Romantik schuf E.T.A. Hoffmann (24. Januar 1776-25. Juni 1822) das Werk ›Der goldne Topf‹. Dieses trägt nicht umsonst den Untertitel ›Ein Märchen aus der neuen Zeit‹, spielen doch sowohl die Motive der Romantik wie die »Blaue Blume« als auch die Abwechslung von Mystik und Realität eine Rolle. Von JENNIFER WARZECHA

Wahrer Mut braucht kein Geschlecht

Bühne | Ben Hur im Theater das Zimmer Hamburg Die Drei Weisen kommen mit Gaben, um das Christkind zu beschenken. Sie bringen Gold und Weihrauch. Doch was ist mit dem vierten Darsteller, der auch gerne einer von ihnen wäre? Er nimmt es nicht ganz so ernst mit der Legende und treibt die Regie in den Wahnsinn. Und das ist nicht das einzige Detail, das das Heldenepos auf den Kopf stellt. Von MONA KAMPE

Liebe bis über alle Grenzen hinweg?

Bühne | ›Love hurts/!לא לשכוח – לאהוב‹ – ein deutsch-israelisches Dokumentarstück (Badisches Staatstheater Karlsruhe) Dass Liebe und Beziehungen zwischen Mann und Frau keine leichte Angelegenheit sind, davon erzählen Klassiker der Weltliteratur und das Leben selbst. Daraus schöpfen Filmemacher ihre Stoffe – und nicht nur diese: Auch im Badischen Staatstheater ging es um die Liebe, um die Art, die schmerzt, wie es schon der Titel ›Love hurts‹ verrät. Doch das beeindruckende und überraschende Resumée des deutsch-israelischen Dokumentarstücks von Avishai Milstein (Koproduktion mit dem Teatron Beit Lessin, Tel Aviv) ist ein anderes: Die deutsche Schuld gibt es nicht. Von JENNIFER WARZECHA

Die 80er in einem Sandkorn

Bühne | Mit Vollgas in die 80er

Die 1980er-Jahre sind wieder da, besonders auch in Karlsruhe. Aktuell ist eine Ausstellung über das Jahrzehnt der Glitzerklamotten, Schulterpolster, Neuen Deutschen Welle und anderer Accessoires dort im Schloss zu sehen. Im Sandkorntheater, einem 1956 gegründeten Privattheater, nahe des Mühlburger Tors und des Stadtteils Mühlburgs, begeistert zurzeit das Musical ›Mit Vollgas in die 80er. Das 80er-Musical mit Live-Band!‹ das Publikum. Von JENNIFER WARZECHA