/

Fußballfieber

Kinderbuch | Eymard Toledo: Benè, schneller als das schnellste Huhn / Fabrizio Silei: Abseits

In Brasilien erfolgt der Anpfiff. Nachhaltig Fußball anschauen kann man – auch ohne die Abseitsregel zu verstehen – mit zwei Bilderbüchern zum Thema. ANDREA WANNER hat das runde Leder und die beiden Geschichten darum verfolgt.
 
BeneEymard Toledo erzählt von Benedito da Silvo, einem Jungen aus Brasilien, den alle nur Bené nennen. Auf dem Cover und auf dem ersten Bild im Buch sieht man ihn mit einem gelben Trikot und der grünen Nummer 10 darauf – das vermutlich begehrteste Trikot der diesjährigen WM, das der brasilianische Ausnahmefußballer Kaká tragen wird, der damit den Platz der Weltfußballers von 2004 und 2005, Ronaldinho, einnimmt, der es bei der WM in Deutschland getragen hat. So ist es durchaus ein besonderes Kleidungsstück, das Bené voller Stolz trägt und mit dem er Tore zu erzielen versucht.

Wundervoll gelingt die Überleitung vom Traum ein Fußballstar zu werden und Benés Alltag:, »Ich habe immer einen Ball dabei. Egal, was ich mache oder wohin ich gehe, Bälle begleiten mich überallhin. Ich spiele damit, ich träume davon und meine Familie lebt von ihnen.« Die Familie leistet dabei Teamarbeit. Bené näht sie, täglich vier bis fünf Stück; seine Mutter bügelt sie und hängt sie zum Trocknen auf die Wäscheleine; und der Vater verkauft die fertigen Bälle.

Ganz sachlich und unsentimental wird da von Kinderarbeit erzählt. Kinderarbeit, die notwendig ist zum Überleben für die Familie. Arbeit, die Bené mit Stolz erfüllt und ihm auch noch kleine Freiräume zum Spielen und Träumen lässt.
 
Eymard Toledo lebt seit 20 Jahren in Deutschland. Ihre beiden Söhne lieben Fußball und der jüngere kickt in einem Verein. Toldo kommt aus Brasilien, kennt das Land – und seine Probleme. Sie weiß um das Schicksal von Kindern wie Bené, die nicht zur Schule gehen, sondern zu Hause mithelfen müssen. Die Lederbälle nur nähen, nicht besitzen. Und die von Kickschuhen träumen, während sie barfuß dem Ball nachjagen. Sie hat ihre Geschichte mit vielen landeskundlichen Details ausgeschmückt und wunderbar illustriert. Collagen aus Servietten, kleinen Papierstücken, Stofffetzen, Bast, Obsttüten und kleinen Netze aus der Gemüseabteilung, die einmal das Tornetz und dann eine Hängematte abgeben, schaffen eine atmosphärisch dichte Umgebung voller Heiterkeit, in der Bené lebt.

Lustig flattert die Wäsche auf der Leine, vergnügt versuchen die kleinen Affen den Ball zu klauen und im Fernsehen läuft – Fußball, was sonst! So ganz ohne erhobenen Zeigefinger und trotzdem eindringlich und zum Nachdenken zwingend können Bilderbücher sein. Schön, dass ausgerechnet dieses Buch bereits von der Stiftung Buchkunst als eines der schönsten deutschen Bücher 2014 in der Kategorie Kinder- und Jugendbücher ausgezeichnet wurde.
 

CV_ABSEITS.inddDas zweite Bilderbuch erzählt eine Fußballgeschichte aus dem Jahr 1938. Nach dem Anschluss Österreichs an Nazi-Deutschland wird die österreichische Nationalmannschaft aufgelöst. Es soll ein letztes Spiel gegen die Deutschen geben. Der 9jährige Markus schaut zu.
 
Der 1903 geborene Matthias Sindelar war Mittelstürmer, Kapitän des legendären österreichischen Wunderteams. Er wurde mehrfach als bester Fußballer Österreichs ausgezeichnet und ist bis heute ein verehrtes Idol, um das sich zahlreiche Legenden ranken. Eine davon bringen Fabrizio Silei und Maurizio A.C. Quarello zu Papier.

Silei bezieht sich bei der Geschichte auf den Roman von Nello Governato ›L’ultima partita‹ über das Leben Sindelars. Zunächst liegt der Fokus aber auf der Familie von Markus. Während Markus tatsächlich nur Fußball im Kopf hat, ist die Lage zuhause plötzlich anders, düsterer. Der Vater trifft sich heimlich mit Freunden, es wird über Politik geredet und die sich zuspitzende Lage, über Nazis und Widerstand. Die Mutter warnt ängstlich: »Bitte sei vorsichtig! Denk an Markus!« Und es ist schon vieles vorweggenommen, was den Alltag in der Zukunft bestimmen wird.

In den Plänen des Vaters spielt dann auch Síndelar eine Rolle. Eine, die für Markus rätselhaft ist. Was kann es Wichtigeres geben als das gewonnene Spiel? Wichtigeres, als einen Sieg »seiner« Mannschaft? – Maurizio A.C. Quarello hat realistische Bilder in gedeckten Farben dazu geschaffen, die direkt aus jenen 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts zu stammen scheinen. Beklemmung, Angst, Freude, Jubel und Entsetzen spiegeln sich darin wieder. Jenem unvergessenen letzten Spiel der Österreicher, das sie 2:0 im Praterstadion gewinnen und das alles andere als ein Freundschaftsspiel ist, wird ein Denkmal gesetzt.

Nur Fußball? Eben nicht. Und das fühlt auch der 9jährige Junge, ohne wirklich zu verstehen.
Fußball ist mehr als ein Spiel. Ein bisschen davon zeigen diese zwei außergewöhnlichen Bilderbücher, für die man noch nicht mal Fußballfan zu sein braucht.

| ANDREA WANNER

Titelangaben
Eymard Toledo: Benè, schneller als das schnellste Huhn
Basel: Baobab 2014
32 Seiten, 15,90 Euro
Bilderbuch ab 5 Jahren
 
Fabrizio Silei: Abseits. 1938. Ein Fußballer sagt Nein
(Fuorigioco, 2014). Aus dem Italienischen von Edmund Jacoby
Berlin: Verlagshaus Jacoby & Stuart
40 Seiten. 14,95 Euro
Bilderbuch ab 8 Jahren
 

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Sie geben uns Klassik

Nächster Artikel

Wer bin ich?

Weitere Artikel der Kategorie »Brasilien 2014«

Fußball kann frisch und lebendig!

TITEL-Thema | Brasilien 2014 Sogar dem Kommentator brechen die Sehnsüchte durch und er schwärmt von der Kultur des Lebens in Costa Rica, wo niemandem die Zeit durch die Finger rinnt, sondern sie ohne Not und Ende verfügbar bleibt und die Spieler sich durch nichts hetzen lassen. »There is a crack in everything/ That’s where the light gets in« (Leonard Cohen). Weist der Fußball in seinen schönsten Momenten womöglich doch über sich hinaus: Ein Spiel, das Horizonte öffnet? Hinzu kommt: Es ist erstaunlich, wie abrupt sich Stimmung verändert, sobald die Spiele beginnen. Von WOLF SENFF

Die brasilianische Eröffnung

Gesellschaft | Mirian Goldenberg: Untreu Gender-Forschung ohne Konfrontationskurs? Starker Tobak. Mirian Goldenberg versteht sich als Anthropologin, sie führt umfangreiche Forschungsvorhaben durch und beschäftigt sich in ihren zahlreichen Publikationen durchgängig mit dem Verhalten brasilianischer Mittelschichten, was Liebe, Begehren, Ehe, Familie und Treue betrifft. Legen wir das ungelesen beiseite ins Regal für Spießbürger? Mal halblang, meint WOLF SENFF.

Bei der Olympiade gewann Spanien drei zu eins

TITEL-Thema | Brasilien 2014 Eröffnung sah er nicht, nein. Die Sängerin, die abgesagt hatte, war nun doch da? Nein, all der Eröffnungshype, das interessiert ihn nicht. Der offizielle Song reizte ihn ganz und gar nicht, der Sänger nannte sich Pitbull, was für eine charmante Idee, sicherlich ein Beispiel für abgründigen Humor. Nein, nicht seine Welt. Wie heißt er überhaupt, unser Irrenarzt? Ach, er möchte inkognito bleiben, er möchte heute wenig reden. Von WOLF SENFF

Licht wo zu viel Schatten lag

Gesellschaft | Thomas Kistner: Fifa-Mafia Jetzt mal ehrlich, das Buch Fifa-Mafia von Thomas Kistner ist keine einfache Kost. Zu ungebremst und schnörkellos werden einem hier schallernde Fakten um die Ohren gehauen. Fifa, Fußball, Korruption, Unterschlagung, Verbandsstrukturen, die an sizilianische Familienstrukturen erinnern! Ein knalllauter Aha-Effekt ist dabei ebenso garantiert, wie eine erstmal nicht enden wollende Aufregung. Von SVEN GERNAND

Das Wasser fließt vom Gebirge ins Meer

TITEL-Thema | Brasilien 2014 Nein, ich muss um Nachsicht bitten. Ja, genau, was die Irrenärzte betrifft. Man vertut sich schon mal. Richtig ist, dass es Irrenärzte einfach nicht mehr gibt. Wer ›Irrenarzt‹ eintippt, den reicht Wikipedia automatisch zu ›Psychiater‹ weiter. Echt. Gibt null Erklärung, wird glatt so weitergereicht. Tatsache. Woanders steht was von ›Geusenwort‹ und von ›Euphemismus-Tretmühle‹. Gut, wir wollen es nicht drauf ankommen lassen, doch dass man sich wundert, das wird erlaubt sein. Von WOLF SENFF