Wer bin ich?

Jugendbuch | Sally Green: Half Bad. Das Dunkle in mir

Keine leicht zu beantwortende Frage für einen Jungen, dessen Mutter eine Weiße Hexe war, die ein Kind mit einem Schwarzen Hexer gezeugt hat, nämlich ihn, Nathan. Hexlinge gemischter Herkunft stehen unter besonderer Beobachtung der Regierung. Und die Aufmerksamkeit, die Nathan zuteilwird, ist besonders groß, denn sein Vater ist der gefürchtetste Schwarze Hexer aller Zeiten. Von ANDREA WANNER

Green_Das_DunkleNathan wächst mit dem Makel ein Mischling zu sein mit seinen drei Geschwistern bei seiner Großmutter, einer Weißen Hexe auf. Seine Mutter, eine Heilerin, hat sich das Leben genommen. Seinetwegen, wie seine älteste Schwester Jessica, die ihn hasst, nicht müde wird zu wiederholen. Seinen Vater hat Nathan nie gesehen. Er hängt an seiner Großmutter und seinen beiden anderen Halbgeschwistern, Arran und Deborah. Vor allem mit dem zwei Jahre älteren Arran verbindet ihn große Zuneigung und Nähe. Aber Nathan weiß, dass er nicht wirklich dazugehört. Er weiß, dass er anders ist. Er weiß nur nicht auf welche Art und was das für ihn und sein Leben bedeuten wird.

Eine Suche

Sally Green wählt für ihr Romandebüt ein beklemmendes Szenarium. Nathan sitzt irgendwo auf einer Insel bei Wind und Wetter in einem Käfig, wird von seiner einzigen Bewacherin geschlagen, erhält aber gutes Essen und reichlich Gelegenheit, sich außerhalb des Gefängnisses sportlich zu betätigen und seinen Körper zu stärken. Er kennt die Prophezeiung: er wird eines Tages seinen eigenen Vater umbringen. Ein kafkaeskes Gefühl des Ausgeliefertseins und der Willkür einer staatlichen Macht, die Nathan immer und überall beobachtet, prägen diesen ersten, emotional aufwühlenden und raffiniert aufgebauten ersten Teil des Buches. Nathan hat nichts Böses getan. Er wird gehasst und verfolgt, nur für die Tatsache, dass er ist, wer er ist. Eine Freundschaft und zärtliche Zuneigung zu einem Mädchen aus einem Haus mächtiger Weißer Hexen wird aufs Übelste bestraft. Hilflos ist er einem System ausgeliefert, das seine Vernichtung will. Nathan entwickelt Überlebensstrategien wie das Gefangene in ausweglosen Situationen tun. Er denkt an andere Dinge, wird Bestrafungen gegenüber gleichgültig und schafft es mit seiner eigenen Zauberkraft, körperliche Wunden schnell zu heilen.

Dem ersten Teil in der Gefangenschaft folgt ein Rückblick auf die Kindheit. Und dann kommt Action. Was als weiterer Höhepunkt gedacht war, entlarvt handwerkliche Schwächen und Ungereimtheiten. Schade, denn Nathans Geschichte hat einen wirklich in ihren Bann gezogen. Jetzt hetzt er durch eine Reihe von Abenteuern, die seine allmächtigen Gegner plötzlich amateurhaft wirken lassen (den Eindruck hatten sie vorher nicht vermittelt). Was vorher an Gefühlsregungen so subtil und genau beobachtet und beschrieben, macht Klischees Platz.

Natürlich hat die Geschichte Harry-Potter-Anklänge. Da leben Hexen versteckt in England und auf der ganzen Welt mitten unter ahnungslosen Mitmenschen, Fains. Da gibt es geheime Wege und verborgene Korridore, die nur die mit Zauberkraft entdecken und benutzen können. Und mittendrin einer, der anders ist. Besonders. Und dem eine besondere Aufgabe zugedacht ist.

Alle Weißen und Schwarzen Hexlinge erhalten an ihrem 17. Geburtstag drei Geschenke und danach erst wird sich ihre wahre Gabe offenbaren und ausprägen können. Die Voraussetzungen für diese Zeremonie sind in Nathans Fall schwierig zu erfüllen. Falls es nicht funktionieren sollte, muss er kurze Zeit danach sterben.

Es ist sicher nicht zu viel verraten, dass es klappt. Schließlich wird einem am Ende der 420 Seiten auch klar, dass man gerade den ersten Teil einer Trilogie gelesen hat. Das würde man sich – nicht nur in diesem Fall – als Information zu Beginn der Lektüre wünschen.

So steht man am Ende etwas ratlos da. Hat noch das Eingangszitat von Shakespeare aus Hamlet im Ohr – »An sich ist nichts weder gut noch schlecht; das Denken macht es erst dazu.« Und kann sich jetzt überlegen, ob man die Teile 2 und 3 nach Erscheinen auch lesen wird. Vermutlich ja. Denn Sally Green hat es geschickt geschafft, Sympathie für Nathan und Neugierde am Fortgang seiner Suche nach der eigenen Identität und seinem Platz in der Welt zu wecken.

| ANDREA WANNER

Titelangaben
Sally Green: Half Bad. Das Dunkle in mir
(The Half Life Trilogy 1 – Half Bad, 2014)
Aus dem Englischen von Michaela Link
München: cbj 2014
430 Seiten. 17,99 Euro
Jugendbuch ab 14 Jahren

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Fußballfieber

Nächster Artikel

Tödliche Unterschriften

Weitere Artikel der Kategorie »Jugendbuch«

Absolut Oda

Jugendbuch | Nina Grøntvedt: Oda, absolut ungeküsst! Eine gewisse elfjährige recht eigensinnige Göre, die wir vor anderthalb Jahren etwas demütiger zurückgelassen haben, ist wieder da. Ein bisschen nachsichtiger mit anderen, aber die Nachsicht hält nicht lange vor. Die Welt ist eben immer noch für Oda da, nicht etwa umgekehrt. Oder doch? Von MAGALI HEISSLER

Schwere Vergehen

Jugendbuch | Lea Dittrich: Die Dinge, über die wir schweigen Schmerzliches verschweigt man gern. Davon verschwindet es aber nicht. Im Gegenteil, es verwandelt sich leicht in eine Lüge. Eine Lüge zieht die nächste nach sich und bald andere Vergehen. Ob sich da noch etwas retten lässt? Lea Dittrich hat es versucht. Von MAGALI HEIẞLER

Emergency Room (mit Fitz)

Jugendbuch | Anna Woltz: Gips oder wie ich an einem einzigen Tag die Welt reparierte Die Notaufnahme ist der Ort, an dem man nach einem Unfall landet, mit blutenden Wunden, gebrochenen Knochen, Organen, die nicht mehr arbeiten, wie sie sollen. Wo aber soll man sich hinwenden, wenn das Leben in Scherben fällt, weil die Eltern sich haben scheiden lassen? Die Notaufnahme kann auch in so einem Fall kleine Wunder wirken, behauptet Anna Woltz mit ihrem neuesten Streich, der kleinen Geschichte von Fitz. Von MAGALI HEISSLER

»Wirf deine Angst in die Luft«

Jugendbuch | Stefanie Höfler: Der große schwarze Vogel

Wie geht man mit dem Tod um, wenn man 14 Jahre alt ist? Bens Mutter stirbt plötzlich und unerwartet. Zurück bleibt eine Familie in Trauer. Von ANDREA WANNER

Helfen schwer gemacht

Jugendbuch | Susan Kreller: Elefanten sieht man nicht »Hinsehen und handeln«, heißt es immer wieder, Zivilcourage wird laut gefordert, beherzt eingreifen, wenn Unrecht geschieht. Wie das Helfen aber genau aussehen soll, davon wird eher nicht gesprochen. Und schon gar nicht davon, wie man eingreifen soll, wenn man offenbar die Einzige ist, die überhaupt hingesehen hat, sich alle anderen aber blind und taub stellen. Susan Kreller hat in ihrem Debütroman Elefanten sieht man nicht eine sehr junge Heldin vor eben dieses Problem gestellt und aus der extremen Situation einen ganz außergewöhnlichen Roman gemacht fand MAGALI HEISSLER.