Offen für Neues

Kinderbuch | Anna Walker: Hilde

Hilde ist ein Huhn. Und wer immer sich die Beleidigung »dummes Huhn« ausgedacht hat, kannte Hilde nicht. Von ANDREA WANNER.

HildeHildes Zuhause ist ein kleines Hühnerhaus im Garten eines großen Hauses in einer ruhigen Gegend. Dort lebt das schwarze Huhn zufrieden, vertreibt sich die Tage auf dem Trampolin oder beim Beobachten der tauben. Bis eines Tages ein stürmischer Wind Hilde erfasst und sie in die Großstadt bläst.

Aufregendes!

Was kann so ein Huhn in einer großen Stadt nicht alles erleben?!! Rolltreppe fahren, im Kino sitzen und Popcorn knabbern, Schuhe anprobieren, Spaghetti testen oder in Schlussverkauf eine rot-weiß-karierte Unterhose entdecken. Hilde lässt sich interessiert auf das Abenteuer ein, entdeckt Hühner aus Porzellan und Draht, sich selbst in vielfacher Ausfertigung auf kleinen Bildschirmen in einem Schaufenster (woher soll ein Huhn ahnen, dass es gefilmt wird?). Und findet dann sogar ein wunderschönes Plätzchen auf einem Sessel in einem Möbelgeschäft mit einem Kissen darauf, das genau aus dem gleichen Stoff besteht, wie Hildes Blümchenvorhang im Hühnerhaus. Und trotzdem hat sie irgendwie Heimweh.

In zarten Pastelltönen präsentiert Anna Walker eine zauberhafte Geschichte. Gelungen ist die Balance zwischen Hilde als Haustier und Hilde als unternehmungslustigen Abenteurerin. Die Bilder zeigen das Hühnchen in originalgetreuem Maßstab und sehr realistisch in einer von Menschen bewohnten Welt. Und wenn Hilde dann nach Hause zurück will und nach dem Weg fragt, passiert das, was wahrscheinlich jedem passieren würde, der von einem Huhn nach dem Weg gefragt wird: man versteht das arme Tier nicht. So wird Hilde als Tier in einer Umgebung gezeigt, die uns sehr vertraut und Hilde sehr fremd ist. Kleine fotorealistische Details verstärken den leicht surrealen Eindruck. Und gleichzeitig wirkt alles überzeugend und ganz ernst gemeint.

Hilde stammt – oder zumindest Anna Walker wohnt da – aus Melbourne und im Original heißt sie Peggy. Ihre Geschichte lässt sich abwechseln in vielen kleinen Einzelbildchen und in ganzseitigen Bildern entdecken. Mit viel Witz und Liebe für Details lässt Walker das Huhn durchs Buch trippeln. Da braucht es kaum Worte, keinen übertriebenen Effekt, nur einen exakten Blick, der das Besondere auch in den kleinen Dingen zu entdecken vermag. »I asked my children, what would a chicken be doing when she is playing in her yard. ›Bouncing on a trampoline‹ said Sam without hesitation, and so she did.« verrät sie auf ihrer Homepage. Und setzt den Vorschlag kurzerhand um.

Wer Hilde am Ende ihrer Odyssee hilft, sind die Tauben. Jene Vögel, die im Gegensatz zu ihr fliegen können, und die sie immer ein bisschen bewundernd aus der Distanz beobachtet hatte. Damit ist jetzt Schluss. Hilde hat so viel erlebt, dass falscher Respekt ganz unangebracht ist und sie und die Tauben Freunde werden können.

| ANDREA WANNER

Titelangaben
Anna Walker: Hilde
Peggy, 2012 Aus dem Englischen von Pia Jünger
Oldenburg: Lappan 2014
32 Seiten, 12,95 Euro
Bilderbuch ab 4 Jahren

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Aufschlagen oder weiterfliegen

Nächster Artikel

Karussell der Spekulanten

Weitere Artikel der Kategorie »Kinderbuch«

Kunterbunter Kinderalltag

Kinderbuch | Christian Tielmann: Wir drei aus Nummer 4 Eine Neuanfang mit Papa, eine neue Wohnung, ein fremdes Haus und unbekannte Nachbarn, das sieht doch ganz nach Abenteuer aus! Es bleibt auch nicht bei einem einzigen, wie sich rasch herausstellt. Wenn bestimmte Menschen aufeinandertreffen, ist einfach etwas los, sogar im ganz normalen Leben. Christian Tielmann lässt in ›Wir drei aus Nummer 4‹ einen Achtjährigen aus dem kunterbunten Kinderalltag berichten. Von MAGALI HEISSLER

Ende der Schonzeit

Kinderbuch | Katherine Applegate: Crenshaw. Einmal schwarzer Kater Kinder vor Schlimmem zu schützen, versteht sich von selbst. Allerdings kann der Schutz auch fehlgehen. Zum Beispiel dann, wenn Eltern sich selbst nicht eingestehen wollen, wie die Sache steht. Wer damit fertig werden muss, sind ausgerechnet die Kinder. Ein tolles Thema für ein Kinderbuch. Leider hat sich die Autorin Katherine Applegate dabei gründlich verlaufen. Von MAGALI HEISSLER

Queste, absurd-verrückt und leicht geweihräuchert

Kinderbuch | Julie Berry: Eine verliebte Kuh, eine magische Karte und ein Strauß in geheimer Mission Unterwegs sein, ein Abenteuer nach dem anderen erlebend, eins fantastischer als das andere, ist ein unschlagbares Grundrezept für eine gute Geschichte. Hätte Julie Berry in diesem Kinderbuch auf die allzu weisen Sprüche verzichtet, wäre es sogar eine sehr gute geworden. Von MAGALI HEIẞLER

Magie der Freundschaft

Kinderbuch | Dominique Périchon: Vielleicht ein bisschen verrückt, aber ich bin dabei!

Es ist die Zeit, in der man ins Leben aufbricht: Eigentlich muss man nur die Arme ausbreiten und fliegt in seine Zukunft. So ähnlich ist Maries Gefühlslage, wären da nur nicht so viele Selbstzweifel. Ihrer Ansicht nach kann sie weder malen, kneten, noch musizieren, einfach nichts. Das soll sich aber schnell ändern. BARBARA WEGMANN hat die wunderbare Geschichte gelesen.

Die Maus traut sich nicht ins Wasser

Kinderbuch | C. Spengler, K. Gehrmann: Seepferdchen sind ausverkauft

Wenn die Eltern nicht aufpassen und nicht zuhören, kann alles Mögliche passieren. Unfälle, Feuer, zu viel Fernsehen, gelangweilte Kinder … Es kann auch passieren, dass dann die Wohnung auf einmal voller Tiere ist. Nur ein Seepferdchen ist nicht dabei. Von GEORG PATZER