Kinderbuch | Guido van Genechten: Ein Tiger schnarcht in meinem Bett
Seit fast zwanzig Jahren entzückt der belgische Illustrator Guido van Genechten vor allem sehr kleine Kinder mit seinen knubbeligen Figuren, die in kunterbunten Welten abenteuerliche Alltagserfahrungen machen. In seinem neuesten Buch ›Ein Tiger schnarcht in meinem Bett‹ wendet er sich an die etwas Älteren unter den Kleinen und erzählt wahrhaft Heldenhaftes aus tiefster Nacht. Von MAGALI HEISSLER
Albträume sind etwas Schlimmes, schon Kinder machen diese Erfahrung. Die unterschiedlichsten Schrecken erwarten die Schlafenden, im Dunkeln ist alles möglich. So auch hier. Der kleine Held erwacht, weil hinter ihm ein schlafender Tiger liegt. Ein sibirischer Tiger!
Aber bange machen lassen gilt nicht. In solchen Fällen muss man einen kühlen Kopf bewahren. Der Tiger ist am falschen Ort, also muss er dorthin, wohin er gehört. Leicht ist das nicht, so ein gefährliches Untier hat ein beträchtliches Gewicht. Und aufwachen darf er unter keinen Umständen, wer weiß, was sonst passiert. Damit beginnt ein beschwerlicher und nicht ungefährlicher Weg durch die tiefe Nacht. Es ist nicht einfach, ein Held zu sein.
Mitten in der Nacht
Genechten hat eine Nachtgeschichte gemalt. Nachtfarben herrschen vor auf den großflächigen Bildern, schattiges Grün, abgedunkelte Blautöne von Blaugrau bis Lila, Braun für das Schlafzimmer. Die Nacht hat wenig Schattierungen. Alle Gegenstände drinnen, aber auch Häuser, Straßen, Pflanzen oder Autos draußen sind nur an ihren Umrissen zu erkennen. Allein der Tiger und der Junge sind ausgeleuchtet und vielfarbig. Das gibt dem Ganzen die Atmosphäre eines Traums, wir erleben ein Traumabenteuer.
Der Text ist sehr kurz gehalten und bezieht sich allein auf das aktuelle Geschehen. Doch auch das, was eben dazu führte, wird erzählt, allerdings nicht in Worten. Offensichtliche Fragen, etwa: »Wie kam der Tiger in das Bett?«, können beantwortet werden, wenn man die Bilder genau betrachtet. Die Umrisse in dem Braun, Blau, Grün, Lila verraten sehr viel. Sie erzählen auch viel über den kleinen Jungen, ein Kinderleben ist zu entdecken.
Geschichte gegen die Angst
Sehr geschickt, liebevoll und mit originellem Witz erzählt Genechten eine Geschichte gegen die Angst. Der kleine Ich-Erzähler ist aktiv, er weiß, was zu tun ist. Er hat Bedenken, aber er ist nicht so furchtsam, dass er passiv bleibt. Im Gegenteil ist er voll Tatkraft. Die muss er auch entwickeln, denn hat beträchtliches Pech auf seinem Weg. Alles, was ihm diesen erleichtern könnte, fällt im letzten Moment aus. Und über seinem Kopf schwebt immer die Gefahr, dass die ‚Schnarchnase‘, wie er seinen ungebetenen Gast auf dem Kopfkissen respektlos nennt, aufwacht. Die Spannung ist ziemlich groß in dieser Geschichte.
Aktiv werden ist wichtig, lernt man beim Anschauen und Lesen. Wenn man Angst hat, kann man trotzdem Abhilfe schaffen. Das heißt aber auch, dass man sich anstrengen muss. Selbstständig handeln ist sehr, sehr anstrengend, doch es lohnt sich.
Eine andere Lehre lautet, liest man die Geschichte genau, dass das, was einmal geklappt hat, auch ein zweites – und drittes Mal funktionieren kann. Und dass man sich von Albträumen nicht beherrschen lassen muss.
Witz, Spannung und viel liebevoller Humor zeichnen diese rundum schöne und gescheite Geschichte aus.
Titelangaben
Guido van Genechten: Ein Tiger schnarcht in meinem Bett
Midden in de nacht (2013); übers. von Meike Blatnik
Berlin: Annette Betz im Ueberreuter Verlag 2014
32 Seiten. 12,95 Euro
Bilderbuch ab 4 Jahren