Nicht heulen, schreiben

Roman | Doris Dörrie: Diebe und Vampire

Doris Dörrie, die gerade ihren 60. Geburtstag gefeiert hat, ist eines der raren, überaus erfolgreichen künstlerischen Multi-Talente. Filme, Drehbücher, Regiearbeiten an bedeutenden Bühnen, Erzählungen und Romane – alles ihr Metier. Die gebürtige Hannoveranerin, die mit ihrer leicht schrägen Film-Komödie »Männer« (mit Uwe Ochsenknecht und Heiner Lauterbach in den Hauptrollen) 1985 den großen Durchbruch geschafft hatte, legt nun nach vierjähriger literarischer Auszeit den federleicht geschriebenen, äußerst humorvollen Roman Diebe und Vampire vor. Von PETER MOHR

DiebeDer Titel ist als Anspielung auf den sogenannten Kreativprozess von Schriftstellern zu verstehen, die Stories stehlen und Figuren und deren Schicksale aussaugen. Im Mittelpunkt der auf mehreren Zeitebenen spielenden Handlung steht die leidlich begabte Autorin Alice Hofmann. Es beginnt im Jahr 1984, als sie als junge Frau von Anfang zwanzig an der Seite des verheirateten Dermatologen Pe einen Mexiko-Urlaub verbringt – mit allerlei Flausen, aber ohne wirklichen Lebensplan im Kopf.

Pe liest einen Zeitungsartikel über einen wegen einer Lappalie inhaftierten mexikanischen Jungen. Der Junge wird quasi Mittel zum Zweck – moralisch nicht ganz stubenrein –, denn über sein Schicksal lernt Alice eine etablierte, dreißig Jahre ältere amerikanische Schriftstellerin kennen, die in Doris Dörries Beschreibung wie eine Mischung aus Erica Jong und Alice Munro daher kommt.

»Sie schrieb wie niemand in Deutschland über den Alltag von Frauen. Ich war hingerissen«, schwärmt Alice von der Amerikanerin, die sie fortan nur noch »Meisterin« nennt. Sie biedert sich an, wirft mit Komplimenten um sich, intoniert wahre Schmeichelarien, doch die Erfolgsautorin wahrt Distanz.

Alice und die »Meisterin« widmen sich später gemeinsam dem inhaftierten Jungen. Doch ihr Good-will-Aktionismus, diese Mischung aus Naivität und idealistischem Übereifer führt sogar zur Verschlechterung der Haftbedingungen des Jugendlichen. Einige Zeit später, sie hat inzwischen ein paar läppische Kurzgeschichten publiziert, reist Alice nach Kalifornien, um die Meisterin zu treffen, ihr Vorbild und ihre Motivatorin. »Nicht heulen, schreiben«, bekommt sie als eine Art dichterische Maxime mit auf den Weg.

Und zum Ende des Romans steht – und damit schließt sich der erzählerische Kreis – eine weitere Reise nach Mexiko an. 25 Jahre sind vergangen, einige unglückliche Beziehungen pflastern den Lebensweg, aber Alice hat es mit einer Art Handbuch für gestresste Autoren zu respektablem Ruhm gebracht. Auf Einladung eines Germanistikprofessors liest sie aus ihrem Longseller, der zur Kategorie »überflüssige Ratgeber-Literatur« gehört. Sie beschreibt darin, wie man gegen Schreibblockaden vorgeht. Außerdem gibt Alice Seminare für absolut talentfreie, selbsternannte Dichter.

Diebe und Vampire ist eine geistreiche Satire auf den Literaturbetrieb, die von einem hohen Maß an Selbstironie getragen wird. Es ist aber auch ein Buch über das Älterwerden, über kleine und große Lebenslügen, über Autoreneitelkeiten und über Lebensläufe im Slalom-Modus – und bei Doris Dörrie eben auch mit serienmäßiger Schmunzel-Garantie.

| PETER MOHR

Titelangaben
Doris Dörrie: Diebe und Vampire
Zürich: Diogenes 2015
216 Seiten, 21,90 Euro

Reinschauen
| Leseprobe

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Eine Herausforderung – und ein Dank an Kekse

Nächster Artikel

An der französischen Atlantikküste

Weitere Artikel der Kategorie »Roman«

Drei Biedermänner auf dem Weg zur Hölle

Roman | Kate Atkinson: Weiter Himmel

Jackson Brodie hat keine Lust mehr auf die großen, ebenso spektakulären wie gefährlichen Fälle. In einem beschaulichen, an der Nordostküste Englands gelegenen Örtchen ist ihm eher an kleinen Aufträgen gelegen, auch wenn die ihm finanziell nicht unbedingt lange über Wasser halten. Und doch wird Kate Atkinsons Privatermittler, der in Weiter Himmel seinen fünften Auftritt hat, schneller als er denkt wieder in einen Fall hineingezogen, in dem drei Saubermänner mit schmutzigen Westen die Hauptrollen spielen. Von DIETMAR JACOBSEN

Das Genie als hilfloser Greis

Roman | Peter Härtling: Verdi »Ich hatte nicht vor, eine Biografie zu schreiben. Es ging mir nicht darum, das Leben Verdis zu erzählen, Daten und Werke einzusammeln. Der Untertitel nennt neun Fantasien. Verdi hat nie eine geschrieben. Eine Fantasie folgt Motiven, Stimmungen. Es ist eine dem Alter angemessene Form. Ich nähere mich an Jahren dem Verdi, und ich wünschte mir waghalsig einen Austausch der Erfahrungen«, schreibt Peter Härtling in seiner dem Buch vorangestellten Kopfnote. Der neue Roman ›Verdi‹ – gelesen von PETER MOHR

Schreiben, um nicht umzukommen

Roman | Antje Ravik Strubel: Blaue Frau

»Man hat ohnehin schon das Problem der Scham und des Schuldgefühls, wenn einem so etwas widerfährt. Überhaupt diese Schwelle zu überwinden, davon zu erzählen. Und dann wird man noch damit konfrontiert, dass einem der Vorwurf der Lüge gemacht wird. Das ist eine sehr heikle Situation. Das fand ich wichtig, darüber zu schreiben«, erklärte die in Potsdam lebende Autorin Antje Ravik Strubel über die gedankliche Vorgeschichte ihres neuen Romans, in dem sexualisierte Gewalt eine zentrale Rolle spielt. Zur Verleihung des Deutschen Buchpreises 2021 schreibt PETER MOHR

Die Häutungen des Blechtrommlers

Menschen | Zum Tod des Nobelpreisträgers Günter Grass Günter Grass war nicht nur einer der bedeutendsten deutschsprachigen Gegenwartsschriftsteller. Er war auch über mehr als sechs Jahrzehnte künstlerischer Tätigkeit stets ein streitbarer und umstrittener Zeitgenosse. Von PETER MOHR

Das reinste weiße Altmänner-Geschwätz

Roman | Arnold Stadler: Irgendwo. Aber am Meer

Irgendwo. Aber am Meer sollte er liegen, der vielfach gepriesene Sehnsuchtsort. Doch wie bereits in seinem Vorgängerroman Am siebten Tag flog ich zurück gönnt der Georg-Büchner- und Kleist-Preisträger Arnold Stadler seinem Ich-Erzähler lediglich den bloßen Blick auf das erträumte Paradies. Könnte das vielleicht sogar beglückender sein als das Erreichen des Ziels? Von INGEBORG JAISER