Am Ende aller Machtgedanken

Bühne | Willam Shakespeares ›Der Widerspenstigen Zähmung‹ am Badischen Staatstheater Karlsruhe

William Shakespeare (1564-1616) gehört nicht nur zu den Autoren, über dessen Geschichte fast nur der Todestag und die Grabstätte bekannt sind.
Schon allein sprachlich ist das Werk des Meisters mitunter schwer zu erfassen. Eine Ballettaufführung nach der literarischen Vorlage Shakespeares gleicht dementsprechend einem wahrhaftigen Kunstwerk – wenn es denn gelingt. Bei Shakespeares ›Der Widerspenstigen Zähmung‹ gilt es außerdem auch noch, eines der mitunter am schwersten zu vermittelnden Themen der Menschheitsgeschichte zu bewältigen – das des Kampfes um Liebe und Gleichberechtigung. Hilfreich ist dabei das Ansinnen des Ballettmeisters John Crankos (1927-1973), entgegen des Trends seiner Zeit ein Handlungsballett auf die Bühne zu bringen. Von JENNIFER WARZECHA

Abb: Jochen Klenk
Abb: Jochen Klenk
In Karlsruhe wird die Inszenierung gerade durch Katharinas (charakterstark in Gestik, Mimik und tänzerischem Ausdruck, in dieser Aufführung: Bruna Andrade) stimmungsgeladene Wutausbrüche im Kampf um ihre Weiblichkeit und die wunderbaren Pas de deux zusammen mit ihrem Partner Petrucchio (charakterstark, sympathisch und tänzerisch gesehen top, in dieser Aufführung: Admill Kuyler) zu einem wahren Meisterwerk aus Tanz, Bewegung, Geschmeidigkeit, Grazie und Ausdruck. Genau das zieht auch das Publikum in seinen Bann: Es belohnt das Ensemble im Großen Haus des Staatstheaters rund um Ballettdirektorin Prof. Birgit Keil, unter der musikalischen Leitung von Steven Moore sowie der Choreografie und Inszenierung von John Cranko, nach der Musik von Kurt-Heinz Stolze nach Domenico Scarlatti, mit tosendem Applaus.  

Bezeichnend ist nicht nur Shakespeares Gefühl für den sprachlichen Ausdruck. Dieser kommt innerhalb eines Handlungsballetts, in dem die einzelnen Figuren und Ausdrücke des Tanzes sowie der harmonische Tanz der Paare oder die charakterstarken Pirouetten und Umdrehungen von zum Beispiel Katharina im Vordergrund stehen, sowieso nicht zum Tragen. Was aber hier speziell so besonders ist und in den Pas de deux, die final jeweils in der eng umschlungenen Haltung des Liebespaares Petrucchio und Katharina enden, zum Ausdruck kommt, ist folgendes: das im 16. Jahrhundert für seine Zeitverhältnisse recht früh angesprochene Thema der Emanzipation. Zwar hat vordergründig Baptista (zeitweise heroisch, dann aber gediegen und kultiviert, in dieser Aufführung: Timothy Stokes a.G.), Vater von Katharina und ihrer jüngeren Schwester Bianca (grazil, aber relativ zurückhaltend, in dieser Aufführung: Moeka Katsuki), die Fäden in der Hand, die das Schicksal seiner Töchter bestimmen. Dabei unterschätzt er aber zeitweise die Existenz der Liebhaber seiner Töchter und deren emsiges Ansinnen, diese in den »Hafen der Ehe« zu führen. Ein Recht holt er sich aber damit zurück, dass er ganz klar bestimmt, dass zuerst seine ältere Tochter Katharina verheiratet werden müsse – eben bevor Bianca dieses Glück zuteilwerden könne.

Der eigentliche Kampf ist allerdings nicht der zwischen Vater und Tochter, sondern der zwischen den Vertretern der einzelnen Geschlechter. In der 5. Szene des I. Aktes, »Katharinas Hochzeit«, benimmt sich Petrucchio während seiner Hochzeit total daneben. Er entführt seine Braut eiskalt vor den Augen seiner Gäste. Nicht nur das: Noch während sie auf dem Nachhauseweg sind, locken einerseits das warme Lagerfeuer und der leckere Braten. Andererseits lässt Petrucchio in der 2. Szene des II. Aktes ›Petrucchios Küche‹ seine Frau unter dem Vorwand hungern, das Essen sei nicht gut genug für sie. Eine Demonstration seiner Macht, gegenüber der Katharina eiskalt mit wutentbranntem Gesicht protestiert. Sie droht ihrem Mann in der Umdrehung des Tanzes mit geballten Fäusten – und das nicht nur einmal. Möglicherweise liegt auch hier der Sinn der Komödie aber gerade darin, dass diese Form der Emotion sich vom zuerst Negativen dann gerade in ihr Gegenteil verkehrt. Gegen Ende des Balletts erkennt Katharina das heitere Wesen ihres Mannes und lässt sich gerade auf dieses ein. Zuletzt bleibt das Paar als das einzige als solches glückliche zurück.

Am Ende siegt über allen Machtgedanken die Liebe

Lucentio (tänzerisch ausdrucksstark, in dieser Aufführung: Pablo Dos Santos) und Bianca (Moeka Katsuki) machen zwar gute Miene zum bösen Spiel: Ihre Bewegungen sind von grazil, erotisch übereinander, umarmender Gestalt. Sie gleiten beide wahrlich ineinander über. Dennoch trägt der äußere Schein nicht zum inneren Gelingen bei: Am Ende bleiben die witzigen und tänzerisch glanzvollen männlichen Interessenten Lucentio, Gremio (vor allem witzig: Reginaldo Oliveira) und Hortensio (heroisch und ebenfalls stark, in dieser Aufführung: Ronaldo Dos Santos) alleine. Katharina und Petrucchio gehen aus dem Kampf der Geschlechter mit Würde und Grazie heraus.

Überaus überzeugend, wenn es auch dem Nicht-Ballett-und-Literatur-Experten als Zuschauer mitunter durchaus geholfen hätte, kurze Text-Einschübe zur Verfügung gestellt zu bekommen, um Figuren und Handlung nahtlos überblicken zu können.  

| JENNIFER WARZECHA
| TITELFOTO: JOCHEN KLENK

Titelangaben
›Der Widerspenstigen Zähmung‹
ein Ballett von John Cranko nach der Komödie von William Shakespeare
Badisches Staatstheater Karlsruhe – Großes Haus
MUSIK Kurt-Heinz Stolze (nach Domenico Scarlatti)
MUSIKALISCHE LEITUNG Steven Moore
INSZENIERUNG & CHOREOGRAFIE John Cranko

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Auf der Reeperbahn, Nachkrieg, halbwüchsig

Nächster Artikel

Gegen die Wand

Weitere Artikel der Kategorie »Bühne«

Die wilden 20er – Reloaded

Bühne | Show:Berlin, Berlin Berlin wuchs in den 1920er Jahren zur drittgrößten Stadt der Welt heran. Nach dem ersten Weltkrieg stand in den städtischen Theatern das Amusement an erster Stelle. Es wurde getanzt, gelacht und gesungen. Regisseur Christoph Biermeier präsentiert 100 Jahre später einen Einblick in das Goldene Zeitalter mit dieser ganz besonderen Revue. ANNA NOAH wurde Zeugin, wie das Flair dieser Zeiten mit »Berlin, Berlin« noch einmal lebendig wird.

Amüsant, menschlich, unterhaltend

Bühne | Samantha Ellis: How to Date a Feminist Der Feminismus ist nach wie vor in aller Munde. Die Feierlichkeiten rund um den Internationalen Frauentag gingen gerade zu Ende. Was aber ist eigentlich mit den Männern? Dass sie oftmals mit ihrer Rolle als Mann überfordert zu sein scheinen, ist bekannt. Was aber geschieht, wenn ein Mann auf einmal sich dem Feminismus zugehörig fühlt? Fragt sich auch JENNIFER WARZECHA

Ein Leben zwischen Schall und Rauch

Live | Bühne: Falco – The spirit never dies Freudestrahlende Gesichter auf der Premierenfeier, Beglückwünschung der herausragenden Leistung aller Mitarbeiter, Ensemblemitglieder und Herausstellung dessen, dass das gesamte Ensemble des Balletts am Erfolg beteiligt war – so enthusiastisch und zurecht erfolgsverheißend geht die Premiere von ›Falco – the spirit never dies‹ im Pforzheimer Stadttheater zu Ende. JENNFIER WARZECHA über Leben und Werk eines Ausnahmekünstlers

Koketterie und Emanzipation

Bühne | Wiener Blut von Johann Strauß »Du süßes Täuberlein, komm‘ zum Stell-Dich-Ein. Ich bitt‘ Dich, mein, sag‘ nicht nein«, singt Balduin Graf Zedlau (insgesamt überzeugend: Dirk Konnerth) und tanzt galant über den Bühnenboden, bevor er sich mit dem Kammerdiener Josef (charmant, ausdrucksstark und gesanglich on top: Philipp Werner) zusammen tuschelt über die Vertreterinnen des weiblichen Geschlechts amüsiert. Von JENNIFER WARZECHA

Der ganz normale Alltagswahnsinn

Bühne | Badisches Staatstheater Karlsruhe: Der Gott des Gemetzels

Der entsetzte Blick geht schier ins Herz. Verzweiflung, Leere – alles ist in ihm drin. Und nein, dem liegt nicht der Verlust eines lieben Menschen oder ein ähnliches tragisches Ereignis zu Grunde. Die Ehefrau wirft das Smartphone ihres Gatten absichtlich ins Wasser der Blumenvase. In der Gegenwart, in der jeder ständig mit seinem Smartphone beschäftigt ist, sicherlich kein Einzelfall. Gerade in der Aufführung des „Der Gott des Gemetzels“, einer schwarzen Komödie von Yasmina Reza, im Badischen Staatstheater zeigt es, wie mangelnde oder falsche Kommunikation nicht nur das Familienleben beeinträchtigen können. Von JENNIFER WARZECHA