Hui, Spinne!

Kinderbuch | Bärbel Oftring, Isabel Müller: Schau mal, eine Spinne!

Nur wenige Tiere rufen so prompt Abwehrreaktionen hervor wie Spinnen. Für die kleinen Tiere endet das viel zu oft mit einem grausamen Tod. Warum eigentlich? Weil wir diese wunderbaren Wesen nicht kennen. Bärbel Oftring und Isabel Müller haben ein Bilderbuch vorgelegt, das dem Defizit spannend und klug abhilft. Von MAGALI HEISSLER

U_5831_1A_SCHAU_MAL_EINE_SPINNE.IND75Es gibt Tausende von Spinnenarten, jedes Jahr werden neue entdeckt. Ebenso groß wie ihre Zahl ist die Vielfalt, mit der diese Tiere auftreten. Oftring und Müller nehmen das Nächstliegende in den Blick, eine Spinne, die hierzulande wohl die bekannteste ist, die Gartenkreuzspinne. Schon auf dem Vorsatz erscheint ihr Radnetz in voller Pracht, allerdings unbewohnt.

Aber dann ist sie da, die Weberin, Erbauerin, die Spinne. Ihr Entdecker, ein kleiner Junge, der im Garten Ball spielt, ist ein wenig skeptisch, aber auch neugierig. An diese Neugier appellieren die Autorinnen.

Schritt für Schritt stellen sie die Kreuzspinne vor. Wie sie baut, was sie frisst – etwa ihre eigenen Fäden des Eiweißes wegen, wie sie wächst, sich häutet, fortpflanzt. Auf jeder Doppelseite kann man neue Entdeckungen machen und das Wissen erweitern. Der Text ist knappst, enthält aber alles Wesentliche. Wer mehr wissen will, findet das in der Klappe ebenfalls auf jeder Doppelseite. Das sehr junge Publikum wird an keiner Stelle überfordert und kann selbst entscheiden, ob es dem Ablauf der Ereignisse folgen will oder noch etwas zum Hintergrund dazu erfahren. Es gibt am Ende auch Anregung dafür, ein eigenes Spinnen-Beobachtungsbuch zu führen.

Harmonie und Schönheit

Obwohl Spinnen Jägerinnen sind, werden sie hier nicht als Protagonistinnen eines Daseins voller Abenteuer und Gefahren geschildert. Auch auf den latenten Gruseleffekt verzichten Oftring und Müller. Ihnen liegt daran, die Spinnen als Teil einer Natur zu begreifen, die eine eigene Schönheit hat. Immer wieder wird darauf hingewiesen, unaufdringlich, indirekt. Die Spinnenfäden glänzen seidig, das Netz ist harmonisch. Die Kugel für die Eier ist schön und rund, das Spinnenmännchen tanzt, die Spinne huscht. Sanftheit und Zierlichkeit werden herausgehoben, etwas, das Menschen eher selten einfällt, wenn sie eine Spinne sehen.

Dem entspricht auch die Illustrierung. Der Strich ist schlicht und klar, ohne Ablenkung, die Farben sind verhalten, weiches Braun, weiches Blaugrau, gedämpftes Grün. Und es beginnt mit Hundsrosen, idyllisch rosarot, harmonisch schön. Aufregung schadet nur, ist die unterliegende Botschaft. Hinschauen, entdecken und staunen – so die unmissverständlichen Aufforderungen.

Respekt lernen

Der andere Aspekt der Spinne ist ihr großartig organisiertes ganz eigenes Dasein. Der Aufbau des Netzes, geradezu atemberaubend perfekt an ihre Bedürfnisse angepasst. Die kaum sichtbaren Fäden, die trotzdem ungeheuer stark sind. Ihre Schnelligkeit auf acht Beinen, die nicht nur zur Fortbewegung dienen, sondern auch mit Sinnen ausgerüstet sind. Ihr Körper ist auch nicht einfach nur braun mit weißen Flecken, die hier das berühmte »Kreuz« ergeben, nein, die Zeichnerin Isabel Müller zeigt die vielen Schattierungen des Brauns bis hin zum Ringelmuster an den Beinen. Bärbel Oftring findet verblüffende Vergleiche in ihren Beschreibungen. Man darf staunen hier.

In den Klappen gibt es detaillierte bebilderte Sachinformationen zur Kreuzspinne und einigen anderen bekannteren hiesigen Spinnen zum Vergleich. Man erfährt, wie einfallsreich andere Netze konstruiert sind, als Hauben, als Teppiche, sogar als Taucherglocke. Dass und wie eine Spinne sich häutet und wer ihre Fressfeinde sind. Spinnen leben gefährlich. Und am Ende hört man vom größten Wunder dieser ganz besonderen Wesen, nämlich dass sie fliegen können.
Dieses Buch zeigt nicht nur, dass man die Spinne mit ihren ganz eigenen Fähigkeiten respektieren soll, man kann sie tatsächlich lieben lernen.

| MAGALI HEISSLER

Titelangaben
Bärbel Oftring, Isabel Müller: Schau mal, eine Spinne!
Hildesheim: Gerstenberg 2016
32 Seiten. 14,99 Euro
Bilderbuch ab 5 Jahren
Erwerben Sie dieses Buch bei Osiander

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Von Albatrossen, Tigerhaien und einer Tube Carmex

Nächster Artikel

Leute, chillt ma, echt jetzt!

Weitere Artikel der Kategorie »Kinderbuch«

Weihnachten analog

Kinderbuch | Sophie Härtling (Hg.in): Die schönsten Lieder zur Weihnachtszeit Längst schon betätigen wir nur noch kleine Schalter und schon leuchten Lichter, duftet Gebäck, erklingen Lieder. Wir leben digital, vielleicht gibt es demnächst Weihnachten 3.0 und 4.0 mit Weihnachtsbaum-Hologrammen und statt des Weihnachtsmanns zischen Drohnen mit roten Zipfelmützen über die Dächer und schießen Geschenke in die Schornsteine. Man kann Weihnachten aber auch den heutigen Zeiten anpassen, ohne Traditionen aufzugeben. Und wo könnte man besser ansetzen als beim Singen? Sophie Härtling und Joëlle Tourlonias haben das Buch dazu kreiert. Von MAGALI HEISSLER

Wortwitzige Sprachanarchie

Kinderbuch | S.Urbach: Flugsaurier Gaulfriseur. M.Port: Was liegt am Strand und redet undeutlich? Sprache lernen wir, um uns damit verständlich zu machen, um mit anderen in Kontakt zu reden, um damit zu denken. Und wenn wir sie beherrschen, können wir anfangen damit zu spielen. Von ANDREA WANNER

Wenn zwei sich streiten…

Kinderbuch | Melanie Laibl: Hase, Hund, Birnen – und?

Eigentlich spielen Hase Schnifis und Hund Ludovic nur Fangen rund um den Birnbaum. Aber irgendwie wird aus der lustigen Rennerei ein doofer Streit. Und jetzt? Von ANDREA WANNER

Monsieur Hulot und der Oktopus

Kinderbuch | David Merveille: Hallo Monsieur Hulot »Wie eine Perlenschnur sind die Gags aufgereiht, verbunden von einer überaus liebenswerten Intelligenz und einem romantischen Charme, der über Chaplins kalkuliertes Spiel weit hinausgeht. Eine zärtlich-erfreuliche Typen-Komödie, die sich gegen jede filmische Einordnung nicht nur im französischen Kino sperrt.« liest man im Lexikon des Internationalen Films, wenn man nach Monsieur Hulot sucht. ANDREA WANNER als alter Jacques-Tati-Fan freut sich über ein besonderes Bilderbuch.

Hand und Flosse winken sich zu

Kinderbuch | Linde Faas: Der Junge und der Wal

Freunde können so viel miteinander erleben. Spielen, tauchen, dahingleiten. Vor allem wenn der eine ein Junge, der andere ein Wal ist. Ein farbmächtiges Bilderbuch erzählt diese Geschichte. Von GEORG PATZER