/

Auf der Suche nach der Wahrheit

Jugendbuch | Kevin Brooks: Travis Delaney. Was geschah um 16:08?

Bei einem Autounfall kommen die Eltern von Travis ums Leben. Nichts ist mehr, wie es war. Der 13jährige trägt natürlich schwer an diesem Verlust. Aber es gibt noch andere Dinge, die ihn beschäftigen. ANDREA WANNER hat eine tragische, aber auch ungewöhnliche Detektivgeschichte für Jugendliche gelesen.

1608Die Erzählung beginnt auf einem Friedhof, bei der Beerdigung. Travis kann es eigentlich noch gar nicht glauben. Seine Eltern sind tot. Beide. Tragisch ums Leben gekommen, ohne die Möglichkeit, Abschied zu nehmen. Die Situation ist entsetzlich. Die beiden Särge. Die Vorstellung, dass sie darin liegen und Travis sie nie mehr sehen wird. Genau dieses Schreckliche führt dazu, dass er sich abzulenken versucht, die Trauergemeinde mustert. Und dabei einen Mann mit einer versteckten Kamera entdeckt. Der Schmerz ist entsetzlich, aber jetzt ist auch das Misstrauen des Jungen geweckt. War es tatsächlich ein Unfall?

Geschickt baut Kevin Brooks seine Kriminalgeschichte auf. Die Eltern von Travis waren Privatdetektive. Von ihnen hat Travis viel gelernt, achtet auf Details, hat ein Auge für Ungewöhnliches und Auffälliges. So spürt er schnell, dass mit dem großen Fremden mit dem kurzgeschnittenen grauen Haar und den stahlgrauen Augen, der sich neben die Studienfreunde der Eltern stellt, etwas nicht stimmt. Als kurz darauf das Büro seiner Eltern verwüstet wird, ist Travis sich sicher: Es war kein Unfall. Irgendjemand wollte seine Eltern loswerden. Und er will herausfinden, wer das war.

Detektivgeschichten für ein jugendliches Publikum leben meist von wenig überzeugenden Alleingängen; von zur Verfügung stehenden Möglichkeiten, die im wahren Leben nur Profis haben; von Lösungen, von denen eben jene Profis nur träumen können. Travis ist ein Amateur. Er hat ein Fahrrad, mit dem er seinen Aktionsradius etwas erweitern kann und er hat ängstliche Großeltern, die sich nach dem Tod seiner Eltern liebevoll und fürsorglich um ihn kümmern, und auf keinen Fall wollen, dass ihr Enkel sich in Gefahr begibt. Sie wissen, wovon sie reden, schließlich war es der Großvater, der nach seiner Zeit bei der Militärpolizei und beim militärischen Geheimdienst das Detektivbüro Delaney & Co gründete. So weiß Travis, dass sein Großvater ihm weiterhelfen könnte, und muss dennoch seine Recherchen vor ihm geheim halten. Alles dreht sich um die Frage: Was geschah um 16:08, dem Unfallzeitpunkt? Travis puzzelt aus verschiedenen Teilchen allmählich ein Bild zusammen.

Brooks zeigt die Detektivarbeit als mühsames Geschäft, bei dem man langsam vorankommt. Und er nimmt die Hindernisse, auf die ein 13jähriger Junge stößt, ernst. Natürlich gibt es Actionszenen, es wird spannend und Travis gerät in Situationen, in die man nur als Held in einem Jugendbuch gerät. Dennoch zeichnet sich die Geschichte durch ein hohes Maß an Glaubwürdigkeit aus.

Fünf Nominierungen für den Deutschen Jugendliteraturpreis in den vergangenen zehn Jahren, zwei Mal hat Brooks den begehrten Preis gewonnen: 2006 für ›Lucas‹ und 2009 für ›The Road of the Dead‹. Mit Travis hat er erneut einen Helden geschaffen, dem man gespannt durch seine mutige Suche nach der Wahrheit folgt. Umso unverständlicher, dass laut Verlag die angekündigte Fortsetzung ›Wem kannst du trauen‹ nicht erscheinen soll. So ist Travis und mit ihm der Leser der Lösung des Rätsels am Ende nur ein winziges Stückchen nähergekommen.

| ANDREA WANNER

Titelangaben
Kevin Brooks: Travis Delaney. Was geschah um 16:08?
(Travis Delaney: The Ultimate Truth, 2014) Aus dem Englischen von Uwe-Michael Gutzschhahn
München: dtv 2015
320 Seiten. 14,95 Euro
Jugendbuch ab 12 Jahren
| Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Lügenbaroness

Nächster Artikel

Wein und windige Websites

Weitere Artikel der Kategorie »Jugendbuch«

Umwelt, Forschung, Verantwortung

Jugendbuch | Louis Sachar: Schlamm. Oder die Katastrophe von Heath Cliff Drei junge Leute betreten einen verbotenen Wald. Die Konstellation ist denkbar ungünstig und was daraus wird – ist eine Katastrophe. Von ANDREA WANNER

Ein unerkannter Freund fürs Leben

Jugendbuch | Pascale Osterwalder: Daily Soap

Händewaschen war und ist eine der wichtigsten Hygieneregeln in Coronazeiten. Um die um die Ausbreitung von krankmachenden Keimen zu stoppen, wurden in öffentlichen Toiletten Händewaschplakate aufgehängt, das Prozedere in mehreren Sprachen erklärt, das Robert Koch Institut empfiehlt, die Hände etwa 20 Sekunden lang zu waschen. Das beginnt damit, dass man sie nass macht. Und dann kommt die Seife zum Einsatz, direkt aus dem Seifenspender. ANDREA WANNER freut sich, dass dem jetzt ein ganzes Buch gewidmet ist.

Perfekter Sommertraum

Jugendbuch | Kristina Dunker: Ins Blaue hinein Draußen ist es eisig, mancherorts liegt sogar Schnee. Trotzdem kann man von anderen Jahreszeiten träumen. Warum nicht schon vom Sommer? Hitze, Ferien, ein See zum Baden, neue Freunde und dazu ein bisschen Aufregung. Klingt gut? Kristina Dunker macht es möglich. Von MAGALI HEISSLER

Ein Bär ohne Winterschlaf, Sterne und Hasen

Kinder- und Jugendbuch | Ein Gang über die 61. Internationale Kinder- und Jugendbuchmesse Bologna

Der Hans-Christian-Andersen-Preis ging dieses Jahr an den Österreicher Heinz Janisch und den kanadischen Illustrator Sydney Smith – sehr verdient. Aber die Internationale Kinder- und Jugendbuchmesse in Bologna ist vor allem eine Entdeckungsreise für Kinderbuchenthusiasten, die sich zum Glück nicht um Preise, Auflagen oder Lizenzen kümmern müssen. Ein Gang über die diesjährige Messe von GEORG PATZER und SUSANNE MARSCHALL.

Ein Schuss vor den Bug

Jugendbuch | Patricia Thoma: Im Jugendarrest

Es gibt Lebenswelten, in die haben wir normalerweise keinen Einblick. Zu gehört sicher auch der Jugendarrest, eine Maßnahme im Jugendstrafrecht, bei der Jugendliche für eine bestimmte Zeit in einer Jugendstrafanstalt oder einer ähnlichen Einrichtung untergebracht werden. Der Jugendarrest kann je nach Einzelfall und Entscheidung des Gerichts unterschiedlich lang dauern. In Deutschland beträgt die Dauer des Jugendarrests in der Regel zwischen einem Tag und maximal vier Wochen. Es ist also eine vergleichsweise kurze Freiheitsstrafe, die dazu dient, den Jugendlichen zu erziehen und ihm die Konsequenzen seines Handelns vor Augen zu führen. Patricia Thoma eröffnet mit ihrem Projekt einen Blick in die Jugendarrestanstalt Berlin-Brandenburg. Von ANDREA WANNER