Jugendbuch | Lisa Williamson: Zusammen werden wir leuchten
Nachdem sich, zögernd und über viel zu viele Jahre, das Thema Homosexualität ins Mainstream-Jugendbuch geschlichen hat und dort seither ein bescheidenes Plätzchen verteidigt, scheint der Zeitpunkt gekommen, die Fußspitze noch ein Stück weiter über die Grenzlinie zu bewegen. »Transgender« lautet das neueste Schlachtgeflüster in dem deutlich unverändert hochsensiblen Marktsegment. Lisa Williamson war mit ihrem Jugendroman zum Thema im letzten Jahr in England erfolgreich genug, dass es ihr eine Übersetzung ins Deutsche eingebracht hat. Verdient oder unverdient, das ist die Frage. Von MAGALI HEISSLER
David ist vierzehn und hat einen Herzenswunsch. Er möchte ein Mädchen sein. Mit seinem Jungenkörper kann er nichts anfangen, noch mit dem Leben als Junge, das ihm dieser Körper auferlegt. Er beobachtet sich eingehend, notiert voll Schrecken jede Veränderung, von denen die Pubertät mehr und mehr bringt. Er recherchiert über Geschlechtsumwandlung, Hormontherapie, Psychisches. Heimlich legt er sich Mädchenkleider und Make-up zu und lernt via Youtube, wie man sich schminkt. Er hat alles parat für ein neues Leben, sogar die Erklärung für seine Eltern. Was fehlt, ist der Mut, die Erklärung abzugeben.
In der Schule hat er nur eine einzige Freundin und einen einzigen Freund. Gelegentlich wird er gemobbt, weil manche ihn für schwul halten. Angeblich Schwulsein ist David ganz recht, es ist das kleinere Übel.
Leo ist fünfzehn und hat nicht das vorzuweisen, was man geordnete Familienverhältnisse nennt. Er lebt im heruntergekommenen Viertel der Stadt, seine Mutter hat einen Hang zu Alkohol und Männerwechsel. Leo löst seine Probleme gern mit den Fäusten und verbringt viel Zeit bei einer Therapeutin. Nach einem Schulwechsel landet er in der besten Schule der Stadt – mit strengen Auflagen. Die fremden Mitschülerinnen und Mitschüler reagieren mit Misstrauen und Ablehnung, aber Leo ist fest entschlossen, sich zurückzuhalten. Er hat einen guten Grund dafür.
Es ist ausgerechnet David, dessentwegen Leo wieder einmal zuschlägt. Mit den Folgen hat niemand gerechnet, sie sind wahrhaftig revolutionär.
Normen, Normales und Klischees
Williamson konfrontiert ihre Leserinnen schon auf der ersten Seite mit Davids Anderssein in einer Gesellschaft, die ihre Normen der Normalität für selbstverständlich hält. Schnell und geschickt baut sie um den ehrlich leidenden jungen Helden die Welt der Mittelschicht auf. Nichts ist ungewöhnlich daran, die Eltern, das Haus, der Schulalltag, die jüngere Schwester Davids, sind so normal, dass sie schon zu Klischees verkommen. Das ist seitenweise zu wortreich, zu ausführlich und in die Länge gezogen. Spannung gewinnt es, weil alles aus den Augen Davids gezeigt wird. Mit ihm sieht man die Risse im Gebälk, nimmt die falsche Sicherheit wahr, in der sich die wiegen, die überzeugt sind, dass Normalität naturgegeben und nicht gesellschaftlich konstruiert ist.
Die Welt von Leo, die zweite Erzählstimme, ist genauso klischeehaft gezeichnet. Sie bildet den Gegenpol zu Davids bravem Mittelschicht-Dasein, das Negativ. Armut, Vernachlässigung – finanziell wie emotional – Schmutz, Gegreine, Haltlosigkeit: Nichts fehlt. Zu ausführlich ist es gleichfalls, auch hier aber gilt, was für Davids Welt gilt. Leos Stimme lässt die Leserin das längst Ausgelutschte ertragen, auch wenn man sich ab und zu beim Blättern erwischt. Es dauert zu lange, ehe man dahinterkommt, dass Leo kein zuverlässiger Erzähler ist.
Überzeugender ist die Schilderung der Interaktion der Jugendlichen. Gleich, ob es sich um David mit Essie und Felix oder Leo mit David oder Alicia, in die sich Leo verliebt, handelt, die Autorin bringt einer die Figuren in ihrem Leid wie Glück sehr nahe. Auch hat sie ein gutes Auge für Konfliktsituationen unter Jugendlichen. Dass alle Figuren ein wenig blass bleiben, liegt vor allem daran, dass Williamson mit der Schilderung des Alltags zu eng an altbekannten Vorgaben bleibt. Das Personal, die Geschehnisse, vom Mobbing bis zum – völlig realitätsfern geschilderten – Abschlussball sind einzig dem geschuldet, was in den letzten zehn, fünfzehn Jahren in Büchern und Filmen über diesen Alltag von Jugendlichen zum Standard erklärt wurde. Vor lauter angeblicher Normalität fehlt genau das Quäntchen an Originalität, das die Geschichte zu einer besonderen gemacht hätte.
Fürs breite Publikum
Würde die Zeichnung der beiden jugendlichen Hauptfiguren David und Leo nicht so überzeugend vorgenommen, geriete ›Zusammen werden wir leuchten‹ böse in die Nähe einer Schmonzette, die Transgender-Thematik benutzt, um einem breiten Publikum einen neuen Kick zu schenken. Die Autorin meint es aber wirklich ernst mit dem Thema. Sie möchte aufklären, eine Weltsicht schildern, die den meisten sehr fremd ist. Von daher gesehen ist die Geschichte durchaus empfehlenswert, man fühlt die Absicht, ist aber keineswegs verstimmt.
Verstimmung kommt eher auf, wenn man die Schilderung von Davids Vorstellungen genauer betrachtet. Wie die im Buch herrschende Normalität wird auch hierbei mit Schubladen gearbeitet. Die Mädchenwelt, nach der David sich so sehnt, ist eine Barbie-Welt, rosarot und heil. Ihre Gefahren bleiben unerwähnt. Auch ist »Geschlecht« kein fixer Zustand, der sich durch bloße Umkehrung einfach erreichen lässt. Es ist vielmehr Zustand und Konstrukt aus vielen Facetten, durchläuft viele Phasen und ist möglicherweise ein Leben lang nicht abgeschlossen. Transgender als Thema ist weit komplexer und de facto von beträchtlicher Sprengkraft, was den Status quo einer Gesellschaft betrifft. Geht man damit um wie Williamson, sanft und so sacht, dass sie nach dem Outing Davids nicht einmal den innigsten Wunsch ihrer Figur respektiert und ihr weder durchgängig ihren Wunschnamen noch die weiblichen Pronomina zugesteht, ist das so, als würde man ein Messer mit Gummiklinge schwenken. Hier fehlt die Konsequenz, die ein politisches Thema erfordert, selbstverständlich auch im Jugendbuch.
Der Roman ist also eine sehr umfangreiche, wortreich erzählte Familien- und Schulgeschichte gewürzt mit einem ungewohnten Thema. Sie liest sich glatt, mit Heldinnen und Bösewichten unterschiedlichster Couleur, Nebenfiguren, die einer das Herz aufgehen lassen, manchem gescheiten Spruch für die Pinnwand und überhaupt viel Gefühl. Sie reißt mit, fordert aber nicht zum gründlichen Nachdenken über Bestehendes auf. »Nur keine echte Beunruhigung!«, lautet die Parole.
Der Roman kann immerhin für sich verbuchen, dass er ein breites Publikum aufmerksam macht. So gesehen öffnet Williamsons Geschichte wirklich ein Fenster in eine eher unbekannte Welt. Hindurchschauen ist nicht verkehrt.
Titelangaben
Lisa Williamson: Zusammen werden wir leuchten
(The Art of Being Normal, 2015) Übersetzt von Angelika Eisold Viebig
Frankfurt/Main: Fischer KJB 2016
380 Seiten. 13,40 Euro
Jugendbuch ab 14 Jahren
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