»What’s done, is done« (Shakespeare, Lady Macbeth in ›Macbeth‹)

Jugendbuch | Elizabeth LaBan: So wüst und schön sah ich noch keinen Tag

Der Mikrokosmos Internat hat seine eigenen Regeln und Gesetze. Manche blühen dort auf, manche gehen unter. Ein Blick in das Innere einer dieser renommierten Einrichtungen bringt Erschreckendes zutage. Von ANDREA WANNER

So wüst und schön sah ich noch keinen TagDuncan kehrt nach den Ferien mit unguten Gefühlen in die Senior-Klasse des Irving-Colleges zurück. Im vergangenen Schuljahr gab es einen Zwischenfall, die er nicht verarbeitet hat. Und jetzt landet er auch noch ausgerechnet im ehemaligen Zimmer von Tim. Der hat ihm eine Sammlung von CDs hinterlassen, auf denen der die ganze Tragödie, die mit einer besonderen Begegnung ihren Anfang nimmt und mit einem schrecklichen Unfall endet, schildert.

Tims Geschichte nimmt schließlich Duncans ganzes Denken in Anspruch und er ist drauf und dran, selbst einen großen Fehler zu begehen.

Elisabeth LaBan entwirft ein beklemmendes Szenarium mit gleich zwei Helden. Der tragische Verlierer ist Tim Macbeth, ein verunsicherter Junge, der mit seinem Schicksal ein Albino zu sein, hadert. Und sich ausgerechnet in das schönste Mädchen verliebt, das er sich vorstellen kann. Statt zu seinen Gefühlen zu stehen, ist sein Selbstbewusstsein bereits so schwer beschädigt, dass er auf seine Mitschülerinnen und Mitschüler nicht mehr angemessen reagieren kann. Er wittert überall Verschwörung und Verrat, nur um dann wieder von einer Beziehung zu Vanessa zu träumen.

Die Geschichte wird abwechselnd aus der Perspektive der beiden Jungen erzählt: Duncan in seinem letzten Schuljahr und Tim, der im Rückblick einen Teil des zurückliegenden Schuljahres lebendig werden lässt. Die Klammer bildet das titelgebende Shakespeare-Zitat aus dem Munde Macbeths und eine in der Abschlussklasse zu schreibende Hausarbeit zum Thema Tragödie.

Was ist eine Tragödie? Wann scheitert ein Held? Ist dieses Scheitern unvermeidlich? An welchem Punkt hätte wer sich anders verhalten können und müssen? Und was schließlich unterscheidet eine Tragödie von einem tragischen Ereignis? In der Auseinandersetzung mit diesen Fragen und dem Schicksal von Tim, nähert sich Duncan allmählich einer Antwort an.

Das fordert jugendlichen Leserinnen und Lesern einiges ab, denn LaBan verwendet viele Seiten für das Nachdenken und Reflektieren ihrer Figuren, baut zahlreiche literarische Anspielungen ein und lässt der Geschichte viel Zeit, sich zu entwickeln. Ein charismatischer Lehrer, der mit Begeisterung unterrichtet, darf ebenso wenig fehlen wie zahlreiche kleine Rituale und Besonderheiten, die das Internatsleben prägen.

Am Ende entlässt einen der Roman ohne entscheidende Fragen abschließend geklärt zu haben. Zwei Jungs haben ihre Schulzeit im Irving-College, das Motto »Tritt ein, um Freundschaft zu schenken und zu finden« schwebt im Raum, zusammen mit vielen Fragen, die einem das gelungene Debüt, das bereits 2013 in den USA erschien, mitgibt. »Things without all remedy should be without regard; what’s done is done!«, sagt Lady Macbeth im 3. Akt des Dramas. Harte Worte. Und ein hartes Schicksal, das auf einen tragischen Fehler folgt. LaBan schildert diesen Fehler mit allen Konsequenzen.

| ANDREA WANNER

Titelangaben
Elizabeth LaBan: So wüst und schön sah ich noch keinen Tag
(The Tragedy Paper, 2013). Aus dem Englischen von Birgitt Kollmann
München: Hanser 2016
288 Seiten, 16,90 Euro
Jugendbuch ab 13 Jahren
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