/

Verfluchte Liebe: Kino, Film

Comic | Charles Berberian: Cinerama / Blutch: Ein letztes Wort zum Kino

Comicschaffende und das Medium Film – im Reprodukt Verlag erschienen jüngst zwei Bände, deren Urheber jeweils ureigene Blicke auf das Kino werfen: Charles Berberians ›Cinerama‹ und Blutchs ›Ein Letztes Wort Zum Kino‹. CHRISTIAN NEUBERT hat sich das Comic gewordene Double Feature vorgenommen.

Beim Versuch, die Funktionsweise von Comics zu beschreiben, wird immer wieder auf das Medium Film verwiesen. Und auch, wenn einige Autoren und Zeichner die offenkundige Verwandtschaft in Abrede stellen: Eine gewisse Nähe wird alleine schon durch die zahllosen Comic-Verfilmungen bezeugt. Die sind gleichermaßen Trend und Erfolgsgarant: Seit einigen Jahren werden bewegende Einzelbilder regelmäßig zum Bewegtbildmedium – und fertig ist der jeweils aktuelle Kassenschlager. Zumindest, solange es sich um Superheldenverfilmungen handelt.

Comic-Film-Verschränkungen können aber aus anders ausfallen. Zum Beispiel in Form vom Comics, die sich inhaltlich dem Medium Film widmen. Naheliegend sind da natürlich Comic-Adaptionen vom Filmen. Im Berliner Reprodukt Verlag erschienen allerdings zwei Bände, die dieses viel gerittene Pferd anders aufzäumen. Sie gehen das Thema aus der jeweils persönlichen Sicht ihrer Urheber an – und werfen ureigene Blicke auf das Kino und den Film.

Cinerama

Charles Beberian - CineramaSo präsentiert der französische Zeichner Charles Berberian mit dem Comic ›Cinerama‹ eine erfrischend eigenwillige »Auswahl der besten schlechtesten Filme der Welt«. Der Band zeichnet über den Umweg der Auseinandersetzung mit Filmen ein Stück weit seine Sozialisation nach: Berberian wurde Ende der Fünfziger Jahre in Bagdad geboren. Da verwundert es nicht sehr, dass er in ›Cinerama‹ zuallererst einen türkischen Film vorstellt: ›Dünyayi Kurtaran Adam‹ – ›Der Mann, Der Die Welt Rettete‹. Berberian erzählt ihn nach, auf wenigen Seiten, mit ironischem Blick. Der Streifen featured Star Wars-Einspieler und verleugnet den armenischen Genozid sogar auf fernen Planeten. Das ist harter Tobak, ein starkes Stück, billig und bescheuert – und eben der reißerische Stoff, aus dem die Bubenträume sind.

Mehr oder minder schwachsinnige Trash-Streifen wie dieser feuerten seine kindliche Fantasie am meisten an, und er weiß, dass er damit nicht allein dasteht. Seiner ehrlichen Begeisterung und den erhellenden Ausflügen in die Filmwelt des Nahen Ostens folgen exklusive Erfahrungsberichten von den Kinobesuchen seiner Kindheit sowie eigens kuratierte Retrospektiven. Zum Beispiel auf den Spielfilm ›Duett Zu Dritt‹, der Catherine Deneuve und Christopher Lambert auf die Leinwand hievt und deren Love Story er zur Analogie auf Aufstieg und Fall der französischen Linken erklärt.

Berberians knappe und sprunghaft angelegte Ausflüge in die Filmwelt sind kurzweilig und auch ohne Kenntnisse der zugrunde liegenden Filme amüsant. Überhaupt ist der dünne Band konsequent kompiliert: Er meint seine »Auswahl der besten schlechtesten Filme der Welt« ernst, anstatt sie z.B. aus der Konsens-Kost des westlichen Kinos zu rekrutieren.

Ein letztes Wort zum Kino

Die großen, unsterblichen Momente des europäischen und nordamerikanischen Kinos sind es wiederum, die den französischen Autorenzeichner Blutch zu denken geben. In seinem sperrigen, aber grandiosen Band ›Ein Letztes Wort Zum Kino‹ macht er deutlich: Film fasziniert ihn, er liebt das Medium. Seine Liebe ist allerdings voller offener Widersprüche. »Wir können uns nicht anders denken als künftige Burt Lancaster, athletisch, zauselhaarig, zu jeder Keilerei bereit«, erklärt er mit bübischer Bewunderung.

Blutch - Ein letztes Wort zum KinoEr weiß, dass es Leinwandhelden sind und waren, denen unsere kindliche Bewunderung gilt und deren Lebensläufen wir nacheifern. Einfach nur, weil filmische Fiktion uns nicht nur erstrebenswerter, sondern auch greifbarer erscheint als z.B. die Erwerbstätigkeit der eigenen Eltern – eingedenk, dass die Filmkünstler ihren Zuschauern konsequent ihren langsamen Niedergang anbieten. Mit Wehmut legt Blutch offen, dass die vitale Kraft des Kinos sich vom Verfall seiner Macher und Protagonisten nährt. Nicht umsonst eröffnet er den Band mit Paul Newmans Tod. »Einer muss ja schließlich der toten Schauspieler gedenken.«

Blutchs Faszination für den Film ist offenkundig. Allerdings ist sie auch mit Abneigung und Zweifel getränkt. Seine großartigen Bilder tragen die körnige Patina alter 35mm-Kopien, seine cineastische Schaulust blickt verschämt auf jene, die den Frauen gilt. Er entlarvt das Medium Film als ausbeuterische Maschinerie, die die Frau zur »öffentlichen Olympia« macht und den Beginn der »pornografischen Zivilisation« markiert. Er selbst tritt dabei immer wieder kommentierend ins Bild. Er relativiert und spitzt zu, schweift ab und führt aus. Ein Absolutheitsanspruch liegt ihm dabei fern. Aber wie könnte er sich den auch anmaßen, gehört er doch immer noch dem Kino.

| CHRISTIAN NEUBERT

Titelangaben
Charles Berberian: Cinerama
Aus dem Französischen von Ulrich Pröfrock
Berlin: Reprodukt 2016
56 Seiten. 14 Euro.
| Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander

Blutch: Ein letztes Wort zum Kino
Aus dem Französischen von Ulrich Pröfrock
Berlin: Reprodukt 2016
88 Seiten. 24 Euro.
| Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Der Stör hatte einen leichten Stich

Nächster Artikel

Mit ganzer Leidenschaft

Weitere Artikel der Kategorie »Comic«

Batman und Paul

Comic | Paul Dini / Eduardo Rosso: Dark Night Die Anzahl an Comics über den Superhelden Batman sind inzwischen Legion, und auch die Zahl derer unter ihnen, die der Zeichner und Texter Paul Dini kreiert hat, ist sehr ansehnlich – war er doch bei der Schaffung von diversen Comics und Animationsfilmen beteiligt, wie ›Hush – Herz der Finsternis‹ oder ›Arkham City‹, und er hat sich die Superschurkin Harley Quinn ausgedacht. Doch seltener sind Autobiographien, in denen Batman eine zentrale Rolle spielt. Wie sehr die Welt des dunklen Ritters Paul Dini beherrscht, zeigt nun sein neuer autobiographischer Comic ›Dark Night. Eine

Die Fabel der neurotischen Katze

Comic | Alexander Braun (Hrsg.): George Herrimans ›Krazy Kat‹ George Herrimans Comic-Strips der Serie ›Krazy Kat‹ gelten als Pionierwerke der Comickunst, noch lange bevor Comic-Hefte oder Graphic Novels gesellschaftsfähig wurden. Über zehn Jahre, von 1935 bis 1944, zeichnete Herriman einseitige Strips in der Sonntagsausgabe der US-amerikanischen Zeitung ›Evening Journal‹. Die Handlungsstränge zwischen einer Katze, einer Maus und einem Hund legen damit das Fundament für viele Zeichner und gelten die Inspiration für viele weitere Geschichten – von »Tom & Jerry« bis zu Charles M. Schulz‘ ikonischem »Charlie Brown«. So war es längst überfällig, dass der Comic-Experte Alexander Braun nun sämtliche Sonntagsseiten

In kunterbunten Abgründen

Comic | Simon Hanselmann: Megg, Mogg & Eule: Hexe total ›Megg, Mogg & Eule‹, die australische Comicserie um eine kiffende Hexe und ihre WG, verspricht skurrilen Spaß und originelle Unterhaltung mit schrulligen Figuren. Doch Vorsicht: Was so unschuldig und naiv aussieht wie die Zeichnungen von Simon Hanselmann, hat es meistens faustdick hinter den Ohren. Eine Warnung von BORIS KUNZ

Blockbuster in Verkleidung

Comic | Jeff Lemire (Text), Dustin Nguyen (Zeichnungen): Descender – Buch 1: Sterne aus Blech Jeff Lemire, der schon mit seiner apokalyptischen Fabel ›Sweet Tooth‹ ein ebenso meisterhaftes wie eigentümliches Genrewerk geschaffen hat, erweist sich auch in seiner Sci-Fi Reihe ›Descender‹ als guter Erzähler. Er versteht es, auch auf vertrautem Terrain originelle Wege zu gehen. BORIS KUNZ ist unter seiner Leitung in den Weltraum aufgebrochen.

Verliebt in einen Vampir

Comic | Joann Sfar (Text und Zeichnungen): Vampir (Grand Vampire Tome 1 – 4) Der kleine Vampir Desmodus ist erwachsen geworden: In seiner Serie ›Grand Vampire‹ erzählt der französische Comicstar Joann Sfar von amourösen Komplikationen in einer Welt voller Hexen und Vampire, Golems und Geister, Werwölfe und Gespensterjäger. BORIS KUNZ über den ersten Band der zweiteiligen Gesamtausgabe, mit der der Avant-Verlag das kultige Universum von Sfar weiter ausbaut.