Roman | Musik | Hollow Skai: Samuel Hieronymus Hellborn – Memoiren eines Rockstar-Mörders
Bei David Bowie oder Lemmy Kilmister hatte er seine Finger nicht im Spiel. Das kann aber purer Zufall sein: als die starben, war er selbst schon tot. Bei praktisch allen anderen Big Names aus der Branche »populäre Musik« dagegen hat sich Samuel Hieronymus Hellborn zum Herrn über (Markt/Nach-)Leben & Tod aufgespielt. Wie und warum, das hat Hollow Skai soeben veröffentlicht: in den ›Memoiren eines Rockstar-Mörders‹, nach Diktat von Hellborn persönlich.
Von PIEKE BIERMANN
»Sex sells« – das lernt der BWL-Student allerlei Geschlechts im Grundkurs »Marketing«. Es ist das kleine Einmaleins für die wundersame Profitvermehrung beim Verkauf toter Gegenstände wie Deos oder Autoreifen. Aber womöglich hat Sex als Verkaufsfaktor bald ausgedient, wo doch heute alle Welt digitally oversexed ist. Und überhaupt, wie ist das mit der Mehrwertschöpfung eigentlich bei lebenden Menschen? Erst recht bei solchen, die selber zu Sexsymbolen auf zwei Beinen avanciert sind? Was kann bei denen schöne Profite generieren? Ganz einfach: der Faktor Tod. Der ist noch ein richtig schönes Tabu, also verkaufsfördernd: »Death sells«.
Éducation musicale
Das ist zwar auch keine ganz taufrische Erkenntnis. Aber in einer derart radikalen Mischung aus edlen Motiven und eiskaltem Kalkül hat sie vermutlich noch keiner umgesetzt wie ein gewisser Samuel Hieronymus Hellborn, geboren 1917 in Leland, Mississippi. Sein Vater stammt aus Hannover, Niedersachsen, und ist insofern geradezu verwachsen mit der Musikindustrie avant le mot, als er in der daselbst von den Brüdern Berliner gegründeten ersten Schallplatten-Fabrik gearbeitet hatte, weshalb er mitsamt seinem Grammophon in die USA einwandert. Die Mutter hingegen ist eine Southern Belle, deren Familie die halbe Stadt gehört. Hellborn jun. erhält seine frühkindliche Prägung durch Papas Grammophon und namentlich den allerersten Schellack-Hit – eine Opernarie von Enrico Caruso –, für die Vertiefung der Musikmanie des weißen Kerlchens sorgen die lokalen schwarzen Clubs mit all den Delta-Blues-Legenden. Ach ja, und den schwarzen Frauen, of course.
Ein toter Star ist ein guter Star
Dummerweise scheint über seiner Geburt irgendein Unstern geleuchtet zu haben. Irgendwas »Voodo-Chile«-mäßiges à la Jimi Hendrix goes featuring Muddy Waters & Willie Dixon – aber lassen wir das, das kommt ja erst später. Jedenfalls bringt Hellborn jun. allen möglichen Leuten irgendwie Pech. So auch ausgerechnet Bessie Smith, die er so sehr verehrt: Sie brettert 1937 just in den LKW, den er unbeleuchtet am Straßenrand stehen lassen hatte, weil er mal pinkeln gehen musste. Sie stirbt – und hier beginnt auch Hellborns Karriere als Gerüchte- und Legendenaufräumer – aber nicht als Opfer der Rassentrennung, weil kein weißes Krankenhaus sie aufnehmen will. Er selbst sorgt dafür, dass sie viel zu spät gefunden wird. Nach kurzer Zerknirschung dämmert ihm: Sein Unstern ist in Wahrheit ein Glücksstern. Denn tot wird die schon ziemlich abgehalfterte Bessie plötzlich wieder beliebt. Also sagt er sich, »wenn nichts so viele Platten verkaufte wie der Tod eines Stars, dann müssten die eben beizeiten sterben.« Nämlich bevor sie als drogenverstrahlte oder sonstwie ausgebrannte Schatten ihrer selbst der Unwürde anheimfallen.
Die Wahrheit hinter den Legenden
Das ist der Beginn eines 75 Jahre währenden Killermarathons, bei dem Hellborn alles abräumt, was Rang & Namen hat. Zum Beispiel die Crème von Delta- und Chicagoblues (ua. Robert Johnson, dann die von Country und Rock’n’Roll (ua. Buddy Holly), später die des Summer of Love (ua. Janis Joplin), des New Yorker CBGB, des Brit Punk, der Hiphopper von West wie East Coast, Solitäre wie Jimi Hendrix, Elvis Presley (den er für die angebetete Debbie Harry aus dem Weg schaffen muss), Whitney Houston, Amy Winehouse, Michael Jackson, Lou Reed… Sein modus operandi ist jeweils dem Opfer exakt angepasst – von Vergiften über Ertrinken und Erhängen, bis zu goldenen Schüssen, falsche Flugwetterdaten und drive-by shootings.
Immer wieder enthüllt Hellborn die »wahre Geschichte« hinter der Legende, klärt die Gerüchte um den hoax mit Paul McCartneys Doppelgänger und rückwärts zu spielende Beatles-Titel oder den angeblichen Tod von Jim Morrison. Ein paarmal muss er – aus Gründen einer Erpressung, seine große Liebe Ludmila und Tochter Maybellene (ja genau, Chuck Berry…) betreffend – als Auftragskiller tätig werden, bei Tupac Shakur beispielsweise. Aber das ist nicht sein Ding. Hellborn tötet, wen er liebt und vor dem Verderben bewahren will, und einige hat er vorher selbst zum Liebesobjekt gemacht. Am Ende gründet er eine Agentur für Sterbehilfe, die Real Life Corporation, à la Jack Londons »Mordbüro«, die Maybellene dann übernimmt.
Unterland des Abendgangs
All das sind nur Nano-Partikel aus dem, was sich Hollow Skai – Musikerbiograph, Journalist und einstiger no fun records-Gründer – angeblich 2014 auf Band diktieren lassen hat, aber erst jetzt, nach Hellborns eigenem Tod, rausbringen durfte. Die 300 Seiten Ich-Erzählung sind herrlich bösartiger Klatsch & Tratsch und treiben, frei nach Schiller, mit Entsetzen Sport. Selbstverständlich kriegt die ganze mörderische Musikindustrie ihr Fett weg. Beinah nebenbei streift Hellborn Skai noch allerlei Welthistorie – als embedded journalist in General Pattons Truppe, der D-Day am Omaha Beach mitmacht, als direkt von Nine-Eleven Betroffener … – und jongliert ebenso leichthändig mit allerlei abendländischem Bildungsgut (u.a. Augustinus, Nietzsche, Baudelaire, Lautréamont, Rimbaud, Walter Benjamin; Kunst- und Filmgeschichte). Alles ziemlich sehr faktensicher und plausibel zusammengesetzt.
Ach ja, um auf den Anfang zurückzukommen: Sex gibt’s natürlich auch, und zwar expliziten, in rauen Mengen. Kann man ja wohl auch erwarten, gehört schließlich dazu zu Drugs & Rock’n Roll!
Titelangaben
Hollow Skai: Samuel Hieronymus Hellborn – Memoiren eines Rockstar-Mörders
Bremen: Fuego Verlag 2016
300 Seiten, 12,00 Euro
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| Webseite von Hollow Skai
| Eine frühere Fassung erschien am 6. Juli 2016 im Deutschlandradio Kultur