/

»Du bist ein richtiger Mensch.«

Menschen | Zum 50. Todestag des Schriftstellers Oskar Maria Graf am 28. Juni

»Ja, glauben sie vielleicht, ich höre mir ihren Quatsch stundenlang kostenlos an?« Hemdsärmelig und burschikos, mutig und geradlinig wies der Schriftsteller Oskar Maria Graf nach einigen Maß Bier und einer deftigen Portion Schmalznudeln in einem Münchener Wirtshaus Ende der 1920er Jahre bei einem Treffen den späteren »Führer« Adolf Hitler in die Schranken. Von PETER MOHR

Oskar Maria GrafHitler hatte schon vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten, den urbayerischen Schriftsteller Oskar Maria Graf wegen seiner Volksnähe zu vereinnahmen versucht – und holte sich eine kräftige Abfuhr.

Der gelernte Bäcker, der am 22. Juli 1894 geboren wurde und mit 17 Jahren den elterlichen Betrieb und das kleine Dorf Berg am Starnberger See verließ, der 1914 eine Geisteskrankheit vortäuschte, um für den Ersten Weltkrieg ausgemustert zu werden, wurde von den Nationalsozialisten (gegen seinen Willen) lange Zeit protegiert. Seine Bodenständigkeit und seine literarische Nähe zum Bauerntum und zum arbeitenden Volk schienen dem NS-Regime gut in die »Blut-und-Boden-Ideologie« zu passen.

Empört reagierte Oskar Maria Graf im Mai 1933, als seine Bücher nicht auf dem Scheiterhaufen landeten, sondern Goebbels‘ »weiße Liste« zierten. »Das habe ich nicht verdient. Verbrennt mich!«, forderte Graf in der Wiener ›Arbeiterzeitung‹. Von Wien, wo er sich zu einer Lesereise aufhielt, kehrte er nicht wieder nach Deutschland zurück – und sein lebenslanges Exil begann. Über Brünn und Holland emigrierte Graf mit seiner jüdischen Frau Mirjam 1938 in die USA.

Zu diesem Zeitpunkt lagen bereits einige seiner bekanntesten Werke vor: sein autobiographisches Werk ›Wir sind Gefangene‹ (1927), in dem er den Untergang der Weimarer Republik geradezu hellsichtig prophezeite; das Kleinbürgerportrait ›Die Ehe des Herrn Bolwieser‹ (1931); seine literarische Abrechnung mit den Sozialdemokraten im Roman ›Der Abgrund‹ (1936); und sein vielleicht bis heute gelungenstes Werk, der Roman ›Anton Sittinger‹ (1937). Darin wird anhand eines Postinspektors (»Mei Ruah will i ham!«) ein literarisches Paradigma für einen unpolitischen Opportunisten gezeichnet.

Derb und kantig sind alle Werke des Ur-Bayern, der seine Herkunft auch im Exil nie verleugnen wollte. Graf hat stets dem Volk auf den Mund geschaut, allen ästhetischen Konventionen zum Trotz. Aus diesem Grund hat er auch nie eine besonders große Affinität zu seinen großbürgerlichen Exilgenossen Thomas Mann und Lion Feuchtwanger verspürt, deren Werke er als Produkte einer »elitären Geistigkeit« geißelte.

Erst dreizehn Jahre nach Kriegsende erhielt Graf die angestrebte US-Staatsbürgerschaft und besuchte 1958 eine Tagung des deutschen PEN-Clubs. In Lederhosen und Trachtenjanker gekleidet, erschien er so in der Heimat, wie er sie ein Vierteljahrhundert zuvor verlassen hatte. Zwar gab es danach ernsthafte Gedanken an eine Rückkehr nach Deutschland, aber »der latent aufkommende Antisemitismus und das wiedererwachte, engstirnig provinzielle deutsche ›Tüchtigkeits-Protzentum‹« hielten ihn ab. Doch Graf blieb auch fern der Heimat ein politisch unbequemer Zeitgenosse. 

In seinen beiden autobiographischen Spätwerken ›Die Flucht ins Mittelmäßige‹ und ›Gelächter von außen‹ prangert er den in der Bundesrepublik sich breitmachenden »Hang zum Überdecken und Vergessen«. So starb Oskar Maria Graf, der Autor von 11 Romanen, 14 Erzählungen, 3 Gedichtbänden und 8 Teil-Autobiographien, von der deutschen Öffentlichkeit fast unbeachtet am 28. Juni 1967 in New York.

Ein Jahr nach seinem Tod wurde seine Urne auf dem Münchener Friedhof in Bogenhausen beigesetzt. Weitere zwanzig Jahre später wurde nach heftigen kommunalpolitischen Diskussionen am 2. August 1988 an seinem langjährigen Wohnhaus an der Münchener Barerstraße 37 eine Gedenktafel eingeweiht. Die Rückkehr auf Raten eines Autors, der seine bayerische Heimat – trotz heftiger gegenteiliger Beteuerungen – über alle Maßen geliebt hat, aber lange Zeit auf wenig Gegenliebe stieß. Noch in den 1980er ließ es sich nach heftigen Anwohnerprotesten in seiner Heimatgemeinde Berg nicht durchsetzen, eine Straße nach ihm zu benennen. Erst zu seinem 100. Geburtstag im Jahr 1994 errichtete die Gemeinde ihrem berühmtesten Sohn ein Denkmal.

Oskar Maria Graf MinutengeschichtenAnlässlich des 50. Todestages ist im Ullstein Verlag eine Neuausgabe der lange vergriffenen ›Minutengeschichten‹ erschienen. Im List Verlag liegt außerdem die von Wilfried F. Schoeller herausgegebene Werkausgabe von Oskar Maria Graf vor.

Provinzschriftsteller, mutiger Antifaschist, Heimatdichter, sozialistischer Träumer, Nachfahre des literarischen  Realismus des 19. Jahrhunderts: Von all dem ist Oskar Maria Graf sicher etwas gewesen. Doch am treffendsten charakterisierte ihn der russische Dichter Tretjakow in einem Brief: »Du bist ein richtiger Mensch.«

| PETER MOHR

Reinschauen
Oskar Maria Graf: Minutengeschichten
Herausgeber: Wilfried F. Schoeller
Berlin: Ullstein 2017
336 Seiten, 20 Euro
| Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Anziehend schräg

Nächster Artikel

TITEL unterwegs

Weitere Artikel der Kategorie »Menschen«

»Heftige Gefühle entwickeln«

Menschen | Zum Tod des Filmregisseurs Joseph Vilsmaier »Das Filmen ist nicht nur mein Beruf, es ist auch mein Hobby, seit ich 14 bin. Da kommt also alles zusammen. Das versuche ich so gut wie möglich zu machen“, hatte Joseph Vilsmaier vor knapp drei Jahren rückblickend in einem Interview bekannt. Von PETER MOHR

Frankie Knuckles: A Tribute To A True Gentleman of House.

Bittles‘ Magazine As many of you are probably aware, Frankie Knuckles, the famous DJ and producer, passed away at his home in Chicago on the 31st of March 2014 from type II Diabetes-related complications. One of the originators of the house sound Frankie was much loved by everyone who had had the pleasure of meeting him, heard his music, or experienced the aural delight of one of his legendary DJ sets. By JOHN BITTLES

Der verstummte Dichter

Menschen | Zum 25. Todestag von Wolfgang Koeppen

Er ist heute noch ein großer Unbekannter, obwohl er zu den herausragenden deutschsprachigen Romanciers nach dem Zweiten Weltkrieg gehört. Die Rede ist von Wolfgang Koeppen, der früh das Schreiben eingestellt, kaum Interviews gegeben hatte und so schon zu Lebzeiten zum Mythos avanciert war. Von PETER MOHR

Wie Rauch in den Winden

Roman | Raoul Schrott: Eine Geschichte des Windes

Es ist ein wunderschönes Buch, nicht nur von außen, rundum, nein, auch sein Inhalt, geschrieben über oder aus Sicht eines Mannes, der eigentlich immer im Hintergrund stand, der wenig bekannt ist, dem nie große Beachtung zuteilwurde: Hannes aus Aachen. Und seine unglaubliche Seefahrt-Geschichte beginnt vor 500 Jahren. BARBARA WEGMANN hat das Buch gelesen.

Auf dem Weg in den Pophimmel

Comic | Reinhard Kleist: Starman

David Bowie ist als Pop- und Rockstar eine Legende, mit seinem androgynen Look und seinen psychedelisch anmutenden Liedern hat er sich einen festen Platz im Pophimmel und in den Herzen seiner Fans erspielt. Der Auftritt mit schrillen Haaren und den bunt schillernden Kostümen des aus dem All auf der Erde gelandeten Ziggy Stardust machte Bowie bekannt – und verlieh ihm eine Bekanntheit, die bis heute anhält. Reinhard Kleist zeichnet in seiner Graphic Novel ›Starman‹ die frühen Jahre David Bowies in London nach. Von FLORIAN BIRNMEYER