Der Fantast

Film | Im Kino: Shape of Water – Das Flüstern des Wassers

Ein Monsterfilm als Oscar-Favorit? Im oft engstirnigen Hollywood fast undenkbar, 2018 aber Realität. ›Shape of Water‹, im deutschen Titel unnötig mit dem Zusatz ›Das Flüstern des Wassers‹ versehen, geht als scheinbar aussichtsreichster Kandidat in das diesjährige Rennen um den begehrten Goldjungen. 13 Mal nominierte die Academy das neue Werk von Guillermo del Toro, unter anderem in den Königskategorien, für den besten Film und den besten Regisseur. FELIX TSCHON fragt sich: »Was steckt hinter der Euphorie?«

Poetisch

Film The Shape of WaterTräumerische, vor allem romantische, jedoch auch melancholische Hintergrundmusik. Eine langsame Kamerafahrt durch überschwemmte Räume, Mobiliar schwebt nahezu im lichtdurchfluteten Wasser. Eine raue Männerstimme aus dem Off. Was würde er erzählen, sollte er über das sprechen, was passiert ist, fragt sich der Stimminhaber. Würde er über sie sprechen, die Prinzessin ohne Stimme? Über das Monster, das versuchte, alles zu zerstören?

Die Anfangssequenz verrät bereits, welche Richtung ›Shape of Water‹ einschlägt. Die ersten knapp zweieinhalb Minuten sind poetisch und eine Augenweide. So auch die folgenden fast zwei Stunden. Das Werk verspricht früh viel, hält davon über die gesamte Spielzeit einiges, allerdings nicht alles.

Die stumme Elisa (Sally Hawkins) führt in einer US-amerikanischen Küstenstadt in den frühen 1960er-Jahren ein einfaches, einsames Leben. Masturbation in der Badewanne und gemeinsames Fernsehen mit ihrem Nachbarn Giles (Richard Jenkins) bilden die Tageshöhepunkte der Putzfrau einer Militäreinrichtung. Als sie an ihrer Arbeitsstätte ein gefangenes Amphibienlebewesen (Doug Jones) entdeckt, schmiedet Elisa den Plan, es zu befreien. Der boshafte Colonel Richard Strickland (Michael Shannon) stellt sich ihr dabei entgegen, ihre Berufsleidensgenossin Zelda (Octavia Spencer) und der Wissenschaftler Dr. Robert Hoffstetler (Michael Stuhlbarg) helfen ihr derweil mehr oder weniger freiwillig.

Zeitpolitische Monsterparabel

Keine Frage, Guillermo del Toro mag Monster. Bedrohlich wirkende Fabelwesen fantastischer Gestalt, äußerste Außenseiter. In der Filmografie des Regisseurs finden sich die oftmals geschassten Grusler verlässlich wieder, gerne als Prota- und nicht als Antagonisten. ›Shape of Water‹ ist nun eine Liebesgeschichte, ein Mensch verfällt einem jener Wesen. Der Mexikaner schafft eine Parabel, die absolute Aufgeschlossenheit gegenüber dem Unbekannten verlangt, totale Toleranz. Ja, es gibt eine Sexszene. Zeitpolitisch könnte das kaum besser passen.

Dabei zeigt del Toro nach ›Pan’s Labyrinth‹ von 2006 erneut, dass er es wie kaum ein anderer versteht, Fantastik und Dramatik der Realität stimmig in einem Konstrukt zu vereinen. Es wäre töricht, seine beiden Werke lediglich im Fantasy-Genre einzuordnen, weisen sie jeweils auf eigene Art doch hohe gesellschaftskulturelle Relevanz auf.

Regie hui, Plot pfui

Herausragend, wie der Filmemacher die Stärken seiner Produktion ausspielt. Das Produktionsdesign von Paul D. Austerberry gehört dazu, fast ausschließlich spielt ›Shape of Water‹ in den hervorragend ausgestatteten Wohnungen von Elisa und Giles, die einem guten Schmöker entstammen könnten, sowie der militärischen Station, die im Vergleich bedrohlich und steril daherkommt. Dazu gehört außerdem die Kameraarbeit von Dan Laustsen, die großen Anteil an der erfolgreichen Symbiose zwischen Fantasie und Realität trägt. Nicht zu vergessen der Score des Franzosen Alexandre Desplat, der seine Herkunft dieses Mal hörbar macht, dabei seine in der Filmmusik fast unvergleichbare Kreativität nach ›The Grand Budapest Hotel‹ wieder einmal beweist.

Leider fallen Drehbuch und Story etwas ab. Das Skript, das Guillermo del Toro mit Vanessa Taylor verfasste, weist durchaus Klasse auf. Die Kommunikation zwischen den Charakteren beispielsweise, ob im Dialog oder nonverbal, überzeugt. Auch die Geschichte, die del Toro sich selbst ausdachte, bietet viel, strotzt sie doch vor Raum für weitere Ideen. Der Plot aber offenbart Schwächen. Etwas weniger Fabelflair, etwas mehr Hintergrund und Spannung hätten gutgetan. Es fehlen Unvorhersehbares und Überraschungseffekte.

Grandiose Sally Hawkins

Toll sind derweil die Schauspielerei von Sally Hawkins und Richard Jenkins. Beeindruckend, wie Hawkins ihre Figur sprachlos erinnerungswürdig macht. Das Zucken der Britin, wenn Elisa sich mithilfe ihrer Kollegin Zelda an der Stempeluhr vordrängelt, um zumindest auf dem Blatt nicht zu spät zur Arbeit zu kommen. Durch Gestik und Mimik verleiht Hawkins Leben. Sehr angenehm agiert Jenkins in ihrem Schatten. Er erfindet den Charakter des empathischen Mitstreiters in ungewohnter Situation nicht neu, schließlich hat er ihn selbst schon mehrfach gemimt; der 70-Jährige interpretiert den homosexuellen Giles, einen Werbezeichner, dessen künstlerisch wertvolle Skizzen nicht mehr gefragt sind, jedoch mit eindringlicher Zärtlichkeit.

Natürlich verdient sich auch Doug Jones, bewährter del-Toro-Weggefährte hinter der Maske, eine Erwähnung als Amphibienmann mit großen Augen. Michael Stuhlbarg gefällt im weiteren Ensemble mit gewohntem Witz, auch Octavia Spencer macht ihre Sache gut. Michael Shannon spielt leider den Bösewicht, den er immer mal wieder spielt. Das ist in Betracht seines außerordentlichen Talents durchaus bedauerlich.

Was macht das Menschsein aus?

Er sehe sie, wie sie sei, sagt Elisa an einer Stelle über das ungewöhnliche Wesen, in das sie sich verliebt. Was bedeutet es ein Mensch, ein Lebewesen zu sein? Guillermo del Toro sucht in seinem neuen Film eine Antwort auf keine geringere Frage als diese. Die findet der Regisseur schließlich auch, handwerklich von Anfang bis Ende herausragend, erzählerisch allerdings nicht immer. Er ist eben mehr Fantast als Dramatiker.

| FELIX TSCHON

Titelangaben
Shape of Water – Das Flüstern des Wassers
Regie: Guillermo del Toro
Drehbuch: Guillermo del Toro & Vanessa Taylor
Darsteller/Cast:
Sally Hawkins: Elisa Esposito, Michael Shannon: Richard Strickland
Richard Jenkins: Giles, Octavia Spencer: Zelda Fuller
Michael Stuhlbarg: Dr. Robert Hoffstetler, Doug Jones: Amphibian Man
Kamera: Dan Laustsen, Musik: Alexandre Desplat

2 Comments

Schreibe einen Kommentar zu Filmkritik | SHAPE OF WATER | le cineaste - derfilmblogger.de Antworten abbrechen

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Die Revolution der Magie

Nächster Artikel

Eine Reise quer durch Raum und Zeit

Weitere Artikel der Kategorie »Film«

Spannende Handlung, dicht sortiert

Film | Im TV: TATORT ›Château Mort‹ (SWR), 8. Februar In den letzten Monaten folgten wir schon einmal dem Versuch, Bildungsgut für den Sonntagabend fein aufzubereiten. Das ist leider schwieriger als gedacht. Neulich musste Shakespeare dran glauben, der mit Anklängen an einen Western in Szene gesetzt wurde. Man war verwirrt und dachte heftig darüber nach, ob das den Western beschädigte oder Shakespeare oder womöglich den ›TATORT‹. Von WOLF SENFF

Polizei und Jugendszene

Film | Im TV: ›TATORT‹ Borowski und die Kinder von Gaarden (NDR), 29. März »Wo Sie herkommen, kriegen die Eltern schon hysterische Anfälle, wenn der Sportlehrer die falsche Trainingshose anhat.« Wir sind in Kiel-Gaarden, erstens, und zweitens geht es um Sexualität, ist das so interessant, das hatte der Kieler ›TATORT‹ doch gerade erst neulich. Von WOLF SENFF

Die Regie drückt ein Auge zu

Film | Im TV: ›TATORT‹ Das Haus am Ende der Straße (HR), 22. Februar Durch einen Querschläger wird ein kleines Mädchen tödlich verletzt. Vor Gericht wird der Täter allerdings freigesprochen, weil der Anwalt die Aussage von Kommissar Steier, der in der Nacht vor dem Einsatz ausgiebig gezecht hatte, infrage stellt. Steier ist außer sich. Er quittiert den Dienst und verfolgt Nico Sauer, der die tödlichen Schüsse abgegeben hatte. Von WOLF SENFF

Über den Tellerrand blicken!

Kommentar | über die Notwendigkeit einer umfassenden Film-Kritik Einem Artikel auf der Medienseite der SZ vom 9.3. entnehme ich, dass sich deutsche Kleinverleiher – nach der viel beredeten Überproduktionskrise der Degeto – an die ARD in einem Brief gewandt und die Befürchtung geäußert hatten, dass die Sender des 1. Programms nun weniger »Arthouse«-Filme einkaufen würden – wie diese ja auch »kaum noch im Programm des ZDF« vertreten seien. Von WOLFRAM SCHÜTTE

Der neue Trend im europäischen Serienformat

Kulturbuch | Lea Gamula, Lothar Mikos: Nordic Noir Wer konzentriert schaut, sieht am Horizont so etwas wie grenzüberschreitende europäische Kultur heraufdämmern, kann durchaus sein. ›Nordic Noir‹ beschreibt in Anlehnung an den »Film Noir« der vierziger, fünfziger Jahre eine Tradition skandinavischen Kriminalfilms seit den späten neunziger Jahren, im Vorlauf der Kriminalromane stufen wir Maj Sjöwall und Per Wahlöö als Geburtshelfer ein, deren international erfolgreiche Roman-Reihe der sechziger und siebziger Jahre ebenso erfolgreich verfilmt wurde. Von WOLF SENFF