/

Bücher sind zum Lesen da

Menschen | Zum 80. Geburtstag von Hansjörg Schneider

Er liest gern Chandler, Simenon und Dürrenmatt und gehört selbst zu den meistgelesenen deutschsprachigen Kriminalschriftstellern. Die Rede ist vom Schweizer Hansjörg Schneider, der mit dem Aargauer und dem Basler Literaturpreis, später mit einem Preis der Schweizer Schillerstiftung für sein Gesamtwerk und 2005 mit dem Friedrich-Glauser-Preis für den besten deutschsprachigen Kriminalroman ausgezeichnet wurde. Ein Porträt von PETER MOHR

Hansjörg Schneider: Kind der AareEinem breiten Publikum wurde der Brecht-Liebhaber erst seit den 1990er Jahren mit seinen Romanen um den kauzig-introvertierten Kommissär Peter Hunkeler bekannt. Ihren speziellen Reiz beziehen diese Romane durch den unkonventionellen Protagonisten, durch dessen eigentümliche Charakter-Mischung aus Starrsinn und Charme. Ein Ermittler, der allen Klischees zuwiderläuft und über den die junge Türkin Dilara in ›Hunkeler und der Fall Livius‹ (2007) (beinahe liebevoll) befand: »Man müsste sie ins Museum stellen.«

Hansjörg Schneider, der heute* vor 80 Jahren in Aarau geboren wurde, arbeitete nach dem Studium, das er 1966 mit der Promotion über den expressionistischen Lyriker Jakob van Hoddis abschloss, zunächst als Lehrer, Journalist und Regieassistent am Theater Basel. Obwohl er schon in jungen Jahren kontinuierlich Theaterstücke (die erste Aufführung war 1972 ›Sennentuntschi‹ in Zürich), Romane und Gedichte geschrieben hatte, folgte der Karriere-Schub erst mit dem ersten Hunkeler-Roman ›Silberkiesel‹ (1993).

Schneiders Protagonist, der in seinen Ermittlungsmethoden ein wenig an Simenons Maigret erinnert, trägt unübersehbare autobiografische Züge. Wie sein Schöpfer ist er in Aarau geboren, lebt nun aber auch in der Mittleren Straße in Basel, und wie Schneider selbst ist auch sein Hunkeler ein Liebhaber der guten Küche und des erlesenen Weines, sie »teilen« überdies noch das Wochenend-Domizil im benachbarten Elsass, die Liebe zur Natur, die Abneigung gegen moderne Technik (Schneider schreibt immer noch auf einer Schreibmaschine) und ihre sozialdemokratische Gesinnung.

Im neunten Fall mit dem Titel ›Hunkelers Geheimnis‹ (2015) hat Schneider zuletzt das unruhige Rentnerdasein des Kommissars beschrieben, der auch auf dem Krankenbett noch von seinem unstillbaren Ermittlungseifer gepackt wird.

Wie in den Vorgängerwerken lieferte Hansjörg Schneider auch darin wieder weit mehr als nur einen Kriminalfall. Eine Vielzahl subtil gezeichneter Menschenbilder, jede Menge Lokalkolorit und eine selbstkritische Lebensbilanz seines Protagonisten Peter Hunkeler prägten den neunten Band. »Im Moment weiß ich nicht, ob es noch ein weiteres Hunkeler-Buch gibt. Er ist schließlich im Pensionsalter«, hatte Schneider in einem Interview erklärt.

Pünktlich zum 80. Geburtstag ist nun unter dem Titel ›Kind der Aare‹ Schneiders Autobiografie erschienen. Ein uneitles Buch, in dem sich der Autor relativ wenig über sein Privatleben (seine früh verstorbene Frau und seine Kinder) äußerst, sondern sich selbst stets in den Kontext der Zeit einbringt: die entbehrungsreiche Nachkriegszeit, die Studentenjahre und seine Anfänge am Theater.

»Die Wörter verloren ihren Wert, ihren Sinn. Ich wurde zu einem Menschen ohne Wörter, ich wurde stumm«, heißt es an einer Stelle über seine harte Jugend unter der Knute eines zur Gewalt neigenden Vaters und einer Mutter, die den Freitod wählte. Peu à peu hat sich Schneider von dieser Form der Sprachlosigkeit erholt und wurde zu einem erfolgreichen Romanautor. Diese Zeit kommt in der Autobiografie nur marginal vor. »Neben meiner Theaterarbeit habe ich regelmäßig auch Romane und Tagebücher geschrieben und veröffentlicht. Dazu will ich nichts sagen. Bücher sind zum Lesen da, nicht zum darüber Reden.« Lesenswert sind sie auf jeden Fall – egal, ob die neue Autobiografie oder seine neun Hunkeler-Romane.

| PETER MOHR

Titelangaben
Hansjörg Schneider: Kind der Aare. Autobiografie
Diogenes Verlag, Zürich 2018
338 Seiten, 22 Euro
|Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander

Reinschauen
| Leseprobe

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Die Pest der Desinformation

Nächster Artikel

Ganz Berlin in einer Nacht

Weitere Artikel der Kategorie »Menschen«

Ein zürnender Magier und Hohepriester der Sprache

Menschen | Jens Malte Fischer: Karl Kraus

Der Schriftsteller Elias Canetti, ein kritischer Anhänger von Karl Kraus, schrieb einmal über dessen Wirkung, er habe eine »Hetzmasse aus Intellektuellen« gebildet. Er sei der größte und strengste Mann, der heute in Wien lebe. DIETER KALTWASSER über die monumentale Karl-Kraus-Biografie von Jens Malte Fischer

Immer für Überraschungen gut

Menschen | Egon Krenz (Hg.): Walter Ulbricht Auf der Liste der meistgehassten Politiker der ehemaligen DDR steht auch heute noch der erste Staats- und Parteichef Walter Ulbricht (1893-1973) weit oben. Dementsprechend blieb sein doppeltes Jubiläum, Geburts- und Todestag, in den deutschen Medien so gut wie unbeachtet. Egon Krenz, 1989 für kurze Zeit Staatsvorsitzender der DDR und damit übernächster Nachfolger Ulbrichts, erinnert an diese Jahrestage mit dem Band Walter Ulbricht. Von PETER BLASTENBREI

Goldene Letter in Leder gebunden

Menschen | Zum 95. Geburtstag von Martin Walser erscheint sein ›Traumbuch‹

Er schreibt und schreibt. Seine Texte werden zwar deutlich kürzer, aber seine dichterische Fantasie scheint nicht zu versiegen. Pünktlich zum 95. Geburtstag des Grandseigneurs der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur, Martin Walser, ist nun ein Band mit Traumtexten erschienen, die durch Zeichnungen von Cornelia Schleime mehr als nur begleitet werden. Von PETER MOHR

Offen sein für Erschöpfung

Menschen | Zum 85. Geburtstag des Schriftstellers Günter Herburger am 6. April »Man offen sein muss für Erschöpfung. Ich bin in diese Erschöpfung hineingelaufen, es kam der zweite Wind, und ich dachte: Was ist das?«, erklärte der Schriftsteller Günter Herburger einst seine ersten Leidenserfahrungen beim Marathonlauf. Von PETER MOHR

Eigensinnig und offen

Menschen | Zum Tod von Friedrich Christian Delius

Mit zunehmendem Alter schien sein künstlerischer Blick immer weiter zurückzuschweifen. Eine Sekretärin aus den 1960er Jahren stand im Mittelpunkt von Friedrich Christian Delius' letztem Roman ›Die Liebesgeschichtenerzählerin‹ (2016). Auch die stark autobiografische Erzählung ›Die Zukunft der Schönheit‹ (2018) war in der gleichen Zeit angesiedelt und erzählte von einem jungen Mann aus der hessischen Provinz und dessen musikalischem Erweckungserlebnis in einem New Yorker Jazzclub. Melancholie hatte Einzug gehalten in das Werk des einstigen »Rebellen«. Von PETER MOHR