Irrungen, Wirrungen in Mexiko

Film | Im Kino: Gringo

Ein Gringo, das ist im Slang spanischsprachiger Länder zumeist ein fremdsprachiger Ausländer. In Mexiko bezeichnet der Begriff im Normalfall einen US-Amerikaner, nicht unbedingt abwertend gemeint, aber möglicherweise. Um ebenso einen und seine ausartende Geschäftsreise in den Grenzstaat der USA geht es im zweiten Werk über Spielfilmlänge des ursprünglichen Stuntmans Nash Edgerton. »Unterhält das?«, fragt sich FELIX TSCHON.

Hiobsbotschaften

Film Gringo PosterMalträtiert kommt Hauptfigur Harold in einer Szene in der Mitte des Films daher. Nach einer von vielen unfreiwilligen Auseinandersetzungen nicht nur körperlich gezeichnet, erzählt er, dass sein Vorname unter berühmten Menschen der seltenste sei. Er könne sich Harry nennen, sagt seine Zuhörerin.

Kurz zuvor ist Harold Soyinka (David Oyelowo) noch völlig zufrieden mit seinem Leben, mit seinem Vornamen wahrscheinlich auch. Er hat einen guten Job in einem Pharmaunternehmen und eine hübsche Frau. Während eines Businesstrips über die Grenze erfährt Harold aber zwei Dinge, die seine Meinung über sein Dasein ändern: Seine Chefs Richard (Joel Edgerton) und Elaine (Charlize Theron) planen zukünftig ohne ihn, seine Gattin Bonnie (Thandie Newton) betrügt ihn. Der Gepeinigte fasst den Plan, die eigene Entführung vorzutäuschen und Lösegeld vom Arbeitgeber zu erpressen.

Das Prinzip des Zufalls

Natürlich hat Harold seine Rechnung ohne den Wirt gemacht, oder ohne die Wirte. Denn nicht nur Richard und Elaine reagieren anders, als er es erwartet hätte. Dazu kommen schnell der Boss eines Drogensyndikats, ein reumütiger Ex-Söldner, zwei Amerikaner in Mexiko mit eigenen Ideen und zwei Mexikaner in Mexiko mit ebenfalls individueller Zukunftsplanung. Harold ist Teil einer Geschichte, von deren Existenz er nichts weiß. Klar geraten die Geschehnisse außer Kontrolle. Und die Drehbuchautoren Anthony Tambakis und Matthew Stone setzen auf den Handlungsort. Mexiko ohne Kartell? Nicht in Hollywood.

Viele Zufälle sind es, die den Plot vorantreiben. Zu viele? Vielleicht. ›Gringo‹ wirkt auch bei großzügiger Auslegung konstruiert. Was Genrevorreitern wie ›Fargo‹ von den Coen-Brüdern oder „Bube Dame König grAS“ von Guy Ritchie gelingt, bekommen Edgerton, Tambakis und Stone nicht hin: das Zufallsprinzip storytechnisch zu einem Coup zu machen.

Stark, durchschnittlich, schwach

Das ist aber nicht schlimm, wenn ihr Werk als das wahrgenommen wird, was es ist: Unterhaltungskino aus der Traumfabrik. Denn unterhaltsam kommt der Film weitestgehend daher. Vor allem zu Beginn überzeugt er durch Witz und vielversprechende Charakterzeichnungen. Das erste Drittel verspricht viel. Das mittlere zieht sich dann etwas, der Schluss löst die Versprechen nur bedingt ein. Es passiert viel, allerdings nicht alles so überraschend wie gewollt. Es gibt einige Wenden, mal funktionieren sie, mal weniger.

Mutig, dass Nash Edgerton, jüngerer Bruder des Darstellers Joel, sich auf den Plot verlässt. Der Regisseur will die Geschichte erzählen, setzt trotz seiner Vita in bedachtem Ausmaß auf Actionsequenzen. Mehr Action und weniger Twists hätten ›Gringo‹ aber guttun können.

Theron ragt heraus

Unter den Schauspielern des nominell stark aufgestellten Ensembles zeigt Charlize Theron die beste Leistung. Als sexsüchtige, hinterhältig-ehrgeizige Vizepräsidentin überzeugt die Südafrikanerin auf ganzer Linie, weil sie ihre Rolle etwas überspitzt spielt. Das macht Elaine erinnerungswürdig.

Auch David Oyelowo und Joel Edgerton agieren gut, gehen diesen Extraschritt allerdings nicht. Beide versuchen, ihre Charaktere mit viel Witz darzustellen, beide Figuren hätten in der wüsten Story jedoch ebenfalls einen etwas wüsteren Auftritt benötigt.

Im Nebencast gefällt Sharlto Copley, unter anderem aus den Neill-Blomkamp-Filmen „District 9“ und „Chappie“ bekannt. Der 44-Jährige sorgt als Mitch, einst Söldner, jetzt Haiti-Aufbauhelfer, für Schmunzler. Thandie Newton und Amanda Seyfried sind jeweils leider kaum zu sehen.

Popcornkino

›Gringo‹ ist sicher nicht ›Fargo‹, obwohl das Presseheft den Vergleich zur Hilfe zieht. ›Gringo‹ ist aber auf jeden Fall solide Unterhaltung aus Hollywood. Ein flotter Plot und einige humorvolle Szenen machen das Werk, das zwischen Action und Comedy daherkommt, sehenswert. Wirkt die Handlung zu konstruiert, macht Charlize Theron das auf jeden Fall wett.

| FELIX TSCHON

Titelangaben
Gringo
Regie: Nash Edgerton
Drehbuch: Anthony Tambakis & Matthew Stone
Darsteller:
Joel Edgerton: Richard Rusk; Charlize Theron: Elaine Markinson
David Oyelowo: Harold Soyinka; Thandie Newton: Bonnie Soyinka
Kamera: Eduard Grau
Musik: Christophe Beck

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

SciFi-Hommage an die 1980er

Nächster Artikel

Ambient-Experimente zweier Musikerinnen-Generationen

Weitere Artikel der Kategorie »Film«

Verfolgung vom Feinsten

TV | Film: TATORT ›Verfolgt‹, 7. September Welch dramatische Eröffnung und das mit sparsamen Mitteln: Treibende Musik, Davonlaufen, bissel panisch umsehen nach dem Verfolger. Geht also. Fängt gut an. Und immer sind es die süßesten Hunde, die zu den grässlichen Untaten hinführen, ist das nicht schrecklich. Dann noch einmal Musik, nicht sensationell, aber passend. Von WOLF SENFF

Sieg der Technik über die Story

Film | Im Kino: Gemini Man Für Liebhaber des Action-Genres gibt es einigen Anreiz, dem Auftragskiller Henry beim Kampf gegen die jüngere Version von sich selbst zuzusehen. Was ihm jedoch mehr als sein digitalisiertes »Ich« den Rang ablaufen dürfte, ist die neue Filmtechnik von Oscar-Preisträger Ang Lee. ANNA NOAH fragt sich, wie viel Spaß Filme mit der neuen Bildrate wirklich machen.

Die Oper des 20. Jahrhunderts schlechthin

Film | DVD: Alban Berg – Lulu Nur zwei Jahrzehnte liegen zwischen der Entstehung des Rosenkavaliers und der Fragment gebliebenen Lulu. Was aber bei der Oper von Richard Strauss irritiert (und manche Fans gerade begeistert), dass Hugo von Hofmannsthal ein völlig anachronistisches Libretto beigesteuert hat, trifft auf Alban Bergs zweite Oper nicht zu: Hier haben mit Wedekinds Stück, das er aus seinem Erdgeist und der Büchse der Pandora kombiniert hat, und der Komposition des Schönberg-Schülers zwei Kunstformen zusammengefunden, die auf der Höhe der Zeit standen und bis heute den Anspruch der Modernität bewahrt haben. Von THOMAS ROTHSCHILD

Ein Dokument des Exils

Film | Auf DVD: Shadows in Paradise. Hitler’s Exiles in Hollywood Es gibt eine bemerkenswerte Diskrepanz zwischen der verlautbarten Empfindlichkeit, mit der man in Deutschland – zuletzt im Zusammenhang mit dem skandalisierten »Gedicht« von Günter Grass – auf Kritik an Israel reagiert, und der historischen Tatsache, dass man nach 1945 in Deutschland ebenso wenig wie in Österreich daran interessiert war oder gar dazu beigetragen hätte, dass die von den Nationalsozialisten ins Exil gejagten Juden, die den Holocaust überlebt hatten, in ihre Heimat zurückkehren. Man wollte sie, um es unverblümt zu sagen, hier nicht haben. Von THOMAS ROTHSCHILD

Die andere Kammerzofe

Film | DVD: Tagebuch einer Kammerzofe 1964 kam Luis Buñuels Tagebuch einer Kammerzofe in die Kinos, das nicht zuletzt wegen Jeanne Moreau in der Titelrolle zu einem großen Erfolg wurde. Der Film basiert, sehr frei, auf dem gleichnamigen Roman von Octave Mirbeau, der 1900 erschienen ist. 18 Jahre vor Bunuel gab es bereits eine Verfilmung des Stoffes, und ihr Regisseur war kein Geringerer als Jean Renoir. Von THOMAS ROTHSCHILD