/

Im Alten verharren oder das Neue wagen?

Live | Theater: ›Der zerbrochne Krug‹

Am Ende löst sie die Situation und damit auch die Situationskomik: Eve (ausdrucksstark und rhetorisch gewandt: Steffi Baur) gibt ihrem Verlobten Ruprecht (situationsbedingt kleinbübisch und zurückhaltend: Clemens Ansorg), dessen Vertrauen sie am Ende des Stückes nicht mehr sicher ist, das Verlobungskettchen zurück. Damit widersprechen sie und der Ausgang der Handlung der der klassischen Komödie nach Aristoteles. Nach dieser hätte sich das Pärchen am Ende von Heinrich Kleists (1777-1811) Lustspiel ›Der zerbrochne Krug‹ glücklich und zufrieden in Hochzeit und Hochzeitsreise gewogen. Von JENNIFER WARZECHA

In der Pforzheimer Inszenierung von Hannes Hametner kristallisiert sich gerade angesichts der kürzlich abgehandelten »Me too«-Debatte in Eve die Figur der selbstbewussten, jungen und starken Frau heraus, die mit solchen Herausforderungen und Anfeindungen wie die, mit den Eigenarten des anderen Geschlechts zurechtzukommen, umzugehen weiß.

Der zerbrochne Krug
Markus Löchner (Dorfrichter Adam), Lars Fabian (Schreiber Licht) und Mira Huber (Gerichtsdienerin)
Gefestigt wirkt die im ganzen Stück mit einer Mischung aus festem und ängstlichem Gesichtsausdruck, mit wehendem Haar im puppenhaften Blümchen-Kleid daherkommende Eve dennoch nicht. Dies mag zum einen an der Form des Lustspiels liegen. Täuschen sich die Figuren im Stück von ihrer Konstellation her doch ständig selbst über ihre Fehler und Fehlstellen hinweg. Dorfrichter Adam (passend-komisch und geradezu zynisch, daneben ausdrucksstark: Markus Löchner) wird gar zum Richter seiner selbst.

Er, der in seinem Kostüm mit vor Blut klaffenden Wunden an Schienbein und Kopf geradezu für eine zerbrochene Scheinwelt steht, für die nicht zuletzt auch der symbolisch zerbrochene Krug spricht, vergeht sich nicht nur zu Beginn des Stückes an Eve und erpresst sie wegen eines Attests für ihren Verlobten Ruprecht. Dieser Akt ist es auch, der Eves zuvörderst genannte Tat vorausgeht. Der Dorfrichter wird von Eve als der eigentliche Übeltäter entlarvt und zieht, hämisch lachend, von dannen. Durch die Aktion der Entlarvung zeigt Eve damit als Einzige im Lustspiel Courage.

Eve und die Gerichtsdienerin stehen für die moderne Frau und den Zeitgeist

Ihre Mutter, die Figur Frau Marthe Rull (passend streng und gut situiert sowie mimisch-ausdrucksstark: Katja Thiele), fasst sie zuvor noch tadelnd an ihrem Haar und zieht sie auf die Treppe an der rechten Bühnenseite hin. Hier streicht ihr, die ganze Stückdauer über in der Beobachterrolle verharrend, mit großen, ausdrucksstarken Augen die Gerichtsdienerin (Mira Huber) beruhigend über den Rücken. Hier zeigt sich ein weiterer trennender Gegensatz zwischen der alten und der neuen Welt. Frau Marthe Rull steht mit ihrem Dutt und dem biederen, gestreiften Kostüm (passend-ausgewählt: Kostüme von Nicola Stahl) für eine alte, gestrenge Sichtweise, die ein Denken über die Fronten zwischen Schwarz und Weiß hinaus nicht weiter zulässt.

Die Gerichtsdienerin verkörpert mit ihrem Kopfhörer und dem Smartphone, mit dem sie Fotos vom Geschehen auf der Bühne macht, die moderne (Medien-)Welt. Sie steht auch für Selbstreflexion, wie es den Figuren im Stück und manchmal denen, die sie beobachten, vorher auch gut getan hätte. Gerade in Eve drückt sich in ihrem zweifelnden Blick aber auch der moderne Zeitgeist einer von medialen Eindrücken oftmals geradezu erschlagenen Generation aus.

Beeindruckend ist am Ende die Souveränität, mithilfe derer sie sich dafür entscheidet, einfach die Wahrheit zu sagen und für diese einzustehen. Und das in einer oftmals verlogenen (Schein-) Welt.
Das überzeugt auch das Publikum im gut gefüllten Großen Haus des Theaters Pforzheim.
Beeindruckend!

| JENNIFER WARZECHA
Fotos: SABINE HAYMANN

Titelangaben
Der zerbrochne Krug
Lustspiel von Heinrich von Kleist
Besetzung
Adam, Dorfrichter: Markus Löchner, Licht, Schreiber: Lars Fabian
Walter, Gerichtsrat: Robert Besta, Frau Marthe Rull: Katja Thiele
Eve, ihre Tochter: Steffi Baur, Veit Tümpel: Jens Peter
u.a.
Inszenierung: Hannes Hametner
Bühne: Giovanni de Paulis
Kostüme: Nicola Stahl

Termine
27.05.2018: 19:00; 03.06.2018: 15:00
05.06.2018: 20:00; 14.06.2018: 20:00
10.07.2018: 20:00; 12.07.2018: 20:00

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Soul Tales … funky Neville Brothers

Nächster Artikel

Tod und Teufel

Weitere Artikel der Kategorie »Bühne«

Mit Koketterie den Verführungen des Lebens begegnen

Bühne | Mozarts ›Die Hochzeit des Figaro‹. Stadttheater Pforzheim Eines der großen Themen unserer Zeit, mit dem sich unzählige Theaterstücke, Opern, Filme, Serien und auch einige Veranstaltungsformate, regional und überregional − sowie das Leben selbst – auseinandersetzen, ist die Liebe. Diese ist, sowohl in der gesellschaftlichen Realität als auch in der künstlerisch dargebotenen Inszenierung, immer wieder von Hindernissen, Verwirrungen und auch Intrigen durchwoben. Von JENNIFER WARZECHA

(Mit-)Geteilte Information

Theater | Forum Freies Theater Düsseldorf: »InFormAtion« Atmosphäre: Kühlhaus. Ein diffuses Hintergrundrauschen. Die medialen Kanäle scheinen zu knacken: Gibt es etwa eine technische Störung, Herr Tappert (Ton: Ansgar Tappert)? Ein steriler Vorhang aus weißen Lamellen teilt die Bühne und auch das Publikum in zwei (Bühne: Dirk Dietrich Hennig). Neben dem zunächst als akustischem »Störfaktor« wahrgenommenen Grundrauschen macht sich Informationsneid breit. Von VERENA MEIS

Nuancen einer Liebe

Live | Bühne | Show: Ghost – Nachricht von Sam Man nimmt das Motiv der unsterblichen Liebe und bringt es als magisches Geistermusical auf die Bühne. Dazu ein hinterhältiger Mord und zack ist der Zuschauer emotional mitten im Geschehen. Die Macher von ›Ghost – Nachricht von Sam‹ wissen, wie sie das Publikum verzaubern können. Dies funktioniert beeindruckend gut. ANNA NOAH freut sich über einen gelungenen Abend.

Takt zwischen Schrott und Mülltonnen

Live | Bühne: STOMP Es ist ein Rhythmusspektakel der besonderen Art, das seit mehr als fünfzehn Jahren für Furore sorgt! Die Macher von ›STOMP‹ erfinden für die Perkussions-Kunst eine völlig neue Identität. Dies schafft das Ensemble einzig und allein durch Fingerschnippen, Besenschwingen, Feuerzeugklicken und Mülltonnenklappern. Man kann sagen, dass die Darsteller neue Maßstäbe im Trommeln setzen. ANNA NOAH will wissen, ob Schrott allein wirklich für eine gelungene Abendunterhaltung taugt.

Leidenschaft trifft Coolness

Bühne | Show | Break the Tango Es hieß zu Beginn, diese Tanzshow bräche alle Regeln. Nach »Flying Bach« und neben »Breaking Salsa« begeistert seit nunmehr zwei Jahren »Break the Tango« als neuartiges Crossover-Konzept das Publikum in Theatern weltweit. Der Siegeszug des Streetdance scheint unaufhaltsam. ANNA NOAH testet, ob Tango und Breakdance wirklich zusammenpassen.