Roman | Ross Thomas: Der Mordida-Mann
Auch der 18. Band der im Berliner Alexander Verlag seit 2005 neu erscheinenden Ross-Thomas-Ausgabe ist wieder ein kleines Wunderwerk. Das unter dem Titel Der Backschischmann bereits 1982 im Ullstein Verlag auf Deutsch erschienene und nun von Jochen Stremmel neu und erstmals vollständig übersetzte Buch führt seine Leser dorthin, wo der spät zum Schreiben gekommene ehemalige Politikberater, Journalist und Gewerkschaftssprecher Thomas sich am besten auskannte: in die Zirkel der Mächtigen dieser Welt, wo Korruption, Intrigen und Verrat zum Tagesgeschäft gehören. Als nach der Entführung eines Top-Terroristen im Gegenzug der Bruder des amerikanischen Präsidenten gekidnappt wird, schlägt die Stunde des Mordida-Manns Chubb Dunjee. Von DIETMAR JACOBSEN
Chubb Dunjee wird immer dann gerufen, wenn die Dinge drohen, völlig aus dem Ruder zu laufen. Der Vietnam-Veteran, Ex-Kongressmann, Ex-UNO-Mitarbeiter und Ex-Schmiergeldüberbringer in Krisengebieten – daher der Name Mordida-Mann (Mordida=Bestechung) – ist mit allen Wassern gewaschen.
Dass er dazu gelegentlich Gesetze übertreten, Behörden gegeneinander ausspielen und zu kriminellen Methoden greifen muss, gehört zum Business. Einem Geschäft, das das Licht des Tages scheut und gewöhnlich in Hinterzimmern abgewickelt wird. Besser, die Leute, die ihn engagieren, wissen nicht allzu viel von ihm und seinen Methoden, dürfen sich aber sicher sein, dass Dunjee zur Verfügung steht, wenn er gebraucht wird, und tut, was man von ihm erwartet.
Ein Mann für alle Fälle
Als der ältere Bruder des amerikanischen Präsidenten von Beauftragten des libyschen Staatschefs gekidnappt wird, tritt so ein Notfall ein. Denn Präsident McKay will seinen Bingo genannten Bruder Bristol natürlich im Ganzen wiederhaben – das Ohr, das auf verschlungenen diplomatischen Pfaden als Druckmittel seinen Schreibtisch erreicht hat, genügt ihm bei Weitem nicht. Allein die Libyer sind deshalb sauer, weil sie glauben, dass ein in London kurz zuvor entführter Top-Terrorist sich in amerikanischen Händen befindet.
Sie und auch Präsident McKay können nicht wissen, dass der unter dem Decknamen Felix operierende Anführer der kleinen Terrorzelle »Roter Amboß Fünf«, ein intimer Freund von Oberst Mourabet, der nach Gaddafis Tod (den Ross Thomas sich erlaubt hat, gut zwei Jahrzehnte zurückzudatieren) der mächtige Mann in Tripolis ist, längst nicht mehr lebt, als man ihn gegen Bingo McKay austauschen will.
Eine verfahrene Situation, die nach ungewöhnlichen Mitteln und Methoden geradezu schreit. Und weil die 4.136 Dollar, die Chubb Dunjee auf einer Bank in Lissabon hat, ihm höchsten noch zwei Monate von dem ruhigen Leben garantieren, das er in der europäischen Metropole führt, nimmt er den Auftrag an, Bingo McKay wieder dahin zurückzubringen, von wo man den weder Tod noch Teufel fürchtenden Präsidentenbruder entführt hat. Der hat auch mit nur noch einem Ohr nichts von seiner robusten Fitness verloren und hält sich geistig fit, indem er mit seinen Entführern Schach spielt und nebenbei aus dem Nähkästchen der Macht plaudert. Oder die ihn Bewachenden mit der lakonischen Aufforderung schockiert: »Bringt ihr mich jetzt bitte um?«
»Bringt ihr mich jetzt bitte um?«
Man muss ein bisschen aufpassen, um sich im Dschungel der vielen unterschiedlichen Interessen, die in Der Mordida-Mann aufeinanderprallen, nicht zu verirren. Terroristen und deren nahöstliche Verbündete. Abtrünnige CIA-Männer, die einem dubiosen Bankräuber dabei behilflich sind, sich bei den Mächtigen in Washington wieder einzukratzen, damit er sein Exil in der Karibik verlassen kann. Eitle Diplomaten, die stellvertretend hin- und herschieben, was sich die Honorablen rund um das Weiße Haus nicht hin- und herzuschieben getrauen. Ahnungslose Geheimdienstler und skrupellose Karrieristen. Diebe, Killer, Prostituierte und ein Präsident, der ohne seinen Bruder ziemlich aufgeschmissen wäre.
Und mittendrin einer, der den Durchblick hat, cool bleibt, wenn ringsum alle am Überschnappen sind, und auf diplomatischem Parkett genauso wenig ins Rutschen kommt wie auf den Gängen der zahllosen Hotels rund um den Globus, in die ihn seine Mission führt. Nein, mit Ross Thomas wird es nie langweilig. Dieser »Klassiker« ist moderner als ein Großteil derjenigen, die sich in unseren Tagen für modern halten.
Wer selbst einer Nebenfigur, die auf kaum einem Dutzend Seiten des Romans auftritt, ehe ein anderer sie über die Klinge springen lässt, noch ein unverwechselbares und immer amüsantes Profil zu verleihen weiß, sollte unbedingt zu jenen Großen gezählt werden, die die Kriminalliteratur des letzten Jahrhunderts nachdrücklich prägten. Das zu vergessen, wäre mehr als fahrlässig. Doch zum Glück gibt es ja den Berliner Alexander Verlag, der uns in regelmäßigen Abständen mit jenem Qualitätsstoff versorgt, dem man die lange Lagerzeit nur ganz, ganz selten anmerkt.
Titelangaben
Ross Thomas: Der Mordida-Mann
Aus dem Amerikanischen von Jochen Stremmel
Berlin: Alexander Verlag 2017
328 Seiten. 14,90 Euro
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