Comic-Helden on tour

Roman | Stefan Heuer: Katzen im Sack

Katzen im Sack – so lautet der bedeutungsschwangere Titel des Romans von Stefan Heuer. Alles klar. Alles geritzt. Alles voll auf Spur. Denkt man sich und wird bereits auf den ersten Seiten bestätigt. Denn temporeich und mit einer Prise Humor entführt uns der Autor in die ferne, fast exotische Welt der Schausteller und Kirmesbudenbesitzer, der wir längst entwachsen zu sein schienen. Und werden dennoch eingeholt von unseren Kindheitserinnerungen und unserer Fantasie von heimlicher Flucht und Aussteigertum der Jugend. Ein Flashback in die wilden 80er – gelesen von HUBERT HOLZMANN.

Heuer Katzen im SackDie Story von Katzen im Sack ist schnell erzählt. Zwei junge Typen – die Schulabbrecher, Aussteiger und Träumer Rolf und Frank – ziehen mit ihren Kirmesbuden, einer Angel- und Schießbude durch das Land und gabeln dabei mehr aus Zufall die junge Frau Sybille auf.

Sie hat als einzige auf Franks aus Spaß aufgestelltes Schild »Junge Frau zum Mitreisen gesucht« reagiert und arbeitet von da ab als Aushilfskraft in seiner Angelbude. Die restliche Sommersaison ziehen die drei von da ab von einer kleinen Dorfkirmes und einem Schützenfest zum nächsten.

Das Leben – ein Wunschkonzert aus flotten Sprüchen

Das Leben der beiden Junggesellen Rolf und Frank ändert sich mit dem Zuzug der Frau schlagartig. Das eher eintönige und sehr eingespielte Leben der beiden Männer scheint vorbei zu sein. Und Frank, in dessen beengte Wohnwagenwelt Sybille einzieht, muss ein neues Spannungsfeld bewältigen. Denn einerseits kommen sich dort Frank und Sybille naturgemäß näher, andererseits bringen ihn die derben Umgangsformen, die er zusammen mit Rolf pflegt, durchaus ins Schwitzen. Denn als eingespieltes Männerteam sind ihnen das Machohafte und ein derber Angeberton, mit dem man(n) eine junge Frau eher verschreckt als für sich einnimmt, nicht gerade fremd.

Mit Sybille beginnen Franks Träume Wirklichkeit zu werden. Er, der König der Straße, der bislang vor allem Nieten in seinem Leben kannte, angelt sich den Haupttreffer: eine Traumfrau als Erfüllung aller Männerträume, die noch dazu sein freies und ungebundenes Leben mitleben möchte. Eigentlich die Quadratur des Kreises. Und ein bisschen überzogen. Für Frank ist das natürlich nicht zu verstehen. Aber Sybille lässt Fragen nach ihrer Herkunft und ihrem bisherigen Leben unbeantwortet. So bleibt die Vergangenheit der Traumfrau, die ihm in seinem Wohnwagen erschienen ist, im Dunkeln. Fragen nach der Zukunft blendet Frank aber aus und lebt den Moment.

Fast ironisch – und auch ein bisschen aphoristisch – realisiert Frank seine begrenzte Männlichkeit. Ihn plagt eine »typische Verlustangst, die jeden befällt, der besitzt oder genießt.« Also nicht denken, sondern tun. Tagsüber das Angelgeschäft betreiben – und die Frau arbeiten lassen – und am Abend bei »gutem Sex und netter Gesellschaft« »glücklich und zufrieden« sein.

Angel-Enten und andere Nieten

Franks Kumpel Rolf, der eine Schießbude betreibt, kommentiert das neue Leben seines Kumpans eher sarkastisch und lebt sein Draufgängertum weiter aus. Rücksichtnahme kennt er nicht. Er fühlt sich als letzter verbliebener Held des Schützenfests und beschränkt sich aufs sprichwörtliche »Resteficken« – ganz nach dem Motto, »was hätte ich als Gentleman der alten Schule also anderes machen sollen«. Sein gewollt prolliger Slang, aber auch seine Geradlinigkeit sind natürlich irgendwie dem vagabundierenden Leben des fahrenden Schaustellers geschuldet, dem nach und nach aber mehr die eigenen Gespenster und Geister erscheinen.

Denn beide haben dem unsteten Leben durchaus auch Tribut zu zollen. Ein bisschen Cineastik als schlagfertiges Pingpong-Spiel zwischen den beiden – hier etwa ein Filmzitat aus Didi der Doppelgänger oder die fast erwartungsgemäße Anspielung »Und ewig lockt das Weib« – und der Austausch von Naturalien auf jedem Gebiet, reicht noch nicht wirklich für Höhepunkte im Leben.

Die Realität ist alles andere als nostalgisch. Wie alte, entsorgte »Bunnies« oder verwelkte Jucca-Palmen hängen Rolfs »Reste« am Autoscooter ab. Da ist selbst die Jagdhütte mittlerweile mit dem Alkoholausschank und den »meisten Kostflecken des gesamten Festplatzes« verlassen. Die Geisterbahn geschlossen, dessen Betreiber mit Schlaganfall in die Intensivstation eingeliefert wurde, und die Berg- und Talbahn in die Jahre gekommen – wie ihre schon etwas gezeichnete Besitzerin, die »Winkefleisch« genannt wird. Der Traum von großer Freiheit scheint ausgeträumt zu sein. Nicht erst wenn alle Buden schließen und der Festplatz geräumt wird. Aber spätestens dann wird der Rummelplatz zum Horrortrip. Also fliehen die beiden weiter zum nächsten Ort.

So geht es weiter bis zur Sommerpause. Sybille verabschiedet sich, hinterlässt ihre Telefonnummer – aber erscheint nicht im Herbst zum vereinbarten Treffpunkt. Selbst auf weiteres intensives Nachforschen der beiden Männer hin bleibt sie verschollen. Sie ist die unerreichbar Schöne. Franks Erscheinung. Schaukelten bislang die Wohnwagen der beiden etwas gemütlich vor sich hin, so nimmt der Roman nun im zweiten Teil Fahrt auf. Das »Roadmovie« durch Norddeutschland entpuppt sich als große Rettungsaktion. Die Spurensuche führt ins Milieu, auch schnelle Autos biegen nun um die Ecke. Mehr soll hier aber nicht verraten werden. Und auch am Happy End kann man noch zweifeln. Nur eines ist sicher: Schlussendlich hat uns die Wirklichkeit wieder.

| HUBERT HOLZMANN

 Titelangaben:
Stefan Heuer: Katzen im Sack
Nettetal: ELIF Verlag 2017
264 Seiten, 14 Euro
| Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander

Reinschauen
| Mehr von Stefan Heuer in TITEL kulturmagazin

1 Comment

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Matisse, Delaunay und die Farben

Nächster Artikel

»Ich sehe mich als Kamerad für Kinder«

Weitere Artikel der Kategorie »Roman«

Porträt der Künstlerin als junge Frau

Roman | Siri Hustvedt: Damals Als geschicktes Vexierspiel, als schillerndes Kaleidoskop von Erinnerungen und Zuweisungen kommt Siri Hustvedts siebter Roman daher. Doch was geschah Damals wirklich? Helfen alte Aufzeichnungen und wiedergefundene Notizhefte, um das Geschehen zu erhellen? Von INGEBORG JAISER

Ermittlungen im Exil

Roman | Deon Meyer: Todsünde

Kapstadts Spezialeinheit zur Aufklärung von Tötungs- und Gewaltdelikten ohne Bennie Griessel und Vaughn Cupido? Undenkbar. Und doch müssen Deon Meyers Helden in ihrem achten Fall nicht nur erneut gegen die Zeit und einen raffinierten Feind, sondern auch um ihre Reputation kämpfen. Aus disziplinarischen Gründen hat man sie nämlich degradiert und in die Universitätsstadt Stellenbosch abgeschoben. Dort halten sie zwei Vermisstenfälle auf Trab. Dass die mit der Ermordung eines Polizisten in Kapstadt zusammenhängen, der Korruptionsfällen im Sicherheitsapparat auf die Spur gekommen ist, scheint zunächst nur eine Vermutung zu sein. Aber Griessel und Cupido beginnen, Zusammenhängen nachzuforschen- wenn sie Erfolg haben, könnte das ihren Ruf vielleicht wiederherstellen. Von DIETMAR JACOBSEN

Kampf um eine boomende Stadt

Roman | Ross Thomas: Die Narren sind auf unserer Seite

Ein Roman von Ross Thomas (1926 – 1995) kann eigentlich nicht dick genug sein. Wer diese Meinung teilt, wird an dem vorletzten Band der verdienstvollen Ross-Thomas-Werkausgabe des Berliner Alexander Verlages seine helle Freude haben. Denn in der vollständigen deutschen Neuübersetzung von Gisbert und Julian Haefs ist Thomas‘ im Original mit der von Mark Twain entliehenen Titelzeile The Fools in Town Are on Our Side überschriebener Roman aus dem Jahre 1970 sage und schreibe 580 Seiten lang. Dass die erste deutsche Ausgabe unter dem Titel Unsere Stadt muss sauber werden (Ullstein 1972) gerade einmal 144 Seiten zählte, sagt wohl alles über den bisherigen Umgang mit einem der Top-Thrillerautoren des letzten Jahrhunderts aus. Gottseidank ist die üble Kürzerei, die vom unverwechselbaren Stil des Autors nicht viel übrig ließ, nun vorbei. Endlich kann auch Ross Thomas‘ sechster Roman, der zu keiner seiner Reihen zählt, von seinen heutigen Leserinnen und Lesern so rezipiert werden, wie er vor über fünfzig Jahren geschrieben wurde. Und natürlich ist das erneut ein großartiges Leseerlebnis. Von DIETMAR JACOBSEN

Die letzte Jagd

Roman | Elisabeth Herrmann: Schatten der Toten Mit Schatten der Toten beendet die Berliner Autorin Elisabeth Herrmann ihre Trilogie um die Tatortreinigerin Judith Kepler. Noch einmal bringt sie alle Figuren zusammen, die in den beiden vorangegangenen Bänden eine Rolle spielten: Ost- wie Westagenten aus den Zeiten des Kalten Krieges, ihren nach dem Untergang der DDR unter dem Namen Bastide Larcan in den internationalen Waffenhandel abgetauchten Vater, den Undercover-Ermittler Frederick Meißner und dessen Tochter Tabea, Judiths Chef Klaus-Rüdiger Dombrowski, der für sie fast mehr empfindet als für die eigenen drei Töchter, und die inzwischen vom BND zum Verfassungsschutz gewechselte Isa Kellermann,

Sch’majas Traum

Roman | Jim Shepard: Aron und der König der Kinder Jim Shepard ist es gelungen, einen bedrückenden und anrührenden Bildungsroman inmitten des Grauen und der Wirren des Warschauer Ghettos zu platzieren. In Aron und der König der Kinder versucht der Simpel Aron alias Sch’maja in der furchtbaren Zeit der Deportation zu überleben und seine Familie zu schützen. Natürlich gelingt ihm beides nicht. VIOLA STOCKER las einen Roman über Menschwerdung in der Hölle.