Ein Held namens Duschka

Erzählung | Erich Hackl: Am Seil

»Ihr Tod in der Gaskammer, das wäre auch Lucias, Reginas Schicksal gewesen. Hätte es ihn nicht gegeben, Reinhold Duschka.« Mit diesem lapidar klingenden Satz lässt der Österreicher Erich Hackl seine Erzählung ›Am Seil‹ ausklingen. Zuvor hat er den Leser auf eine beklemmende Zeitreise geschickt, in der es um Leben und Tod, Vertrauen und Verrat geht. Von PETER MOHR

Hackl - Am SeilWir befinden uns mit der Jüdin Regina Steinig, deren Tochter Lucia und dem Kunsthandwerker und passionierten Bergsteiger Reinhold Duschka im Wien der frühen 1940er Jahre. Für Regina, eine promovierte, aber durch die politischen Umwälzungen arbeitslos gewordene Chemikerin, wird der von den Nazis kontrollierte Alltag zu einem nackten Überlebenskampf. Sie findet mit Lucia Unterschlupf in Reinholds Werkstatt. Duschka war einst der beste Freund von Lucias Vater, der sich nach Australien abgesetzt hat.

Seit seinem preisgekrönten Debütwerk ›Auroras Anlaß‹ (1987) hat der österreichische Autor Erich Hackl immer wieder authentische Schicksale aufgegriffen, sie literarisch aufgearbeitet und daraus ebenso spannende wie lehrreiche Texte konstruiert. Der 64-jährige Schriftsteller arbeitet wie ein Archäologe, er gräbt in Biografien, legt peu à peu einzelne Lebensetappen frei und puzzelt die einzelnen Mosaiksteinchen zusammen. Dabei bewegt er sich auf einem hauchdünnen literarischen Grat zwischen nüchterner Dokumentation und historisch-psychologisch motivierter Erzählung. Der vorliegende Text basiert auf fragmentarischen Erinnerungen von Lucia Heilmann.

In Hackls Erzählung ist Lucia ein eigenwilliges, aufgewecktes Mädchen, aber dennoch eine schlechte Schülerin. Nach dem Krieg wird sie nach Australien gehen, dort ihren Vater besuchen und dann doch wieder ins hassgeliebte Wien zurück kehren, wo sie später als Ärztin arbeitet.

Dazwischen liegen knallharte, unter die Haut gehende Schilderungen des alltäglichen Überlebenskampfes im Versteck. Die Angst, in Duschkas Werkstatt entdeckt zu werden, ist über einen Zeitraum von vier Jahren omnipräsent. Hunger, Verzweiflung und Todesängste stehen Duschkas Einfallsreichtum gegenüber. Ihm gelingt es in den schlimmsten Zeiten, Essen, Trinken und Kleidung für drei Personen zu organisieren. Ein unsichtbares Seil scheint das Trio zu verbinden. Reinhold Duschka erfährt nach Kriegsende von einem Gestapo-Mitarbeiter, dass gegen ihn eine anonyme Anzeige vorlag, nach der er zwei Fremdarbeiterinnen versteckt haben sollte.

»Ich bin ja gar nicht da. In meinen Büchern geht es um Aurora, Sidonie oder Salzmann. Ich stelle mich hinter meine Protagonisten. Ich bin gut geschützt«, hatte Erich Hackl vor einigen Jahren mit vornehmer Bescheidenheit in einem Interview mit dem ›Kurier‹ seine Rolle als Autor beschrieben.

Und doch schafft es Hackl, mit seinen kurzen, sprachlich radikal verknappten historischen Erzählungen tief in unser Innerstes einzudringen. Mit großer Empathie und völlig ohne Pathos hat Erich Hackl (wieder einmal) schicksalsreiche Lebensgeschichten vor dem Vergessenwerden bewahrt. Seine Bücher sollten zur Pflichtlektüre für einen fächerübergreifenden Geschichts-/ Deutschunterricht gemacht werden.

| PETER MOHR

Titelangaben
Erich Hackl: Am Seil. Eine Heldengeschichte
Diogenes Verlag, Zürich 2018
117 Seiten, 16,99 Euro
| Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander

Reinschauen
| Leseprobe

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Wie man sich verabschiedet

Nächster Artikel

HEAT WAVE – Chill-Out-Area mit Songs, Books, Drinks

Weitere Artikel der Kategorie »Prosa«

Litanei

Textfeld | Konstantin Arnold: Litanei Es war gestern und es war spät. Ich weiß nur, dass es ungebrochene, unverheiratete Männer waren. Noch nie verwundet. Mit Kurzhaarschnitten und ehrlicher Arbeit. Dreck unter den Nägeln und den nötigen Kraftausdrücken. Sie hatten an langen bunten Strohhalmen gezogen und vor qualmenden Drinks gesessen. Da waren Nüsse und Aschenbecher so klar wie Kristalle, die das kalte Licht der Röhrenlampen mit etwas mehr Wärme zurück in den Raum schleuderten.

Ferne

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Ferne

Der Ausguck schälte sich aus der Dunkelheit.

Eldin legte einen Scheit Holz ins Feuer, die Flamme schlug hoch.

Seit wann reden wir denn über Krankheiten, fragte Crockeye irritiert, wir haben Verletzungen davongetragen, aber niemand sei krank.

Ein Walfänger, bekräftigte Pirelli, kenne keine Krankheit.

Ins All

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Ins All

Die zehntausend Dinge, bei Lichte betrachtet, erweisen sich als relativ unkompliziert.

Wie du meinst. Susanne war nicht besonders auf Gespräch geeicht an diesem trüben Novembernachmittag. Sie hatte für Tee aufgedeckt, Yin Zhen, und las in einem Roman.

Wer kontrollieren will, ist mißtrauisch, oder?

Sie blätterte um und nickte zustimmend.

Karttinger 7

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Karttinger 7

Der Moderator schlug der Länge nach hin.

Welch unglückseliges Ende, dachte er noch, und sei Wayne nicht ein Garant für Recht und Ordnung, ein aufrechter Patriot, das könne nicht sein, unmöglich, wer verantworte das Drehbuch, und, sterbend, ob er etwa, errare humanum est, sich täusche, und es habe sich nicht um Wayne gehandelt.

Der Geheimrat seinerseits hatte den beiden mehr oder minder verständnislos zugehört, der Western war nie seins, hatte sich aber, sobald er den Wayne zum Revolver greifen sah, geistesgegenwärtig gebückt und war unter dem Geländer hindurch in den Fluß gesprungen, das hätte der Moderator ihm im Leben nicht zugetraut