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Karttinger 7

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Karttinger 7

Der Moderator schlug der Länge nach hin.

Welch unglückseliges Ende, dachte er noch, und sei Wayne nicht ein Garant für Recht und Ordnung, ein aufrechter Patriot, das könne nicht sein, unmöglich, wer verantworte das Drehbuch, und, sterbend, ob er etwa, errare humanum est, sich täusche, und es habe sich nicht um Wayne gehandelt.

Der Geheimrat seinerseits hatte den beiden mehr oder minder verständnislos zugehört, der Western war nie seins, hatte sich aber, sobald er den Wayne zum Revolver greifen sah, geistesgegenwärtig gebückt und war unter dem Geländer hindurch in den Fluß gesprungen, das hätte der Moderator ihm im Leben nicht zugetraut.

Das Wasser besaß eine angenehme Temperatur, kein Wunder in dieser Wüste, der Geheimrat fühlte sich erfrischt, klammerte sich an das Holzfundament, sah durch einen Spalt zwischen den Planken den kaltblütigen Todesschützen kraftvoll aufsitzen und in würdevoll entspannter Haltung von dannen reiten, als ob nichts gewesen wäre.

Kaum sind sie auf der Welt, klagte der Geheimrat, sichtlich unter dem Schock der Ereignisse, schon sind sie wieder weg.

Stille breitete sich aus.

Es ist doch alles, wie ich mir`s dachte, fügte er noch eilig hinzu und: tempus fugit.

Schön und gut, wandte Wollmann ein, die Rollen hätte er anders besetzt, Wayne sei zu alt, Clint Eastwood, zwar auch nicht der jüngste, wäre dennoch zeitgemäß, oder er bediente sich aus einem gänzlich anderen Metier, der Politik, aktuell Wladimir Putin oder Donald Trump, das sei Strongman Style pur.

Überlegte jedoch und schränkte ein, Wayne habe ein Jahrhundert begleitet, standhaft, unbeirrbar, in welchem Kostüm auch immer. Nur solche, erinnerte er sich, habe die Karttinger behauptet, würden überleben. Darin gäbe er ihr recht, das Alter sei nicht ausschlaggebend – allerdings sei dem Wayne kürzlich eine Ehrung in seiner Heimatstadt verweigert worden, weil er in seinem filmischen Werk, wie peinlich sei das denn, diejenigen repräsentiere, die die Ausrottung der indigenen Völker betrieben hätten.

Ob nicht der Moderator, habe sie außerdem gefragt, überhaupt bloß ein Kostüm sei, ein Nichts, eine freundliche Attitude, doch das sehe sie zu kraß, glaubte Wollmann, nein, der sei eine meisterliche Erfindung.

Sieh einer an!, rief Nahstoll aus, der den Ereignissen gespannt gefolgt war, sei das nicht Thomas, der das Geschehen dort oben von jener Felsnase durch seinen Feldstecher beobachte. Unversehens stoße man in dieser Einöde auf einander, wer habe ihn her gewiesen und welch haßerfüllten Blick werfe er auf den Leichnam! Thomas! De mortuis nil nisi bene!

Für Anna habe Thomas sich der Reise in die Vendée angeschlossen, sei mit der Horde marodierender Teufelsbraten widerwillig einige Tage in der Herberge bei La Tranche geblieben, bis ihnen zu fünft die Flucht zum Haus der Karttinger gelungen sei – und dann mir nichts, dir nichts diese zwei: seine Anna verknallt in den Moderator und alles verloren.

Hocke nun dort oben, erleichtert, werde, so vermutete Wollmann, neue Hoffnung schöpfen, die Liebe ist ein seltsames Spiel, werde sich im Überschwang fragen, ob unter der Brücke, wo der Geheimrat sein kühlendes Bad nehme, der Rio Lobo fließe oder der Rio Bravo. Das werde ihn an seine Geographiestunde erinnern, an den Rio Grande als erbarmungslose Scheide zwischen Arm und Reich, diesseits El Paso, jenseits Ciudad Juarez.

Der Colorado River, nun wieder Nahstoll: größter und wichtigster Fluß im südwestlichen Nordamerika, und wer habe nicht vom Hoover Damm gehört, leuchtendem Beispiel der Ingenieurskunst, Wunder der Technik, Glanz und Gloria, vor knapp hundert Jahren errichtet, an dem sich der einhundertundachtzig Kilometer lange Lake Mead staue, Nahstoll lächelte, gewaltige Dimensionen, und aus dem sich der Südwesten der USA mit Wasser versorge oder besser: versorgt habe, denn der Stausee führe noch lediglich ein Drittel seines ursprünglichen Wasservolumens, das Klima wandle sich rapide, der Fluß, Katastrophe in Sichtweite, trockne aus, rette sich wer kann, das Delta zum Golf von Kalifornien liege bereits trocken, den Pazifischen Ozean, rund einhundert Kilometer weiter südlich, erreiche er seit zwei Jahrzehnten nur bei starkem Hochwasser.

Nahstoll legte die Stirn in Falten, die Ernten seien gefährdet, wie lange noch werde das Imperial Valley im südlichen Kalifornien ein Gemüsegarten der USA bleiben, Wüstenstädte wie etwa Phoenix oder Las Vegas würden nicht überleben, nein, er wolle nicht schwarzmalen, betonte Nahstoll, auf keinen Fall, doch, Hand aufs Herz, das seien die Fakten, und mehr noch, der Grundwasserspiegel sinke rapide, doch er wolle nicht schwarzmalen, wiederholte Nahstoll, nein, auf keinen Fall, es gäbe eine Menge zu tun, und es werde teuer, sehr teuer, schloß Nahstoll, unbezahlbar.

| WOLF SENFF

| Karttinger 8 am nächsten Sonntag, die vorausgehenden Folgen sind hier zugänglich.

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