Musik | Mild High Club: Timeline
Das Album ›Timeline‹ der Gruppe Mild High Club klingt insgesamt wie eine verschrobene Reminiszenz an die guten alten 60er Jahre und nimmt den Zuhörer auf einen seltsamen Trip mit. MARC HOINKIS berichtet von der Reise.
Der Mild High Club
Der Mild High Club ist eine Zusammenkunft von Musikern, die von Alexander Brettin ins Leben gerufen wurde. Er begann im Jahre 2012, Material für sein Projekt aufzunehmen und traf beim regelmäßigen Pendeln zwischen Chicago, Los Angeles und Baltimore immer wieder auf Musiker, die ihren Weg auf das Album fanden und ihn live unterstützten. Das Ergebnis ist ein Album, das geschickt signifikante Elemente aus der Musik der 60er Jahre modern aufarbeitet.
Die Zeitreise
Das ›Club Intro‹ bahnt sich langsam wie aus dem Nichts an und mündet in einer gezupften, akustischen Gitarre, die an die Folkhintergründe der psychedelischen Musik erinnert. Der Rest der Band steigt mit Drums, E-Gitarre, Bass und Orgel ein und komplettiert den frühen Hippie Sound.
Die E-Gitarre soliert vordergründig und gibt einen Vorgeschmack auf die naive Spielart des Albums.
›Windowpane‹, der zweite Track auf dem Album, löst das Intro merklich mit einer eindringlichen Orgel und einem melodischen Bass ab und wirft den Hörer in eine sphärische Zwischenwelt. Mit Einsatz der restlichen Band und dem Gesang verfällt alles in einen treibenden Rhythmus, der von einer Clavichord ähnlichen Orgel bestimmt wird. Die murmelnde, abwesend erscheinende Art und Weise Alexander Brettins, den Text vorzutragen, sowie die stark verklärenden Effekte lassen an den damaligen Pink Floyd Frontmann Syd Barrett erinnern, der sich früh dem Rausch hingab und ähnlich verschrobene Solo Alben produzierte.
Der Song sinniert über das Leben und erinnert sich an eine experimentierfreudige Zeit. Dabei ist der Titel wunderbar doppeldeutig gewählt: Einerseits bezieht sich Windowpane auf die Fensterscheibe, durch die man das Leben auf der rechten Spur überholen sieht, andererseits ist Windowpane ein Begriff für eine Verarbeitungsform von LSD.
›Life/ Passes on the right/ Still life/ Takes you for a ride‹
›Note to Self‹ klingt zunächst nach einer typischen Hippie-Instrumentierung, jedoch kommen recht bald merkwürdige Intonationen mit ins Spiel und der Song bekommt einen schaurigen Charakter und erinnert so an die leichteren Stücke von Velvet Underground.
Der Text stellt Überlegungen zum Leben an und wirft existenzielle Fragen auf, dabei suggeriert der Titel ein Selbstgespräch.
›Am I listening when you tell me/ Baby, I hate to see you doing like this/ ‚Cause these things they take some time/ To realize the other way still exists‹
Der Song ›You and Me‹ fährt nun sofort die schaurige Gruselkabinett Atmosphäre auf. Erneut erklingt eine unsauber intonierte Gitarre, die jetzt auch noch mit dem sich abhebenden Synthie- Background in Diskrepanz steht und so einen unbehaglichen Beigeschmack erzeugt.
Aufgrund des vorangegangenen Titels scheint ›You and Me‹ nun die andere Seite des Selbstgesprächs darzustellen, die sich in der aktuellen Situation wohlfühlt.
›You and me/ Got a thing, hopefully/ You like/ What you hear/ Will you stop listening?‹
›Undeniable‹ nimmt den Vibe der Strawberry-Beatles auf, jedoch erneut auf eine seltsam gruselige Art un Weise. Der Song ist an sich recht einfach gehalten und mündet in einer gequälten Synthie- Schleife, die in den nächsten Track übergeht.
Textlich wird ein Thema aufgegriffen, das sich bei den Hippies ebenfalls ständig wiederfindet: die Liebe und die damit verbundene Zeugung.
›The love that you hide/ In between your thighs there’s/ Something waiting/ Both of us can’t deny / Someone’s waiting/ Avid for your device‹
Das Titelstück, ›Timeline‹, nimmt die Synthie-Schleife des vorherigen Stücks auf und bettet sie in eine weitere Hippienummer ein. Dieser Song vermittelt, trotz ähnlich dissonantem Background, weniger eine schaurige Stimmung, als eine spirituelle. Dies zeigt sich auch in dem Text: Der Song sinniert wieder über das Leben und begiebt sich, womöglich nicht ganz ohne äußere Einwirkungen, in die psychedelischen Gefilde des Geistes. Gerade die zweite Zeile erinnert an die damals veranstalteten Acid-Tests, bei denen mit LSD versetzter O-Saft serviert wurde.
›Read my mind/ They sink crystal in their drinks/ I don’t hide/ Inside, the mystery of your eyes‹
›Rollercoaster Baby‹ verweist auf den Rock der späten 60er Jahre und erinnert an Bands wie Free oder Steppenwolf. Am Ende des Stücks fällt die Orgel in die Tiefe und wird vom folgenden Song aufgefangen. Das Stück stellt Unverständnisse in einer Beziehung dar.
›Well, I’m not your rollercoaster, baby/ You never let me explain/ Why I gotta roll the dice for your problems?‹
›Elegy‹ ist nun wieder in alter Manier von einer akustischen Gitarre und einem Klavier bestimmt. Der Song kommt wie ein Love Song daher und offenbart den Wunsch, das Leben mit einer Person bis zum Tod mit glücklichen Momenten zu füllen.
›Maybe time/ Takes life/ But listen it’s all right/ In our time we’ll find/ Some winning to get try‹
›Weaping Willow‹ nimmt musikalisch noch einmal durch sehr labile Intonation eine verstörende Atmosphäre auf. Der Song vermittelt einen psychedelischen Eindruck und beschreibt bildhaft einen imaginären Raum.
›How can the weeping willow/ Describes your imagery/ I’ve seen it fading yellow‹
›The Chat‹ will mit dem ersten Hören so gar nicht in das Album passen. Er klingt durch den poppigen Beat eher nach späten 80ern und behandelt das moderne Thema eines Video Chats. Allerdings greift die Band Elemente aus den vorherigen Stücken auf und der Text scheint die Probleme der modernen Kommunikation darzustellen. So entsteht der Eindruck der Sehnsucht nach alten Zeiten.
›Baby come back/ You’ve got to act/ And get online/ You won’t ever/ See me/ In real life‹
Was macht das Album aus?
Das Album ist von minimalistischen Drums durchzogen. Durch ungenaue Intonation und Diskrepanzen zwischen den einzelnen Instrumenten entsteht beinahe durchgehend eine mal mehr, mal weniger präsente Dissonanz, die sich häufig durch den ganzen Song zieht. Dies kann man vorallem in den vielen Instrumentalparts deutlich hören. So entsteht das stetige, unheimliche Gefühl, welches das Album durchzieht. Der Gesang ist dabei meist stark bearbeitet und oft etwas untergemischt, sodass er wie ein weiteres Instrument im Klangkosmos wirkt.
Der Mild High Club beweist mit diesem Album ein Gespür für unterschwelligen Detailreichtum und den Sinn für die moderne Aufarbeitung älterer Musikstile. Nicht zuletzt ist der Sound auch einigen Vier-Spur-Rekorderaufnahmen geschuldet, die Brettin in der Anfangszeit dieses Projektes einspielte.