Jugendbuch | Ying Chang Compestine: Revolution ist keine Dinnerparty
Die Kulturrevolution in China endetete offiziell im Jahr 1969. Die Säuberungsaktionen gegen Andersdenkende, der Tod von Hunderttausenden, physische und psychische Misshandlungen währten aber bis zum Tod Maos. Was das tatsächlich für eine Familie bedeutet, erfährt man aus der Sicht der neunjährigen Ling. Von ANDREA WANNER
Lings Eltern sind Ärzte, das Leben der kleinen Familie ist glücklich und von einem bescheidenen Wohlstand geprägt. Der Blick über den Tellerrand ist eine Selbstverständlichkeit, Ling lernt mit ihrem Vater jeden Tag ein bisschen Englisch, ein neues hübsches Kleid aus buntem Stoff gehört ebenso dazu wie die kleinen Leckereien aus der Konditorei, die es bei besonderen Gelegenheiten gibt.
Dass sich etwas ändert, wird für Lin spürbar als Genosse Li, ein linientreuer Parteifunktionär, in ihrer Wohnung einquartiert wird. Er bespitzelt die Bewohner, die befreundete Nachbarsfamilie wird abgeholt und auch Lings Vater, der Medizin nach westlichem Vorbild praktiziert, gilt als Bourgeois, verliert seinen Job und wird zum Hausmeister in der Klinik degradiert. Und schließlich tritt ein, wovor sich alle am meisten gefürchtet haben: auch Lings Vater wird deportiert.
Ying Chang Compestine wurde 1963 in Wuhan geboren. Ihre Geschichte von Ling ist fiktiv – aber sie es steckt dennoch viel Autobiographisches darin. Ihre Eltern waren Ärzte, ihr Vater wurde nach öffentlicher Kritik an Mao beschuldigt, ein amerikanischer Spion und Konterrevolutionär zu sein. Auch er saß im Gefängnis und arbeitete als Hausmeister in dem Krankenhaus, in dem er vorher operiert hatte. Wie Lings Vater operierte er heimlich nachts Konterrevolutionäre, die sonst nicht behandelt worden wären.
Die Autorin weiß, wovon sie redet, wenn sie die vergiftete Atmosphäre schildert, die ein ganzes Land lähmt. Keiner weiß, wem er noch trauen kann. Jedes Wort muss vorsichtig gewählt werden, für unbedachte Äußerungen von Kindern büßen die Eltern.
Bei Ling zu Hause wird das Geld knapp, es gibt kaum noch Lebensmittel. In der Schule wird Ling gemobbt, weil ihr Vater ein Sympathisant der Bourgeoisie ist. Nach der Verhaftung des Vaters wird alles noch schlimmer. Lings Mutter kommt mit der Situation nicht klar, verliert jeglichen Kampfgeist und denkt an Selbstmord. So muss Ling stark sein: und sie ist es. Es sind die Träume und Visionen von einem besseren Leben, an das sie weiter glaubt. Ein Symbol für diesen Traum ist das Bild der Golden Gate Bridge, das lange in der Wohnung hängt: ein Zeichen für Freiheit, für alles, was möglich ist.
»Revolution ist keine Dinnerparty«, ein Zitat von Mao, erzählt auf spannende Art von einem düsteren Kapitel der Geschichte, das jungen Menschen hierzulande sicher wenig bekannt ist. Geschickt verzahnt Ying Chang Compestine das Politische mit dem Privaten und zeigt, wie eines ohne das andere nicht funktioniert. Sie zeigt den Mut und die Stärke, mit denen Menschen in totalitären Systemen für ihre Überzeugungen eintreten. Und sie beweist, dass das auch sehr junge Menschen schon können: an richtigen Überzeugungen festhalten, sich nicht korrumpieren lassen, stark bleiben.
Titelangaben
Ying Chang Compestine: Revolution ist keine Dinnerparty
(Revolution is not a Dinner Party, 2007)
Aus dem Englischen von Nicola T Stuart
Berlin: Jacoby & Stuart 2018
272 Seiten. 15 Euro
Jugendbuch ab 14 Jahren
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