Bühne | Show: Simply the Best
»Simply the Best« verspricht eine Zeitreise durch fünf Jahrzehnte Musikgeschichte einer Rock-Ikone. Genau zehn Jahre ist es her, dass dieses Energiebündel zuletzt auf Tournee ging. Seit ihrem Rücktritt aus dem Musikgeschäft lebt sie in der Schweiz, im November wird sie 80 Jahre alt. Doch … Wie ist Anna Mae Bullock zu der Person geworden, die heute fast jeder als Tina Turner kennt? ANNA NOAH war in der erfolgreichen Dokumentation einer Ausnahmekünstlerin.
Pointierte Szenen in zwei Akten
Tina Turner ist bis heute eine der bekanntesten und erfolgreichsten Sängerinnen aller Zeiten. Viele haben es vor ihrem Rücktritt verpasst, sie live zu sehen. Dafür gibt es seit einer Weile die sogenannten Tribute-Shows. Es handelt sich hier um ein ausschließlich konzertantes Bühnenstück, ergänzt durch einzelne, kleine schauspielerische Szenen.
Marten Krebs tritt als Clubbesitzer, Tinas späterer Erfolgsproduzent Roger Davies oder als Freund von Ike Turner, Art Lassiter, in Erscheinung. Er verrät dem Publikum Fakten aus Tinas Leben. Weitere schauspielerische Szenen sind vorhanden, scheitern aber an fehlenden Übersetzungen oder Untertiteln für das Englische. Somit wird der Genuss für die weniger sprachbegabten Zuschauer geschmälert.
Hervorzuheben ist jedoch, dass die Handlung genau auf die Szenen reduziert wird, die ausschlaggebend für das Leben von Anna Mae Bullock waren. Das Publikum kann so nachvollziehen, was genau zu Tina Turners Erfolg führte.
Der erste Akt zeigt die Anfänge über ein Vorsingen für die Band ihres späteren Mannes Ike Turner bis hin zu den ersten Plattenveröffentlichungen und der späteren, unschönen Trennung. Ike war es, der aus Anna Mae die Alliteration Tina Turner machte, nicht ohne eine gewisse Portion Egoismus. Allerdings werden die drogenbedingten Gewaltexzesse von Ike gegen seine Frau dezent weggelassen. Vermutlich deshalb, da es für eine Tribute-Show, die den Fokus auf der Musik hat, eine zu geringe Rolle spielt.
Untermalt wird das Ganze von zeitgenössischem Foto- oder Videomaterial auf drei großen Screens, welches von den 1950er Jahren bis in die 2000er Jahre reicht. Zusammen mit Live-Aufnahmen aus der laufenden Show wird so geschickt die Vergangenheit mit der Gegenwart verschmolzen.
Bestürzend für die heutige Zeit sind die Berichterstattungen des bundesdeutschen Fernsehens aus den 1960er Jahren. Damals wurde der Bühnenauftritt von Ike und Tina Turner stark verurteilt. Angeblich lassen die beiden das Publikum wegen »Neger-Musik aus dem Ghetto in eine Schockstarre zum Feierabend« verfallen. Die BILD-Zeitung lästert gewohnt plakativ: »Erotik im Abendprogramm vom ZDF«.
Viele frühe Hits sind in diesem Teil der Revue dem jüngeren Publikum eher unbekannt.
Die bekannten Highlights kommen erst im zweiten Teil. Zu Beginn werden alle Events nach der Trennung in einer letzten, kurzen Zusammenfassung erzählt. Dann folgt ohne nennenswerte Unterbrechungen, aber mit viel Kostümwechselaufwand Hit auf Hit: »We Don’t Need Another Hero«, »What’s Love Got to Do With it«, »Goldeneye«, »Private Dancer« oder natürlich auch »Simply the Best«.
Die Energie der Darstellerin überträgt sich auf die Zuschauer, am Ende stehen alle auf und tanzen oder singen mit. Die Stimmung ist auf dem Höhepunkt angekommen!
Was für eine Besetzung!
Wer stand nicht schon vor dem Spiegel und versuchte, wie ein berühmter Star zu wirken? Es ist kaum möglich, irgendeine bekannte Person perfekt zu imitieren. Wenn dann aber noch eine unverwechselbare Stimmfärbung und dieses Turner’sche Charisma hinzukommen, wird es für den Normalo quasi unmöglich.
Coco Fletcher, eine junge Frau aus Alabama, schafft dies, aber sie ist nicht nur eine Doppelgängerin im Diva-Dress, sondern sie ist eine ganz eigene »Tina«-Variante. Ihre Stimme reicht über mehrere Oktaven, damit ist sie in der Lage, Turners Gospel- und Rhythm’n’Blues-Stimme perfekt zu interpretieren. Noch dazu kommen im zweiten Teil der Show viele schnelle Tanzeinlagen, die sie fast nebenbei meistert.
Coco Fletcher, die bereits mit Udo Jürgens auf seinen letzten Konzerten Duette sang, ist nicht nur ein würdiges Double, sie ist eine fantastische Sängerin mit Niveau.
Marten Krebs stellt glaubwürdig mehrere Charaktere dar, hat eine interessante Gesangsnummer und führt nebenbei durch das Programm.
Vasti Jackson steht als Ike Turner auf der Bühne. Dieser Künstler ist nicht nur ein fantastischer Gitarrist, nein, er singt auch – und das mit einer kräftig-souligen Stimme.
Die restliche Band besteht aus Doan Le Pham (Schlagzeug), Stanley Davis (Keyboard) und Andreas Walter (Bass). Alle zusammen wirken super harmonisch zusammen, die Einsätze und jeder Ton sitzen perfekt; Stanley Davis spielt seine Passagen überwiegend mit geschlossenen Augen.
Die Background-Sängerinnen – »The Ikettes« – werden gespielt und gesungen von Della Miles, Sharlie Pryce und Felicia Jackson. Die drei harmonieren nicht nur in sich gut, sondern auch mit Coco zusammen. Sie unterstreichen die Auftritte des eigentlichen Stars. Und dass, obwohl alle schon an weltweit bekannten Musical-Produktionen mitgewirkt haben und Coco Fletcher in nichts nachstehen.
Alana Everett und Gwennaelle Ludwig sind die zwei einzigen Tänzerinnen auf der Bühne, trotzdem hat man nicht das Gefühl, es wäre zu wenig. Ihre Darbietungen passen auf den Punkt.
Würdiges Tribute
Alles in allem ist die Show sehenswert. Wer Tina Turner live nicht gesehen hat, aber ihre Hits mag, der wird voll auf seine Kosten kommen. Mehr als einmal gibt es den sogenannten Gänsehauteffekt, besonders, wenn die ersten Töne bekannter Songs zu hören sind.
Das Bühnenstück vermittelt nebenbei und etwas skizzenhaft Einblicke in den Lebens- und Karriereweg der Künstlerin.
Am Ende hat man wirklich dank der mitreißenden Sängerin und den dazu harmonierenden anderen Darstellern das Gefühl, dass die »echte« Tina auf der Bühne steht.
| ANNA NOAH
| Fotos: ESTREL Entertainment
Showangaben
Simply the Best (Estrel)
Cast:
Tina Turner alias Coco Fletcher
Ikettes alias Della Miles, Sharlie Pryce, Felicia Jackson
Ike Turner & Gitarre alias Vasti Jackson
Drums alias Doan Le Pham
Bass alias Andeas Walter
Keys alias Stanley Davis
Roger Davis / Art Lassiter alias Marten Krebs
Tänzerin alias Alana Everett, Olena Pulinets, Gwennaelle Ludwig
Produktion: Bernhard Kurz