Roman | Paul Ingendaay: Königspark
»Sie ist mir irgendwann in den Träumen erschienen und sie war der letzte Anlass, dieses Buch überhaupt zu schreiben. Ich hätte es sonst nicht geschafft. Ich brauchte eine Retterfigur, die da richtig reinfährt, ich brauchte eine schlagende Frau«, erklärte Paul Ingendaay über die äußerst unkonventionelle Protagonistin Nuria aus seinem neuen Roman Königspark. Rezensiert von PETER MOHR
Als Schriftsteller ist der 58-jährige Ingendaay ein Spätstarter. Erst 2006 hat er seinen ersten Roman Warum du mich verlassen hast vorgelegt, für den er damals mit dem angesehenen Aspekte-Literaturpreis des ZDF ausgezeichnet wurde. Kein Wunder, denn Ingendaay ist absoluter Literaturprofi, war sechs Jahre Literaturredakteur bei der FAZ, wurde 1997 mit dem Alfred-Kerr-Preis für Literaturkritik ausgezeichnet und war fast zwanzig Jahre als Feuilletonkorrespondent der FAZ für Spanien und Portugal tätig.
Auf den Erfahrungen aus dieser Zeit basiert der nun vorliegende, im Madrid der Nuller Jahre angesiedelte Roman, der um die Themen Menschenhandel und Prostitution, die damit einhergehende Gewalt und die völlige Entwürdigung der rund um den »Königspark« tätigen Huren aus aller Welt kreist.
Mittendrin tummelt sich die aus streng katholischem Elternhaus stammende Nuria, 23 Jahre alt, Kampfsport erprobt und irgendwann im Rotlichtmilieu gestrandet. In eine dunkle Kapuze gehüllt fährt sie auf einem Fahrrad »Streife« durch den »Königspark«, ein Straßenstrich von gigantischem Ausmaß. Sie sieht sich als Beschützerin der Frauen, greift ein, wenn Freier nicht zahlen wollen oder gar gewalttätig werden.
Halb Engel, halb Teufel kommt Nuria daher. In der Wahl ihrer Mittel ist sie nicht zimperlich, schließlich hat sie sich eine der brutalsten Kampfsportvarianten bis zur Perfektion antrainiert. Autor Paul Ingendaay erzählt über einen Kosmos der totalen Gegensätze. Nuria will den Frauen helfen, wird aber als deren Beschützerin immer mehr zum funktionierenden Rädchen im menschenverachtenden System, da sie sich ihre Dienste vom »Königspark«-Chef Rico Vargas – ein neureicher, protegierter Zuhälter aus Andalusien – bezahlen lässt.
Instinkte dominieren über die Emotionen, Triebe spielen eine stärkere Rolle als der Verstand. Und sogar die Moral wird auf höchst fragwürdige Weise in dieser Sphäre der totalen Verlogenheit bemüht, als ein gut situierter Greis seinem Großneffen das Treiben um den »Königspark« erklärt: »Die meisten Männer bevorzugen die Hure. Du siehst, wir halten das Heim und den Jagdtrieb sorgsam getrennt. Unsere primären Instinkte bleiben intakt. Es sind Männerinstinkte, wohlgemerkt. Verteidigung der Ehre. Verteidigung der Herde.«
Die gesellschaftliche Akzeptanz des kriminellen Milieus, die Verharmlosung der offenkundigen Straftaten und die Degradierung der Huren zu käuflichen Waren gehören zum (Handlungs-)Alltag und führen am Romanende zur Eskalation zwischen Nuria und Vargas, deren Interessen immer stärker divergieren und die durch einen recherchierenden deutschen Reporter zusätzlich unter Druck geraten.
Königspark beschreibt das unmenschliche Leben in einem von Brutalität und Tragik dominierten Viertel Madrids. Als Leser leidet man mit der zwar völlig überzeichneten, aber wie ein märchenhaftes Fabelwesen daher kommenden Nuria, da sie einen Kampf aufnimmt, den sie eigentlich nur verlieren kann. Ein wenig David gegen Goliath! – Schockierend, verletzend, absolut schonungslos – aber Königspark wirkt nie unrealistisch, und im Buchpreis inbegriffen ist eine »Gänsehaut-Flatrate« für die Lektüre-Zeit.
Titelangaben
Paul Ingendaay: Königspark
München: Piper Verlag 2019
397 Seiten, 22.- Euro
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