Bilderbuch | John A. Rowe: Es war einmal ein Mann…
Noch aus den unscheinbarsten kleinen Kinderabzählreimen kann man phantasievolle Geschichten entwickeln. So wie John A. Rowe es hier überschäumend und skurril vorführt. Von GEORG PATZER
Am Anfang steht der alte Kinderreim, ein Abzählreim: »Es war einmal ein Mann, der hatte einen Schwamm.« Und schon das stimmt nicht, denn schon ist das »Mann« durchgestrichen und »Junge« daruntergeschrieben – das reimt sich allerdings ganz und gar nicht. Also doch: »Es war einmal ein Mann, der hatte einen Schwamm.« Und man sieht den Jungen vor einer Chocolaterie stehen, reckt sich nach oben, um besser ins Schaufenster sehen zu können, und man ahnt, wie ihm von den Leckereien der Sabber läuft. Und neben ihm liegt ganz brav der Schwamm, den er an eine Schnur gebunden hat.
Wir wissen, wie es weitergeht: »Der Schwamm war ihm zu nass, da ging er auf die Gass‘. Die Gass‘ war ihm zu kalt, da ging er in den Wald. Der Wald war ihm zu grün, da ging er auf die Bühn‘.« Und schon ist der Text das erste Mal abgebogen, denn in der alten Zähltradition wäre hier meist »Berlin« gekommen.
Ein wildes, anarchistisches Bilderbuch hat John A. Rowe geschrieben, gezeichnet und gemalt. Der alte Kinderreim, den er lustvoll variiert, bietet ihm die Gelegenheit, seiner Phantasie die Zügel abzunehmen und ganz allein loszugaloppieren . Auch uns. Immer eine Seite in schwarzweißer Skizzenhaftigkeit, gegenüber einer Seite in opulenter Farbsinfonie, lässt er den Leser von einem Unsinn zum nächsten gleiten: Immer auf der Suche nach noch mehr schalkhaften Details.
Zum Beispiel die Theaterplakate auf den »Bühnen«-Seiten, wo ich erst beim dritten Mal ›Porky und Bess‹ (und nicht »Porgy«) gesehen habe, wo im Vordergrund das Konzert der ›3 Terriers‹ (statt »Tenors«) angekündigt wird und ›John Rowe as Macbeth‹ – wobei John Rowe tatsächlich ein 1941 geborener britischer Schauspieler ist, der beim Old Vic Theater spielte und für den BBC auch Shakespeare-Rollen übernahm, allerdings nicht Macbeth…
Während der Dirigent auf der »bunten« Seite den Can Can dirigiert, und man sieht die hochgereckten Füße der Tänzerinnen, das Schaummeer an Unterröcken, einen Schwamm an einem Seil und die kaugummiverklebte Sohle des Jungen, der da wohl auf der Bühne herumturnt. Und auf den Notenblättern des Tubisten steht einfach nur »Oom-pah, oom-pah«.
Eine Doppelseite zuvor ist er noch im Wald (»Der Wald ist ihm zu grün«…), der ist derart grün, dass der Junge sogar eine grüne Hand hat, grasgrüne Raupen schlängeln sich die Halme hoch und schauen hoch aufgereckten Kopfs auf ihn und seinen dunkelgrünen Schatten, der auf den tiefdunkelgrünen Baum fällt, und ein sehr erstaunt guckender Vogel mit Brille und offenem Schnabel (natürlich grün) scheint weniger zu fliegen, als wie eine Kanonenkugel ins grüne Nichts zu stürzen.
Die bunten Bilder sind oft perspektivisch schräg, häufig eigenwillig angeschnitten, sodass man nur die Füße des Jungen sieht, seinen Schatten und den hinterhergezogenen Schwamm. Es sind kleine Momentaufnahmen, fast nie sieht man das Gesicht des Jungen. Dafür eine ganze Welt für sich. Zum Beispiel als es heißt, »Der Schwamm war ihm zu nass«, ist gleich das ganze Zimmer überschwemmt, die Katze versucht sich irgendwie paddelnd zu retten, während der Junge kopfüber in den See gefallen ist, direkt vom treibenden Bett aus. Viel gäbe es noch zu erzählen, von der immer wieder auftauchenden Katze, den Hunden, den hier und da aufgemalten oder eingeritzten Herzen …
Das Buch ist ein Fest der ausufernden Phantasie, der liebevollen Illustrierung, der Abschweifungen und immer neuer Geschichten, die oft nur blitzartig angedeutet werden, aber nicht ausgeführt. Wozu auch? Wir haben ja unsere eigene Phantasie.
Titelangaben
John A. Rowe: Es war einmal ein Mann…
Richtenberg: Michael Neugebauer Verlag 2019
32 Seiten. 14 Euro
Bilderbuch ab 4 Jahren
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