Hände in die Erde!

Sachbuch | Jürgen Herler: Hände in die Erde!

 
Ändern wir doch einfach mal die Perspektive, nicht der weite Blick über Anbauflächen, über Felder und Plantagen, sondern der vertikale Blick: Gemüse- und Obstanbau von unten nach oben oder umgekehrt, Balkone und Terrassen als Anbauareale, Hauswände und flache Dächer als Basis für Grünes. BARBARA WEGMANN ist von der Idee begeistert.

Gärtnern sie doch einmal vertikal

 
Haende in die Erde»Üppiges Grün und gesunde Lebensmittel in einer urbanen Umgebung, selbst wenn noch so verdichtet«, das klingt gut, aber, wie soll das funktionieren? Eigentlich ist es so einfach: Beginnt man einmal mit diesem Gedanken, eröffnen sich schnell viele Möglichkeiten. »Salate überstehen schadlos Temperaturen unter minus 10 Grad C. Das steht noch in keinem Gemüselehrbuch. So kann aber mitten im Winter frisches Gemüse geerntet werden, ohne quer durch ganz Europa transportiert oder in regionalen High-Tech-Gewächshäusern völlig saisonfremd produziert werden zu müssen.« Dazu garantiert ohne Schadstoffe. Das klingt faszinierend, aber, noch einmal: Wie soll das funktionieren?

Jürgen Herler beschreibt es detailliert, jede noch so kleine Fläche, egal ob Vorgarten, Garten, Balkon, Terrasse oder Dach kann, begrünt und bepflanzt werden. Früher noch aus der Not geboren, habe das »urban gardening« mittlerweile, so der Autor, das »Arme- Leute- Image« abgestreift und sei in der gehobenen Mittelschicht angekommen. »Die Menschen fühlen sich in ihrem Garten wohl, wie klein er auch ist, und freuen sich über ihre eigenen Lebensmittel.«

Das alles hat nicht nur die psychologische und soziale Komponente, sondern es liegt auch der Wunsch zugrunde, sich gesund und ökologisch ernähren zu wollen. So wie Birgit, die mitten in Berlin im 6. Stock lebt und zwei kleine Balkone hat, auf denen es »Essbares in Hülle und Fülle« gibt, dazu Bienen, Schmetterlinge, nistende Vögel und sogar ein Eichhörnchen. Unbelastetes Gemüse baue sie an, erzählt Birgit, »saisonales und regionales Gemüse sowie Obst und Kräuter in Bioqualität. …Seit dem letzten Jahr kultiviere ich auch Wintergemüse. Grünkohl, Feldsalat, Mangold, Hirschhornwegerich, Löffelkraut, … sind in den Kästen«. Mit den vielen Dingen, die sie für ihre Smoothies anbaut und der gesunden Ernährung hat sie mittlerweile keine Gelenkbeschwerden mehr, fühlt sich fitter und leistungsfähiger.

»Essbare Häuser, grüne Städte«, das ist das Credo des jungen Autors, der sich jahrelang zunächst mit der Meeresforschung als studierter Biologe beschäftigte, ehe er 2015 das »Vertical Gardening«, bis dahin sein Hobby, zu seinem Beruf machte.

All die Verschmutzung durch die Verwendung von Herbiziden, synthetischem Dünger und Pestiziden habe ihn betroffen gemacht. Heute lebt er mit Familie in einem ökologischen, begrünten Haus in Österreich. Herlers Ideen, manchmal sind es noch Visionen, seine Überzeugungen und Argumentationen verblüffen, beeindrucken und überzeugen, seine Texte sind leicht verständlich geschrieben, und er holt auch rund um das »Vertical Gardening« weit aus: Da gibt es Infos rund um Bio, die Selbstversorgung, Anleitungen für den Anbau sowie Tipps für geeignete Pflanzen.

Herler zeigt die Zerstörung der Vielfalt durch die Landwirtschaft auf, die Bedeutung von gesundem Essen, einer intakten Natur und dem Grün in der Stadt. All das nicht nur für unsere Gesundheit, sondern auch für soziales und mentales Wohlergehen. Grüne, »essbare« Häuser eben …
Ein wirklich spannendes Buch, schade, dass es nur sehr spärlich bebildert ist, etwas mehr plakativ Bildliches hätte dem so interessanten und lehrreichen Text gutgetan.

| BARBARA WEGMANN

Titelangaben
Jürgen Herler: Hände in die Erde!
Vertical Gardening- Für grüne, essbare Städte der Zukunft
Steyr: Ennsthaler Verlag
240 Seiten, 26, 90 Euro
| Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Neue Subjektivität

Nächster Artikel

Ramses II.

Weitere Artikel der Kategorie »Sachbuch«

Offene Fragen

Gesellschaft | B.Podruch, S.Podruch, Ch. Tramitz: Dieses schöne Scheißleben Das Jahr 1978 liegt eine Generation zurück. ›Wir Kinder vom Bahnhof Zoo‹ schockierte damals die Öffentlichkeit, in der Verfilmung von 1981 erlebten wir Christiane F. als drogenabhängiges Straßenkind, und im Rückblick lernen wir, was all das mediale Gewese bewirkt – hohe Umsätze. Und darüber hinaus? Von WOLF SENFF

So viel Leidenschaft zwischen zwei Buchdeckeln

Sachbuch | Leidenschaft Alpaka

Aus meinem kleinen spanischen Wortschatz weiß ich, dass »Llama llama« so viel heißt wie: Ein Lama ruft an. Und »Llama llama a llama« bedeutet: Ein Lama ruft ein Lama an. Aber aus meinem laienhaften Wissensschatz rund um Alpakas weiß ich auch: Lamas sind keine Alpakas, na ja, die liebe Verwandtschaft ist es schon irgendwie. Aber das Lama ist eher das Tier für Lasten, das »Tier fürs Grobe« eben, das Alpaka dagegen die kleinere und eindeutig edlere und irgendwie vornehmere Art in diesem Verwandtschaftskreis. Leser seien gewarnt: bei diesem ungewöhnlich schönen Buch besteht akute Gefahr, sich Hals über Kopf zu verlieben. Ich hatte freiwillig mein Herz zur Eroberung bereitgestellt, es hat geklappt, gesteht BARBARA WEGMANN

Schule des Sehens

Kulturbuch | Hanns-Josef Ortheil: Kunstmomente

Er zählt zu den erfolgreichsten und produktivsten Schriftstellern Deutschlands, hat bislang über 70 Bücher publiziert, unzählige (teilweise noch unveröffentlichte) Texte der unterschiedlichsten Gattungen verfasst: Romane, Reiseerzählungen, Sachbücher, Essays, Dramen, Drehbücher, Libretti und nicht zuletzt tägliche Notate und literarische Skizzen. Hanns-Josef Ortheils Schaffensdrang – oftmals durch inspirierende ›Kunstmomente‹ angeregt und beflügelt – erscheint unermesslich. Doch welche visuellen Eindrücke haben ihn geprägt? Von INGEBORG JAISER

Was sich real ereignet

Gesellschaft | David Harvey: Siebzehn Widersprüche und das Ende des Kapitalismus Verglichen mit der Fülle kapitalismuskritischer Arbeiten, die in den letzten Jahren erschienen und an dieser Stelle regelmäßig rezensiert wurden – Naomi Klein, Thilo Bode, Joseph Vogl, Jean Ziegler u.a.m. –, arbeitet David Harvey unkonventionell, er richtet seinen Blick auf das Kapital, die Perspektive von Klassenkämpfen ist für ihn gleich Null, die radikale Linke sei »heute weitgehend marginalisiert«. Von WOLF SENFF

Demokratienachhilfe

Sachbuch | Gregor Hackmack: Demokratie einfach machen

Nur verschwindend geringe 16 Prozent der Bevölkerung hatten im Jahr 2013 Vertrauen in die politischen Parteien. Weniger als jeder fünfte Bürger also. Vier nicht, einer vielleicht. Seitdem dürfte es nicht besser geworden sein. Die etablierten Parteien und ihre Akteure (Politiker) haben ein Vertrauens- und Akzeptanzproblem. Die Gründe dafür präsentiert Gregor Hackmack in seinem Buch ›Demokratie einfach machen‹ sehr pointiert auf etwas mehr als 130 Seiten. Von BASTIAN BUCHTALECK