/

Schönheit

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Schönheit

Wie, wenn es Engel wären, fragte Sanctus, die der Welt Farben verleihen, wenn es Engel wären, die auf das Wachstum der Pflanzen achten, und Engel, die über die Grenzen von Licht und Schatten wachen?

Hört, hört, spottete Crockeye und lachte: Eine charmante Spielerei unserer jungen Freunde.

Und, fragte Thimbleman, was würde es ändern?

Der Ausguck kletterte mittschiffs über die Reling und lehnte sich an die Persenning.

Ein Salto hier auf den Planken der ›Boston‹, mahnte ihn Eldin, das wäre gefährlich.

Würde es etwas ändern, wiederholte Thimbleman.

Möglich, sagte der Rotschopf.

Mit der Dampfschiffahrt ziehe das Maschinenwesen heran, ein kaltes Maschinenwesen, sagte Pirelli, seelenlos, mitsamt einer Wissenschaft, die die Gegebenheiten in Bestandteile zerlege und die Abläufe in Regeln fasse, sagte Pirelli.

Und, fragte Crockeye, wäre das falsch?

Nein, sagte Pirelli.

Wahrscheinlich sogar richtig, spottete Crockeye.

Möglich, sagte der Rotschopf.

Aber humorlos, sagte Pirelli.

Genau – die Wissenschaft der heraufziehenden ›Moderne‹, spottete Mahorner, könne sämtlicher Engel entbehren.

Sanctus schwieg.

Die Dämmerung brach an, die ›Boston‹ dümpelte im Wellenschlag der Lagune, der Rotschopf schenkte für Pirelli und sich Whiskey nach. Der Abend war auszuhalten, die Fangpause würde wegen der Verletzungen – Eldin faßte sich an die schmerzende Schulter – noch anhalten. Die subtropischen Temperaturen förderten zwar die Genesung, doch nichts ist von heute auf morgen kuriert.

Engel, erinnerte Mahorner.

Die Wissenschaft der sogenannten Moderne könne vieles analysieren, sagte Gramner, doch sie sei nicht geschaffen, den Dingen Sinn zu verleihen.

Sinn, fragte Crockeye.

Ihre Ingenieure würden gigantische Brücken konstruieren, ihre Architekten Museen und Konzerthallen entwerfen, sagte Gramner: Erst der Mensch, indem er dieses veranlasse, verleihe den Dingen Sinn und Verstand.

Komplizierte Materie, sagte Bildoon.

Was habe es auf sich mit den Engeln, erinnerte Harmat.

Der Ausguck beugte sich interessiert vor.

Die Engel, sage Termoth, seien heilige Wesen, sagte Gramner, sie hielten die natürlichen Dinge im Gleichgewicht.

Sie seien Sinn und Verstand in der Natur, fragte Harmat.

Das sei schwierig, würde Termoth antworten, sagte Gramner, und niemand wäre so vermessen, Aufgaben zu verteilen. Engel seien untrennbar von den natürlichen Gegebenheiten, sie würden den Dingen Schönheit verleihen, und im Blick des Menschen verleihe allein die Schönheit den Dingen ihren Sinn.

Der Mensch, wandte Mahorner ein, müsse imstande sein, sie zu erkennen.

Unbedingt, sagte Pirelli.

Schönheit, fragte Harmat, was das sei.

Die ›Moderne‹ und ihre Wissenschaften seien nicht in der Lage, Schönheit zu erkennen, geschweige denn sie zu pflegen, sagte Pirelli, sie spiele in der öffentlichen Debatte keine Rolle, die sogenannte Moderne sei zutiefst destruktiv.

Ob es künstliche Schönheit gebe, fragte Bildoon.

Mahorner verzog seine Mundwinkel zu einem herablassenden Lächeln.

Pirelli ging darauf nicht ein.

Sanctus schwieg beharrlich.

Thimbleman schwang sich über die Reling ins Wasser.

Bildoon erschrak.

Der Mensch erkläre sich zu einem Homo sapiens, sagte Gramner, und ignoriere das Elend, das er heraufbeschwöre. Seien wir froh, sagte er, daß wir nicht in jener fernen ›Moderne‹ der Zukunft leben müssen, bar jeder Schönheit, geistlos und ohne Sinn, einer Herrschaft der Händler, der räuberischen Bankiers, in einer gottverlassenen Epoche.

| WOLF SENFF

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Nach dem Winter

Nächster Artikel

Der Preis der Freiheit

Weitere Artikel der Kategorie »Prosa«

Kultur

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Kultur

Nein, Wette läßt sich diesmal entschuldigen, sagte Annika.

Ob er Wichtigeres vorhat, fragte Farb.

Er hat eine mail geschickt, er sei mit Setzweyn eine Woche bei der Karttinger zu Besuch, sie habe sie in die Vendée eingeladen.

Tourismus?

Die Karttingers haben dort einen Zweitwohnsitz, sagte Annika.

Farb tat sich eine Pflaumenschnitte auf,

Tilman reichte ihm eine Löffel Schlagsahne.

Ängste sind unteilbar

Prosa | Markus Bundi: Ausgezogen

Markus Bundis brillante Erzählung ›Ausgezogen‹ schickt uns auf einen verstörenden Gang durch den Dschungel menschlicher Abgründe, aus dem es keinen Ausweg zu geben scheint. Von PETER MOHR

Hölle

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Hölle

Man wird nichts tun können.

Das ist kein guter Anfang, Tilman.

Die Symptome sind vielfältig, und es ist unsere Welt, die leidet, ausnahmslos leidet, Farb, jeden Gedanken an Schonräume kannst du vergessen, nein, vorbei, da ist nichts, kein Schutzzaun, nirgends.

Tilman rückte näher an den Couchtisch und suchte eine schmerzfreie Sitzhaltung einzunehmen.

Das Service mit dem Drachenmotiv war aufgedeckt, rostrot, Farb tat sich eine Pflaumenschnitte auf.

Annika legte ihre Zeitschrift beiseite.

Leben

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Leben

Zufrieden, fragte er, ob er mit seinem Leben zufrieden sei, wolle sie wissen, weshalb.

Wie gereizt er reagiere, dachte sie, auf eine harmlose Frage, ungewöhnlich, dachte sie, er sei doch nicht cholerisch, sagte erst einmal nichts und schenkte Tee nach, Yin Zhen.

Er betrachtete das Service, den lindgrünen Drachen, er hatte es im vergangenen Jahr aus Beijing mitgebracht, ein Geschenk.

Die Sonne spendete wohltuende Wärme an diesem herbstlichen Nachmittag, sie hingen ihren Gedanken nach.

Eskalation

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Eskalation

Sie rüsten auf, Farb.

Erinnerst du dich daran, wie es anfing?

Gab es das denn je, Farb: einen Anfang?

Es gibt immer eine rote Linie, die überschritten wird.

Rote Linien erkennt oft nur, wer zurückblickt.

Vielleicht daß man den elektrischen Strom zu nutzen begann.

Früher noch, Farb.