Den Düsseldorfer Hauptkommissar Vincent Veih kennen die Leser hierzulande bereits aus drei Romanen Horst Eckerts. Nun, in Im Namen der Lüge, tritt mit Melia Khalid eine junge Frau an dessen Seite, die mit ihrem Team für den Staatsschutz in NRW die linke Szene beobachtet. Als ein scheinbar von der RAF lanciertes Papier darauf hindeutet, dass in naher Zukunft mit Anschlägen einer neuen linksautonomen Stadtguerilla zu rechnen ist, wird Melia aktiv. Aber übersieht sie dabei nicht, dass die Gefahr, die vom anderen Rand des politischen Spektrums ausgeht, noch viel größer ist? Und kann sie sich mit dem Mordermittler Veih zusammentun, obwohl es am Anfang zwischen ihnen alles andere als reibungslos zu laufen scheint und der Mann, was den Inlandsgeheimdienst betrifft, seit seinem letzten Fall mit dem Jenaer NSU-Trio ein gebranntes Kind ist? Von DIETMAR JACOBSEN
Melia Khalid – 32 Jahre alt, Mutter Somalierin, Vater Fraktionsvorsitzender der Unionsparteien im Deutschen Bundestag – ist die neue Heldin in Horst Eckerts Romanwelt. Als Leiterin des Referats für Linksextremismus beim Verfassungsschutz in Düsseldorf besteht ihre Aufgabe darin, »Erkenntnisse über Möchtegern-Revoluzzer und Demokratieverächter« aus der linken Szene zu gewinnen, V-Leute nach ihrer Rekrutierung zu führen sowie – wenn nötig auch mit zweifelhaften Methoden – jederzeit die volle Kontrolle über sämtliche Aktivitäten von Angehörigen des linken Spektrums zu haben.
Kein leichter Job, zumal sie, nachdem ein in der Szene kursierendes Papier darauf hinzuweisen scheint, dass eine vierte Generation der RAF-Terroristen gewaltbereit in den Startlöchern steht, keine Beweise für deren tatsächliche Gefährlichkeit zu finden vermag. Aber schließlich ist Melia nicht auf den Kopf gefallen: Und so sorgt sie dafür, dass eine linke Düsseldorfer Buchhandlung, die ein ehemaliger V-Mann des Verfassungsschutzes führt, zum gut überwachten Treffpunkt all jener wird, denen sie zutraut, den »bewaffneten Kampf in Form von Terror gegen den Staat«, wie es in dem Pamphlet gefordert wird, wiederaufnehmen zu wollen.
Rote Socken im braunen Sumpf
In der ersten Hälfte des Romans Im Namen der Lüge laufen die Aktivitäten der beiden Hauptfiguren Melia Khalid und Vincent Veih noch nebeneinander her. Die Verfassungsschützerin versucht zu eruieren, welche tatsächlichen Gefahren für die Gesellschaft sich hinter der martialischen Rhetorik eines dubiosen Geheimpapiers verbergen. Dass zur selben Zeit aus der Haft freigekommene RAF-Terroristen der dritten Generation Banken überfallen, scheint ein weiterer Hinweis darauf zu sein, dass Teile der Linken sich erneut radikalisieren. Den Kommissar der Düsseldorfer Mordkommission beschäftigen derweil ein tödlich endendes Eifersuchtsdrama im Reichsbürgermilieu und ein brutales Gewaltverbrechen, das Veih fatal an die Taten des seit seinem Prozess in der geschlossenen Psychiatrie einsitzenden Frauenmörders Arne Meingart erinnert.
Dass beide Todesfälle mehr mit dem zu tun haben, womit sich Melia zunehmend verzweifelt herumschlägt, stellt sich erst allmählich heraus. Und wenn sich der Kommissar und die Referatsleiterin des Inlandsgeheimdienstes nach knapp dreihundert Seiten zum ersten Mal begegnen, sieht das auch ganz und gar nicht nach dem Beginn einer wunderbaren Freundschaft aus. Denn sie weiß natürlich von Vincents Mutter Brigitte Veih, einer Ex-Terroristin, der zuzutrauen ist, dass sie auch jetzt wieder ihre Finger im Spiel hat. Und er hat noch den Fall der in die Tötung der beiden Jenaer NSU-Terroristen verstrickten Verfassungsschützer im Kopf, wie ihn Eckert in seinem letzten Roman Wolfsspinne konstruiert hat.
Auf welchem Auge sind wir blind?
Allein man rauft sich zusammen. Und je deutlicher wird, dass sich Melia Khalid auf der falschen Fährte befindet und sie sich mehr und mehr die Frage stellen muss, ob man statt auf dem linken auf dem rechten Auge blind ist, umso größer werden die Zweifel, ob der Job, so wie man ihn ihr beigebracht hat, noch den eigenen Überzeugungen entspricht.
So findet der Leser sie bald auf Ab- und Umwegen, die sie einerseits in große Gefahr, andererseits aber auch immer näher an Vincent Veih und sein Team heranbringen, denen nach und nach klar geworden ist, dass der Mord an einem investigativen Journalisten, der in der Reichsbürgerszene unterwegs war, wohl mehr mit Politik als mit Eifersucht zu tun hat.
Wenn man dann am Ende wirklich vertrauensvoll zusammenarbeitet, wird es auch höchste Zeit: Denn es gilt, eine Verschwörung aufzudecken, in die Vertreter der Politik, der Geheimdienste und rechtsextremer Kreise gleichermaßen verwickelt sind, denen es bisher immer wieder erfolgreich gelang, unter falscher Flagge zu segeln.
Im Namen der Lüge vertraut auf kurze Kapitel – ganze 133 von ihnen hat der Autor auf den fast 600 Seiten seines Romans untergebracht –, schnelle Schauplatzwechsel und ein überschaubares Personal. Der das Buch einleitende Prolog gehört in seiner Lakonik und Treffsicherheit zum Besten, was Eckert je geschrieben hat. Auf weitere Abenteuer mit Melia Khalid darf man sich wohl freuen. Zumal der Düsseldorfer Autor seinem Serienhelden Veih, der in Liebesdingen bisher eher spröde daherkam, am Ende fast so etwas wie ein kleines Happy-End gönnt. Aber das ist nur Beiwerk in einem Politthriller, der hochsensibel am Puls der Zeit entlanggeschrieben ist.
Titelangaben
Horst Eckert: Im Namen der Lüge
München: Wilhelm Heyne 2020
574 Seiten. 12,99 Euro
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