Einsamkeit. Stille. Dunkelheit. Kann das einen jungen Mann in den Wahnsinn treiben? Oder ist es nicht der Raum, sondern die Zeit und ihre Geschichte, die ihn einholen? Von MONA KAMPE
Der Tod wartet auf ihn und je länger er braucht, ihn zu holen, desto mehr Hirngespinste schleichen sich in die Zelle des jungen Woyzeck. Dämonen seiner Vergangenheit, die ihn heimsuchen und die Zeit bis zur Hinrichtung Stunde um Stunde unerträglicher machen. So durchlebt der ehemalige Soldat die Schattenseiten seiner Dienstzeit, während der der Hauptmann ihn schikanierte und ein Arzt ihn fragwürdigen Experimenten unterzog.
Auch privat traf ihn das Schicksal hart: Der Tambourmajor raubte ihm seine Frau. Marie, oh Marie, mit den blutigen Lippen, der all sein Sold zukam. Ist sie nicht wunderschön? Selbst leblos am Boden strahlt sie noch, nachdem er mit dem Messer zustach. Hat er es vergessen? Er muss es holen, sie noch einmal sehen.
Klack, klack, leise klirren die Erbsen, die Woyzeck zählt. Ist sein Zellengenosse noch da? Spricht er wirr? Strahlt je wieder Licht in die dunkle Stille des Kerkers? Kann Gott die Worte eines Gefallenen erhören? Seine Gebete ihn trösten? Woyzeck wartet in der kalten Nacht auf seine Erlösung. In der Hand noch die rote Rose, das Ebenbild von Maries Schönheit.
Der Mensch als Opfer seiner Menschlichkeit
1836 begann Dichter Georg Büchner mit seinem Fragment ›Woyzeck‹, welches erst posthum veröffentlicht wurde. Das ›Theater das Zimmer‹ inszeniert unter der Regie von Björn Kruse das ursprüngliche Drama als imposantes Solostück. Jascha Schütz schlüpft in die Rolle des Verurteilten, den das Leben und die Menschen darin ausbeuten, bis er selbst zum Richter wird. Schikane und Betrug zerstören Woyzecks Selbstbildnis und führen ihn in die wahnhafte Eifersucht. Körperlich ausgezehrt und geistig verwirrt sieht der junge Mann keinen anderen Ausweg als Mord. In der Todeszelle wird er dafür von seinen Dämonen heimgesucht. Er ist menschlich. Ein menschlicher Abgrund. Ein Liebender.
Mit beeindruckenden 74 Lichtwechseln in 60 Minuten erstrahlt Woyzecks Gitterkäfig auf der kleinsten Bühne Hamburgs. In ihm die symbolischen Habseligkeiten, die seine Geschichte erzählen. Und Schütz. Barfuß. Laut. Authentisch. Leise. Seine Erscheinung, sein Spiel so mitreißend, dass das Publikum nicht umhin kann, sich mit ihm seinen Dämonen zu stellen. Oder holen sie ihn ein? Die Erlösung ist so nah. Bis der letzte Lichtstrahl erlischt.
| MONA KAMPE
| Foto: Patrick Bieber
Titelangaben
Woyzeck
Theater das Zimmer Hamburg
Mit: Jascha Schütz
Regie: Björn Kruse