Kulinarische Sinnlichkeit

Sachbuch | Andreas Mayer: Der Duft von Gemüse

Verabschieden Sie sich von allem, was man mit einem herkömmlichen Kochbuch verbindet und von ihm erwartet: Dieses luxuriöse Buch ist etwas völlig Neues. Es duftet, versprüht Aromen, nimmt eher die Nase, denn den Kopf gefangen, regt zu wunderbaren Gerichten an, die weniger den Anleitungen, als den verschiedensten Wohlgerüchen folgen. Nicht preiswert, stimmt. Aber unbezahlbar, versprochen. Findet BARBARA WEGMANN

Das Buchcover zeigt mehrere GemüseartenFür Andreas Mayer ist es sein Herzensanliegen, den Duft von Gemüse« zu vermitteln. Der Sternekoch, gebürtig aus Bayern, Witzigmann-Schüler und Chef des Restaurants auf Schloss Prielau in Österreich, er will sich natürlich in seine hinreißenden Rezeptgeheimnisse schauen lassen, aber vielmehr ist ihm daran gelegen, auf 240 Seiten, wenn auch nur gedruckt, wenn auch eben nur auf Papier und geschrieben, Düfte zu vermitteln, Sinnlichkeit zu verbreiten und zu versprühen und dafür zieht der Kochprofi alle Register. Schließlich: »Es gibt nur fünf Geschmacksrichtungen, mehr »Geschmack« kann man nicht lernen, Ihren Geruchssinn aber können sie trainieren.« Kurz zum Hintergrund: Für den Geruch, so erklärt der leidenschaftliche Koch, sind 10-30 Millionen Sinneszellen zuständig, für den Geschmack sind es beim Menschen aber nur 2000-5000 Geschmacksknospen. »Scharf gilt übrigens nicht als Geschmack, sondern ist nur eine Überreizung der Geschmacks- und in gewisser Weise auch der Geruchssinneszellen.« Auch das lernen wir.

Ein wunderbar gestaltetes Buch, große appetitanregende Fotografien und eine großzügige Textgestaltung, die viel Platz auf weiten Seiten findet, all das macht das Buch schon sehr attraktiv. Aber ein Autor, der es auf charmante und überzeugende Weise darauf anlegt, Gerüche von Gemüse zu vermitteln, das ist nicht nur ungewohnt, das macht neugierig, aufmerksam und hungrig. Wie funktioniert das mit den Gerüchen?

Sich vorzustellen, wie eine frische Erdbeere riecht, ja, das klappe schnell, sagt Mayer, aber versuchen Sie das einmal mit einem Kohlrabi, schon schwerer. Dabei wäre es so wichtig, sich an die Gerüche all jener wunderbaren Gemüsearten zu erinnern, denn Düfte, sie bleiben ein Leben lang. »An kaum etwas kann man sich so gut erinnern, wie an Gerüche. Sie wissen sicher noch genau, wie es bei Ihren Eltern zu Hause gerochen hat, in der Schule, an Ihren Geburtstagen, im Sommerurlaub. Diese Gerüche würden sie überall wiedererkennen und sofort mit Emotionen verbinden.« Den Geruch einer Kohlrabi-Knolle, oder gar den Kochgeruch, den drängt es uns vermutlich nicht unbedingt, ihn in Erinnerung zu behalten. Mayers verarbeitetes Gemüse ist da aber schon eine andere Nummer: Kohlrabi wird »zum Raviolo, gefüllt mit einer laktisch-scharfen Frischkäse-Kren-Füllung als Kontrapunkt zu seiner Milde.«

Ob es Zucchinischnitzel mit grünem Spargel und Bergkäse ist, Cannelloni von Steinpilzen mit gegrilltem Pfirsich und Pilzessenz, Kräuterfalafel mit Tomatenmarmelade oder – so schlicht klingend – Gemüserösti mit buntem Reis, jedes einzelne Rezept in diesem Buch ist genial und aufregend, fällt irgendwie so spannend aus dem Rahmen. ‚Frisch, knackig, bunt, duftend‘ sind die Zutaten, ob bei Vorspeisen, Hauptgerichten oder Nachspeisen und Drinks. Alle Grundzutaten erlesen und ausgesucht und hinzu kommen manche Überraschungen. Zum Beispiel was man aus Weißbrot, Milch, Waldpilzen, Butter, Knoblauch, Zwiebel, Eier, Semmelbrösel und Muskatnuss machen kann: Waldpilzknödel. »Wenn sie kurz vor dem Genuss eines Pilzgerichtes den Duft von Moos einatmen, sind Sie sofort im Wald, in einem erdigen Duftkosmos, und der passt perfekt zu den Pilzen.« Da ist Mayers Thema wieder: nicht nur Geschmack, auch Geruch! Und darauf sind Kräuter, ausgefallene Saucen und die individuelle Gesamtkomposition jedes Gerichts ausgerichtet: Der Geruch soll unvergesslich und in Erinnerung bleiben.

Das Foto zeigt ein Pilzgericht
Leseprobe: © DK-Verlag

Und als wären die über 70 vegetarisch-veganen Rezepte aus allen Bereichen nicht genug, buchfüllend, außergewöhnlich und anregend: Mayer kreiert Genussparfüms. Ja, ja, man liest und hört richtig: es sei ein Zwitter aus Parfüm und Schnaps, nicht trinkbar wie Schnaps, nicht langlebig wie ein Parfüm. »Denn meine Parfüms sollen ja nicht auf der Haut erhalten bleiben, sondern schnell einen bestimmten Duft vermitteln und so das Gehirn auf den folgenden Geschmack vorbereiten.« Mit so vielen Sinnen haben sie garantiert noch nie am Tisch gesessen.

| BARBARA WEGMANN

Titelangaben
Andreas Mayer: Der Duft von Gemüse
Vegetarische Gerichte für Genießer
München: Matthaes Verlag 2022
240 Seiten, 49,90 Euro
| Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander

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