Es war sicherlich der studierte Forstwirt Peter Wohlleben, der mit seinen Sendungen, Vorträgen und Büchern zu so etwas wie einem Baum-Lobbyisten wurde. Plötzlich waren Bäume bekannt, berühmt und nie hatte man sich intensiver für sie interessiert. Wohllebens tolle Art der Vermittlung von Wissen ist eben phänomenal. Mit genau dieser Fähigkeit dürfen sich die beiden Autorinnen dieses Kinderbuchs absolut messen. Blättern und Lesen werden zu einem wirklich großen Vergnügen, meint BARBARA WEGMANN.
Es sind kleinere, krabbelnde Lebewesen, die in diesem auffallend schönen Buch zu Begleitern werden, Raupen, Ameisen und Käfer motivieren, geben Anregungen, unterhalten sich und erklären in kleinen Sprechblasen. Das Schöne: Sie beziehen die kleinen Leser mit ein und Mitmachen und Mitgestalten sind hier gefragt und angesagt. So beginnt das Buch mit der freundlichen Aufforderung, doch mal eine Landschaft zu malen auf zwei weißen Seiten. Was gehört dazu? Wodurch zeichnet sich eine Landschaft aus? Gehören Bäume auch dazu? Wo leben Bäume überall? Langsam tasten sich die kleinen Krabbler heran: Am Süd- und Nordpol schon mal nicht, da herrschen viel zu schroffe und eisige klimatische Bedingungen, in der Steppe auch nicht, da gibt es zu wenig Wasser. Und in der Wüste? Vorsicht mit der schnellen Antwort: doch, doch, in der Wüste kann es durchaus Bäume geben, in der Nähe von Oasen zum Beispiel. Bäume sind schon sehr, sehr alt. Laubbäume schon 100 Millionen Jahre und Nadelbäume gibt es schon seit 270 Millionen Jahren.
Kindgerecht, einfach und spielerisch in Darstellung und Aussage, aber dennoch inhaltsreich, voller Fakten und Details, mit einem breiten Wissen, das viele, viele Nebenaspekte mit einfließen lässt, wird der Baum von oben bis unten, von Wurzel bis Baumkrone, porträtiert. Das fasziniert übrigens nicht nur junge Leserinnen und Leser! Gut gefüllte, intensiv farbige Seiten, die Abwechslung und Information, Spiel und Spannung gleichermaßen bieten. Und dabei so manche Aha-Erkenntnisse bereithalten.
Alle Aspekte machen klar: so ein Baum ist ein hochgradig spannendes Wesen, Bäume kommunizieren miteinander, sind mit einem System an Pilzfäden unterirdisch verbunden, sie warnen einander, helfen sich, sind geradezu soziale Wesen. »Wenn Bäume sich nicht umeinander kümmern würden, würden die Schwächeren unter ihnen bald sterben. Dann hätten die stärkeren Bäume viel mehr Platz.« Aber wenn Bäume fehlen, so heißt es, könne der Sturm leichter durch den Wald fegen und auch gesunde Bäume umreißen. Die Sonne könne den Boden austrocknen, wenn ein Loch im Blätterdach entstehe.
Das Innenleben des Baums gehört ebenso zum Porträt wie die Frage, wie unsere Welt ohne Bäume aussähe. Wir erfahren, dass Bäume nachts auch schlafen, dass sie Duftstoffe aussenden, wenn sie von Blattläusen befallen sind. Diese Duftstoffe locken wiederum Marienkäfer an, und für die ist es dann eine willkommene »Essenseinladung«. Bäume halten zur Baumkrone des Nachbarbaums Abstand, Bäume machen uns gesund. »Man hat erforscht, dass kranke Leute im Krankenhaus weniger Medikamente brauchen und schneller gesund werden, wenn sie auf Bäume blicken.« Zeit im Wald sei entspannend, das Herz schlage ruhiger, der Blutdruck sinke und man könne sich besser konzentrieren. Na, wenn das nicht alles fantastische Argumente für den Wald sind. Für jeden einzelnen Baum.
Ob es die Baumgesellschaft ist, das vernetzte Leben der Bäume oder auch die so schwierig klingende Photosynthese, mit der Bäume Kohlendioxid aus der Luft nehmen und Sauerstoff abgeben, alles wird sehr verständlich in Bild, Wort, Spiel und Textbausteinen erläutert. Und immer wieder Mitmach-Aktionen, nie werden kleine Leser allein gelassen in diesem Buch, die kleinen Krabbler passen da schon auf. Ein Lehrbuch vielleicht, aber doch wieder nicht, dazu macht es einfach viel zu viel Spaß, hier wird ausgesprochen spielerisch gelernt, so etwas wie ›Die Sendung mit der Maus‹ auf 144 Seiten.
Und auch das nimmt breiten Raum ein: Bäume müssen wir schützen, kritisch und leicht verständlich setzt sich das Buch mit Klimawandel und Abholzung auseinander. »Hast du gewusst, dass jede Minute eine Waldfläche in der Größe von über 30 Fußballfeldern verschwindet?« Jede Minute wohlgemerkt! Schnell versteht auch der kleine Leser, dass weitaus größere Wälder existieren könnten, würden sie nicht für immer mehr Weideflächen abgeholzt, Weideflächen, auf denen Tiere weiden für unseren wachsenden Fleischkonsum. Schnell verstehen auch kleinste Leser, dass es mehr Wüsten, öde Landschaften und mehr Hitze und damit folgend Wetterextreme gäbe, wären unsere Wälder verschwunden. Über all das und vieles mehr informieren auch Umwelt- und Naturschutzgruppen, die kleinen Krabbeltiere wissen da Bescheid. Übrigens: es gibt kein Mindestalter um Naturschützer oder Naturschützerin zu werden!
Das Fazit des bemerkenswerten Baum-Rundum-Buches: »Was man kennt, das schützt man«. Bäume wachsen langsam, schneller könnte das Bewusstsein der jungen Generation wachsen. Das Buch ist eine ausgezeichnete Hilfe.
Titelangaben
Elisabeth Etz und Nini Spagl: Ein Baum kommt selten allein
Was du schon immer über Bäume wissen wolltest
Graz: Leykam-Verlag 2022
144 Seiten, 22 Euro
Kinderbuch ab 6 Jahren
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