//

Am Ende

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Am Ende

Zu guter Letzt wird alles einfach, sagte der Zwilling, wutsch!, und unsere Probleme sind vom Tisch.

Wie, unsere Probleme sind vom Tisch.

Vom Tisch. Weg. Nicht mehr da.

Sind gelöst?

Der Zwilling lachte.

Es gibt sie nicht mehr, verstehst du, sagte Crockeye.

Nein, sagte Bildoon, verstehe ich nicht.

Gramner legte die Stirn in Falten.

Der Ausguck stand auf, löste sich in die stockdunkle Nacht auf, man hörte ihn einen Salto schlagen.

Eldin legte einen Scheit Holz ins Feuer.

Touste schlug Akkorde an.

Sanctus hatte Tränen in den Augen.

Ein für allemal, frohlockte der Zwilling.

Wie er sich das vorstellen solle, fragte Bildoon.

Etwa von heute auf morgen, wollte Harmat wissen.

Gut möglich, sagte Crockeye, es wird ablaufen wie bei einem Kartenhaus, sagte er, wenn da im Fundament eine einzige Karte wegbricht, kannst du gleich alles vergessen.

Das wär’s dann gewesen, fragte Harmat.

Das wär’s dann gewesen, sagte LaBelle, keine Chance, der Spuk ist vorüber.

Welche Karte wird wegbrechen, fragte Mahorner.

Das weiß niemand, sagte Thimbleman.

Der Ausguck schälte sich aus der Dunkelheit.

Pirelli erschrak.

Gramner blickte auf.

Eldin räusperte sich.

Eine spannende Frage, sagte Thursday.

Fakultativ, sagte Pirelli, die Balance ist hin, und die mit so viel Aufwand ausgeklügelte Konstruktion, pardauz!, sie geht koppheister.

Das hatte man alles vorhergesagt, vernehmlich, unüberhörbar, erinnerte Gramner, es hatte Warnungen im Übermaß gegeben, der Kollaps hätte sich vermeiden lassen.

Nachher ist man klüger, sagte Harmat.

Nur daß es ein Nachher in diesem Fall nicht gibt, sagte Gramner.

Je höher man baut, desto anfälliger das Ergebnis, sagte Thursday.

Hochgezüchtet, sagte LaBelle.

Im Hinblick auf die Leistung spitze, preisverdächtig, keine Frage, sagte Thimbleman, jedoch nicht alltagstauglich.

Ob es Eitelkeit ist, die die Baumeister antreibt, fragte der Rotschopf.

Realitätsverweigerung, sagte Pirelli, hartnäckiger Geltungsdrang, überall warten Scheinwerfer und eine Kamera, das Anthropozän, was sonst, unwiderstehlich.

Zum Glück nicht unser Thema, sagte Thursday.

Eine Zivilisation richtet sich zugrunde, sagte Mahorner.

Als wären sie geradewegs gegen die Wand gefahren, sagte LaBelle, und all ihre Probleme mit ihnen, ein kurzer heftiger Aufschlag, und nichts bleibt übrig, aus, vorbei.

Potzblitz!, rief Bildoon.

Scherben bringen Glück, spottete der Zwilling.

Geblieben sind nicht einmal die, korrigierte LaBelle.

Eldin legte einen Scheit Holz ins Feuer, die Nacht in der Ojo de Liebre war mild.

Unsere Zukunft löscht sich aus, sagte Crockeye.

Erfolgreich, sagte LaBelle, rückstandsfrei, niemand wird übrig sein, der sich erinnert.

| WOLF SENFF

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Ländliches Idyll mit Überraschungen

Nächster Artikel

Lernen kann man überall

Weitere Artikel der Kategorie »Kurzprosa«

Miami

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Miami

Miami, USA, wir waren in Miami, wann war das. Tilman erinnerte sich. Das dürfte drei, auch vier Jahrzehnte her sein, sagte er, Rucksacktouristen, sagte er, die Zeiten waren anders, wir waren zu viert, irrten ziellos vom Flughafen in Richtung Stadt, es wurde Nacht und wir rollten Schlafsäcke auf einem weitläufigen Rasen aus, Gelände noch des Flughafens, weit waren wir nicht gelangt zu Fuß, wir schliefen drei, vier Stunden, bis wir vom grellen Scheinwerfer einer Polizeipatrouille geweckt wurden, freundlich aber bestimmt, dies sei kein Platz zum Übernachten, außerdem lebten hier Schlangen, das sei nicht ungefährlich, und wir sollten zusehen, in die Stadt zu kommen.

Revolution

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Revolution

Sie nennen es Digitalisierung, sagte Gramner, und das sei ihre neueste technologische Revolution.

Sensationell, murmelte Mahorner abfällig.

Die Revolutionen der sogenannten Moderne ereigneten sich in immer kürzeren Abständen, höhnte Pirelli.

So werde die Zukunft sein, sagte Rostock und lachte brüllend. Er setzte die Flasche an und trank einen Schluck. Ach was, was zum Teufel sorgten sie sich um eine Zukunft, die in weiter Ferne liege.

Aufenthalt

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Aufenthalt

Am besten schicken wir ihn in einer selbstfliegenden Raumkapsel auf den ominösen Planeten 9, jenseits noch von Pluto.

Tilman lachte. Den Mars zu besiedeln, das wäre für jemanden wie ihn keine Herausforderung mehr, diesen Weirdo zieht es nach ferneren Sternen.

Annika blätterte in ihrem Reisemagazin. So jemand, sagte sie, wolle immer der erste sein, wer brauche ihn, für so jemanden sei das Leben ein Schlachtfeld, es gebe schwarz, es gebe weiß, und wer nicht für ihn sei, sei gegen ihn.

Lesestoff

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Lesestoff

Was Annika gerade lese, fragte Farb.

Pearl S. Buck, sagte Tilman, sie lebte von 1892 bis 1973, doch wie komme Annika auf diese Autorin.

Sie sei mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet worden, 1938, sagte Farb, ihr Werk sei nicht unumstritten.

Ihr werde ein in Teilen triviales Niveau vorgehalten, erklärte Tilman.

Sie lese ›Drachensaat‹, sagte Annika, ›Dragon Seed‹, 1942, das Geschehen spiele während des chinesisch-japanischen Krieges, der im Juli 1937 durch einen Zwischenfall südöstlich von Beijing ausgelöst worden sei, sie lese Pearl S. Buck gern, sagte sie, und sei fest entschlossen, mehr von ihr zu lesen.

Chiffrierter Geheimnisträger statt Volkstümelei

Kurzprosa | Alexander Graeff: Runen Dass Hundehalter sich im Laufe der Zeit dem Charakter (und oftmals auch der Optik) ihres Schützlings anpassen würden, wurde bereits in jeder Zeitschrift von Lisa bis Focus ausgiebig behauptet. Gleiches soll auch für Menschen gelten, die lange zusammenleben. Als männliche Hälfte eines Ehepaares, das die Petersilienhochzeit bereits deutlich hinter sich gelassen hat, ist es mir erfreulicherweise dennoch gelungen, trotz innigster Verbundenheit in einigen Bereichen Freiräume und eigene Ansichten zu bewahren. STEFAN HEUER bespricht Alexander Graeffs Prosaminiaturen Runen.