Wie geht’s dir?

Jugendbuch | Umberto Galimberti und Anna Vivarelli: Das große Buch der Gefühle

Bücher über Gefühle liegen für die Kleinen im Trend. Da wird gezeigt, was Angst, Wut oder Freude bedeuten, wie man mit eigenen Gefühlen umgeht und die von anderen wahr- und ernst nimmt. Und jetzt gibt es so etwas endlich auch für die Großen, freut sich ANDREA WANNER.

Ein jugendlicher Mensch stemmt die Hände in die Hüften und speit FeuerVon A wie Altruismus bis Z wie Zuversicht listet der in knalligem Rot gehaltene Band 50 Gefühle auf, beschreibt und erklärt sie. Das fängt bei so einem komplizierten Wort wie Altruismus an. Dazu wählen Umberto Galimberti und Anna Vivarelli (das Buch ist 2021 in Italien erschienen) zunächst einen kleinen Text von Alexandre Dumas aus Die drei Musketiere:

»Schlagt ein und schwört!«, riefen ihm Athos und Aramis zu. Besiegt durch das Beispiel, aber doch leise fluchend, hob Porthos die Hand, und die vier Freunde gelobten mit lauter, fester Stimme: »Alle für einen, einer für alle!«

So, jetzt kann man sich schon ein bisschen besser vorstellen, was sich hinter Altruismus verbirgt. Nach der Übersetzung mit Selbstlosigkeit geht es an eine genauere Untersuchung, was das denn für Menschen und ihr Zusammenleben bedeutet. Altruismus wir abgegrenzt von dem was Tiere füreinander tun, wo das Opfer des Einzelnen im Interesse der Gruppe liegt. Der britische Zoologe und Evolutionsbiologe Richard Dawkins wird mit seinem 1976 erschienenen Titel »Das egoistische Gen« angeführt und auf den ungefähr zweieinhalb Seiten Text wird immer deutlicher, was das für ein Gefühl ist.

Dazu kommen die plakativen Illustrationen in kräftigen Farben von Alessandra De Cristofaro. Für jedes Gefühl gibt es eine große, einseitige Darstellung und eine kleinere, halbseitige. Für die Selbstlosigkeit ist das eine weibliche Figur mit erhobenen, geöffneten Händen, von denen aus verschieden Dinge in die Luft steigen: ein Haus, ein Herz, ein Regenbogen, ein Lutscher … Und das kleine Bild zeigt ebenfalls geöffnete Hände in dunklerer Hautfarbe mit Bonbons, einem Diamanten, Sternen. Das bringt das Gefühl des Altruismus auf den Punkt, bietet Möglichkeiten weiterzudenken und zu philosophieren – je nach Alter. Ab 10 Jahren geht das problemlos und nach oben gibt es keine Grenze.

Junge Leserinnen und Leser werden ernst genommen, wenn zum Gefühl »Angst« Martin Heidegger zitiert wird und dann zunächst Angst von Furch abgegrenzt wird. Mark Twains wunderbare Geschichte vom ›Prinz und Bettler‹ eröffnet das Kapitel über Empathie, ein Text von Gianni Rodari das über Neugierde. Glück und Hass finden ebenso Eingang in die Liste wie Schadenfreude, Scham und Schrecken. Umberto Galimberti ist Anthro­pologe, Psychoanalytiker und Professor für Philosophie und Psychologie an der Universität Ca Focari in Venedig, für den kindgerechten Ansatz ist Anna Vivarelli zuständig, die über 20 Kinder- und Jugendbücher geschrieben hat.

Die Mischung sorgt für ein ebenso fundiertes wie toll lesbares Kompendium, das man problemlos von vorn bis hinten durchlesen kann oder sich – je nach Gefühlslage – einzelne Kapitel rauspickt. Für die Erwachsenen gibt es noch ein spannendes, umfangreiches Vorwort von Galimberti, das die Frage beantwortet, warum es überhaupt so ein Buch über Gefühle braucht. Wer schon vorher ein Kapitel über Mobbing oder Resilienz, Ekel oder Stolz gelesen hat, schaut das Buch dann vielleicht nochmals mit anderen Augen an.

| ANDREA WANNER

Titelangaben
Umberto Galimberti und Anna Vivarelli: Das große Buch der Gefühle
50 Emotionen von Angst bis Zuversicht
(Che Tempesta! 50 emotioni raccontate a ragazzi, 2021). Aus dem Italienischen von Ulrike Schimming
Illustriert von Alessandra De Cristofero
Zürich: Midas 2022
232 Seiten, 22 Euro
Jugendbuch ab 10 Jahren
| Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander

Reinschauen
| Leseprobe

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Sieben Storys über ein Gefühl

Nächster Artikel

Über Schlangen, Eulen und beide Seiten der Medaille

Weitere Artikel der Kategorie »Jugendbuch«

32 Stunden, 12 Minuten und 10 Sekunden für mehr Toleranz

Jugendbuch | David Levithan: Two Boys Kissing Wie lange dauert ein Kuss? Das kann je nach Anlass wohl sehr unterschiedlich sein. In David Leviathans jüngstem Roman werden wir Zeugen eines ungewöhnlichen Kusses mit ungewöhnlicher Dauer. Von ANDREA WANNER

Rettung durch die magische Kugel

Jugendbuch | Siri Pettersen: Bubble

Kine ist ein normaler Teenie, und ihr stinkt die Schule, und ihre Mutter geht ihr auf die Nerven. Dann findet sie eine Kugel, in die sie sich retten kann. Aber auch das hat seinen Preis. Und das muss Kine auch erst mühsam und unter Lebensgefahr lernen. Von GEORG PATZER

Eine Flucht durch Eis und Schnee

Jugendbuch | Andreas Langer: Schneekinder

Jorland ist im Krieg mit Fjerig, der König hat alle kriegstauglichen Männer und Frauen aus den Dörfern geholt, ebenso die Jugendlichen zu Hilfsdiensten. Auch in Kyrfjall leben nur noch zwei ganze alte Menschen, Kinder und Elin, die eine gute Jägerin ist, und die Gefolgsleute des Königs mit Wild versorgt. Als wäre das Leben noch nicht hart genug, bricht eines Tages eine Katastrophe über die Gegend herein. Von ANDREA WANNER

Warum nur, warum?

Jugendbuch | S. Munk Jensen; G.Ringtved: Wir wollten nichts. Wir wollten alles Es gibt Schicksalsschläge, die existenzielle Fragen aufwerfen. Warum nur ist geschehen, was geschehen ist? Eindeutig zu beantworten ist das nicht. Das hat seine eigene Tragik, eine echte, schließlich hängt es mit dem Leben zusammen. Dann gibt es Bücher, die existenzielle Fragen aufwerfen. Warum nur wurden sie geschrieben? Wie immer die Antworten lauten mögen, nichts davon ist tragisch. Schließlich wäre es vermeidbar gewesen. Von MAGALI HEISSLER

Sandkastenliebe

Jugendbuch | Lisa Moore: Das Glück hat vier Farben Es gibt Menschen, die wissen schon mit fünf ganz sicher, mit wem sie den Rest ihres Lebens verbringen wollen, in Glück und ewiger Liebe. Der Rest des Lebens kann da gewaltig dazwischenfunken. Von MAGALI HEIẞLER