/

Reader

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Reader

Sie habe es einmal ausprobiert, ja, sagte Anne, ein einziges Mal, und es habe sich nicht gut angefühlt, sie sei bereits im Vorwege skeptisch gewesen, ein Bauchgefühl, gewiß, aber im Endeffekt sei die Innovation nicht zeitsparend.

E-Books ließen sich heute auf ganz unterschiedlichen Endgeräten aufrufen, sagte sie, doch nach wie vor würden E-Book-Reader angeboten, sie habe das selbst erst lernen müssen, es herrsche ein immenses Durcheinander, und es werde immer wieder Neues entwickelt, der Fortschritt nehme einfach kein Ende.

Manches sei verwirrend, sagte Farb, und manches andere erweise sich als Sackgasse.

Die Markteinführung der Reader und eben auch der E-Books sei unter viel Gewese vollzogen worden, ergänzte Tilman, sorgfältig vorbereitet, und man habe hohe Erwartungen daran geknüpft, typisch, sagte Tilman, eine neue Lesekultur, so hieß es, das Lesen in Büchern, so hieß es weiter, sei von gestern, wer wolle noch blättern, moderne Technik demonstriere ihre Eleganz im Display.

Ein triumphalistischer Zungenschlag, spottete Farb und schenkte Tee nach.

Man kenne diese Tonlage zur Genüge, sagte Tilman und griff zu einem Keks.

Anne lächelte. Wegen des störenden Lichteinfalls habe sie die Texte nie ohne Probleme lesen können, von entspanntem Lesen könne da keine Rede sein, auch wenn vielen Readern eine zuschaltbare Hintergrundbeleuchtung integriert gewesen sei, eine eher peinliche Nachbesserung, das Display sei außerdem monochrom und eigne sich deshalb nicht, Comics, Zeitschriften und Sachbücher zu lesen, die Schwierigkeiten hätten sich wie üblich erst im Detail gezeigt.

Vom Hölzchen zum Stöckchen, sagte Farb.

Tilman hörte kaum noch zu, der Hype erinnerte ihn an die sechziger Jahre, Wunder der Technik, doch die Zeiten waren lange vorbei, der Glanz war matt, der einst fein aufgetragene Lack porös und rissig, das E-Book sei wenig mehr als ein Nischenprodukt, eine Zeitlang habe man gelegentlich jemanden im ICE entdeckt, der von einem Reader las, doch auch das sei vergangen.

PCs, Notebooks, Tablet-Computer und Smartphones seien heute zwar universell einsetzbar und besäßen ein Farbdisplay, doch sei ihre Nutzungsdauer ohne Stromquelle aufgrund der dauerhaft benötigten Hintergrundbeleuchtung begrenzt.

Vom Hölzchen zum Stöckchen, sagte Farb, das sei die Kehrseite einer Kultur der Macher.

Außerdem seien sie bei hellem Tageslicht nur mühsam lesbar, sagte Anne, da ihr Bildschirm zumindest annähernd so hell leuchten müsse wie das Umgebungslicht.

Auch das noch, energieintensiv, stöhnte Farb, aber vollmundig angekündigt, was für ein Flop.

Sei’s drum, sagte Anne, auch eine Innovation erweise sich zuweilen als Fehlschlag.

Er könne der Logik nicht folgen, sagte Farb, und woran werde denn kenntlich, daß ein falscher Weg beschritten sei, und wer sei befugt, das zu entscheiden und gegebenenfalls einen Rückbau zu verfügen, nein, die Angelegenheit sei dubios.

Er schüttelte den Kopf und schenkte Tee nach.

Nicht alle Wege führen nach Rom, sagte Tilman, und man könne zurecht fragen, weshalb ein Reader sich nicht behaupte.

Farb lächelte. Mit dem gleichen Recht könne man fragen, weshalb andere Linien sich durchsetzen.

Woran er dabei denke, wollte Anne wissen.

Tilman nahm ein Kipferl, lehnte sich zurück und warf einen Blick zum Gohliser Schlößchen.

Waffentechnologien, sagte Farb, zum Beispiel Drohnen, bewaffnete Drohnen, ob das nicht ebenfalls ein falscher Weg sei, eine Sackgasse, er sähe gute Gründe, die Technologie als Fehlschlag zu werten, doch nichts geschähe, da würden überstürzt Innovationen etabliert, die damit verbundenen Risiken würden ignoriert und Schäden angerichtet, bei denen man froh sein dürfe, wenn sie überhaupt reparierbar seien.

Eine Kultur der Macher, sagte Anne, der Dünnbrettbohrer, da gebe sie ihm recht, trial and error sei ein gefährliches und kostspieliges Prinzip, das Hirn werde auf Null geschaltet, und auch wenn die Drohnen als ein Beispiel weit hergeholt erscheinen mögen, so gehe es wie bei dem Reader im Grunde darum, für Innovationen gangbare Wege zu öffnen.

Oder eben nicht, spottete Farb.

Oder eben nicht, wiederholte Anne.

| WOLF SENFF

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Ein Umzug als Chance

Nächster Artikel

Ein amerikanischer Mythos

Weitere Artikel der Kategorie »Kurzprosa«

Johanna

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Johanna

Manches, sagte LaBelle, hast du ständig vor Augen und verstehst es dein Leben lang nicht.

Daß Labelle das Wort ergriff! Thimbleman staunte. Das nächtliche Lagerfeuer in der Ojo de Liebre löste die Zungen, und dafür sei es gut, überlegte er, beim Walfang eine Pause einzulegen.

Er stamme aus Frankreich, sagte LaBelle, in Rouen sei er aufgewachsen, und was ihm sein Leben lang in Erinnerung bleiben werde, sei das Gedenken an die heilige Johanna.

Heilig?, fragte Harmat.

Im Volk gelte sie als der Engel Frankreichs, sagte LaBelle, fünfzehntes Jahrhundert, sie habe das Land von der englischen Besatzung befreit.

Rückbau

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Rückbau

Schön, da hätte sich ein geschmeidigeres Wort finden lassen, doch es ist ehrlich, die Dinge sind, wie sie sind, vor allem im Straßenverkehr ist das Wort etabliert, etwa wenn es um Geschwindigkeitsbegrenzung in den Innenstädten geht, um die Einrichtung von Kreiseln zwecks Verkehrsberuhigung oder um den Rückbau von Bushaltenischen, das wird wie selbstverständlich gehandhabt, und auch die avisierte Höchstgeschwindigkeit auf Autobahnen fügt sich in diesen Begriff, oder denken wir an den Ausbau der Radwege und den Hype, der ums Radfahren gemacht wird.

Irrfahrt mit dem Navigator

Kurzprosa | Hartmut Lange: Der Lichthof

»Es gibt kein Problem, das man nicht aus der Welt schaffen kann. Man muss nur verstehen, worum es geht«, lässt der inzwischen 83-jährige Hartmut Lange eine seiner Figuren, den Politologen Ronnefelder gleich zweimal sagen. Das klingt Lange-untypisch, fast simpel, beinahe wie ein Kalenderspruch aus einem philosophischen Ratgeber. Vom Berliner Novellisten ist man anderes gewohnt: jede Menge Düsternis, Rätselhaftigkeiten, tiefe seelische Abgründe und bisweilen schaurige Naturbeschreibungen, die er zumeist an einsamen Ufern der vielen Seen im Berliner Umland angesiedelt hat. PETER MOHR hat den neuen Novellenband von Hartmut Lange Der Lichthof gelesen.

Dämmerung

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Episode der Dämmerung

Ob sie je darauf geachtet hätten, wann die Dämmerung anbreche.

Er mache Witze, sagte McAlister.

Die Sonne gehe unter, spottete Pirelli.

Sut lächelte, und Stille trat ein.

Thimbleman reckte die Arme.

Eldin fühlte nach seinem Schultergelenk.

Wann sie endlich wieder die Schaluppen zu Wasser brächten, wollte Harmat wissen.

Grönland

TITEL | Textfeld: Wolf Senff: Grönland

Sie reden vom Klimawandel, sagte Farb, und schwadronieren von seinen angeblich positiven Seiten.

Die USA haben die Insel käuflich erwerben wollen.

Ein schlechter Witz, spottete Farb, in welchen Zeiten leben wir.

Es gab sogar wiederholte Angebote.

Sie firmiert als größte Insel des Planeten, Tilman, ist zu achtzig Prozent mit einem Eisschild bedeckt, schmale Küstenstreifen sind besiedelt, doch die Temperaturen steigen und Eis schmilzt, Bodenschätze werden vermutet, seltene Erden, jeder sucht seltene Erden, da herrscht kein Mangel an Investoren.