Flaschenpost, Kevin Costner, Nicholas Sparks, na klingelt’s, da fällt einem doch schnell der ans Herz gehende Film ein ›Message in a bottle – Der Beginn einer großen Liebe‹. Nicht nur daran erinnert man sich aber bei diesem wunderbaren und spannenden Buch über die »Flaschenpost« – findet BARBARA WEGMANN
Nein, man erinnert sich auch an die eigene Kindheit zum Beispiel. Wir fuhren oft an die See und da liegt der Gedanke natürlich nah, eine Flaschenpost auf die Reise zu schicken. Nein, aus der Karibik, aus Afrika oder Südamerika hat sich nie jemand gemeldet, meine Nachricht in die Welt, sie ist wohl für immer im Wattboden der Nordsee untergegangen. Hier in diesem attraktiven Buch wird man mit ganz anderen Flaschenpost-Kalibern konfrontiert. Aber egal, ob es die Flaschenpost ist, die Kevin Costner dem Meer anvertraute, ob es meine Versuche der Kontaktaufnahme mit der weiten Welt waren oder ob es, wie hier, um jene außerordentliche und seltene Sammlung von 600 Botschaften geht, die das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie in Hamburg beherbergt: Die Flaschenpost hat etwas zeitlos Aufregendes an sich, etwas Geheimnisvolles, etwas zutiefst Abenteuerliches. »In ihnen entfaltet sich eine maritime Kultur, die sich einem der größten wissenschaftlichen Projekte des 19. Jahrhunderts verschrieben hat: Der Enträtselung des Meeres.«
Dieses Buch mit seinem außergewöhnlichen und schnell faszinierenden Thema, es erzählt von Abenteuern, von Schicksalen, von unglaublichen Reisen einer so unscheinbaren Flaschenpost, es berichtet von der unstillbaren Neugier der Wissenschaft, den Strömungen der Weltmeere auf die Spur zu kommen. Die treibende Kraft dieser Forschungen und Initiator des ungewöhnlichen Großversuchs: Georg Neumayer, Geophysiker und Polarforscher, der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts alles daransetzt, »Zeugnis abzulegen über die Richtung jener großen Adern, die den Ozean nach allen Richtungen durchziehen und Bewegung und Leben in der unendlichen Wassermasse erzeugen.«
Rund 600 Flaschenpost-Nachrichten aus aller Welt fanden ihren Weg zurück, was für ein unglaublicher Erfolg einer so ungewöhnlichen Aktion. Heute lagern die Nachrichten von den Meeren der Welt im Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie in Hamburg. Ausgesetzt in der Regel von Kapitänen, wurden sie gefunden von den unterschiedlichsten Menschen dort, wo Wasser und Land aneinanderstoßen. Die »Flaschenpost-Forschung« als neues »meereskundliches Forschungsfeld« zu konzipieren, das war Neumayers Ziel, angestachelt durch das amerikanische Vorbild. Die Flaschenpost, »niemals nur ein Gegenstand nüchterner Wissenschaft« kam dem Forscher entgegen. »In ihnen entfaltet sich eine maritime Kultur, die sich einem der größten wissenschaftlichen Projekte des 19. Jahrhunderts verschrieben hat: der Enträtselung des Meeres.«
Natürlich gewinnt Neumayers Projekt viel Zuspruch und Begeisterung allein durch die Tatsache, dass die Flaschenpost natürlich immer schon ein »alter Gebrauch unter den Seeleuten« war, sich weit auf dem Meer, ohne andere Möglichkeiten zu haben, Angehörigen, der Familie, Freunden mitzuteilen. Hilferufe, ein Letzter Wille, eine Nachricht an die Liebsten, »romantisch- abenteuerliche Flaschenposts«, oft aber Zeugnisse von bevorstehenden Katastrophen. »Donnerstag, 10. Januar 1866. Das Schiff sinkt; keine Hoffnung auf Rettung. Liebe Eltern, möge Gott euch segnen und auch mich, mit der Hoffnung auf das ewige Leben.«
Das Buch, auffällig liebevoll und bibliophil gestaltet, es erzählt von vielen Funden am Strand, von Geheimnissen und Geschehen, die sie preisgeben. Aber sie wecken stark und schnell auch das Interesse für jene wissenschaftliche Flaschenpost, die nur mit einem schlichten Formular auf die Reise gingen: wann ausgesetzt, wo, von wem und mit der Bitte, sie zurückzuschicken an das ›Hamburgh Observatory‹. Es sind zwar nur sachliche Angaben, Koordinaten, Uhrzeiten, Namen von Schiffen und Kapitänen, aber eben diese Angaben entpuppen sich zu wahren Krimis auf See. Die erste Flaschenpost, die am 14. Juli 1864 vom Kapitän der NORFOLK auf der Fahrt nach London ausgesetzt wurde, man fand sie am Strand von Yambuk, Australien. Zwei Jahre, zehn Monate und 26 Tage später. Nach 9600 Seemeilen. »Dies ist die erste zurückgekehrte Flasche, mehr als 60 wurden über Bord geworfen von mir und meinem Diener. Nur diese eine kehrte zurück.«
Der Autor des Buches, Wolfgang Struck, eigentlich Professor für Neuere deutsche Literatur, er hat da noch eine ganz andere Leidenschaft: das Interesse für »Abenteuer, verschollene Forschungsreisende und die Fantasie von Seekarten«. Zwischen den einzelnen Fotos der vorgestellten Flaschenposts erzählt Struck aus Geschichte und Forschung, anschaulich, spannend, lebendig und mit einem riesigen Fundus an Recherchedetails. All das schafft, auf zudem noch sehr unterhaltsame Weise, das Verständnis für die Anfänge der Forschungen rund um Meeresströmungen. Und die liegen, weltweit gesehen, sogar noch Jahrzehnte vor Neumayers großem Projekt. Übrigens: nach dem Ersten Weltkrieg kam die Flaschenpost etwas »aus der Mode« Es gab präzisere Messinstrumente, »technisch aufgerüstet zu komplexen Apparaten mit automatischer Tiefenkontrolle und GPS-Ortung.« Dennoch, ob in Urlaub, Sachbuch, Filmen oder Literatur: Die Flaschenpost, samt der Faszination, die sie wie ein Mantel umgibt, lebt weiter.
Titelangaben
Wolfgang Struck: Flaschenpost
Ferne Botschaften, frühe Vermessungen und ein legendäres Experiment
mareverlag Hamburg 2022
36 Euro, 224 Seiten
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