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Gespannt

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Gespannt

In der Ojo de Liebre herrschten spezielle Umstände, man mag darüber denken, was man will, und die Fangpause hatte der Mannschaft zu guter Letzt ein Gefühl von Leichtigkeit verschafft oder immerhin eine Ahnung davon, wir gestatten uns kurz einen Blick zurück, vor allem Eldins verletzte Schulter hatte den Anlaß für diese Maßnahme geboten, wie sollte er in diesem Zustand eine Harpune werfen, andere hatten sich Zerrungen zugezogen, Schürfungen, Stauchungen, Kratzer.

Scammon hatte daran wenig Anteil genommen, er hatte seinen Entschluß verkündet und sich sogleich in die Kajüte zurückgezogen, um seine Messungen und Berechnungen fortzusetzen, wann brütete er nicht über diesen Aufzeichnungen.

Die Maßnahme war bei den Männern unterschiedlich angekommen, die meisten waren überrascht gewesen und hatten nichts mit dieser neuen Lage der Dinge anzufangen gewußt, sie fühlten sich aus der täglichen Routine gerissen, sie wollten dem Teufelsfisch ans Leder, mußten sich aber mit Nichtstun anfreunden.

Man möchte annehmen, sie würden diese Situation auskosten, würden sich wohlig zurücklehnen, jede Minute genießen. Doch im Gegenteil, nach anfänglichem Verstummen wurden sie unruhig, waren irritiert, wußten sich nicht zu helfen, schafften nicht sich auf Tatenlosigkeit umzustellen, wie soll man das erklären, sie schliefen nur leicht, schreckten schnell auf, und es gab niemanden, der ihnen eine Brücke bauen würde.

Am einfachsten fügten sich die Jungen in die unerwartete Konstellation, sie sind unkompliziert, Thimbleman genoß es, in der Lagune zu schwimmen, die Älteren staunten über seinen Mut, daß er sich in das Element des grimmigen Grauwals traute, setzte er nicht sein Leben aufs Spiel, allein Crockeye und der Zwilling amüsierten sich königlich, lachten grölend und riefen ihm derbe Sprüche zu, dem Ausguck aber neideten sie seit dem ersten Tag dessen elegante Salto-Sprünge, wie war ihm so etwas möglich, auch der akrobatische Flickflack gelang ihm scheinbar schwerelos, wie kam einer darauf, von wem hatte er das.

Die meisten wußten bereits am zweiten und am dritten Tag nichts Rechtes mit der gewonnenen Zeit anzufangen, wandten sich bestenfalls Schnitzereien zu oder knoteten kunstvolle Figuren, die Zeit zu vertreiben, ließen sich loben und holten sich Rat ein, doch auch ihnen ging nach wenigen Tagen die Luft aus, die Zeit war zäh, sie quälte, war einfach nicht totzuschlagen, und schließlich ergab es sich wie von selbst, daß man sich um Termoth, Sut und Gramner einfand, anfangs gelegentlich, dann häufiger, nicht ohne Streit und Rivalitäten, die Männer sortierten sich auf urwüchsige Weise, fanden sich bald zu festen Zeiten ein, doch der maßgebliche Schritt erfolgte, als der Ausguck und Thimbleman am dritten oder vierten Tag, schon legte niemand noch Wert darauf, die Tage zu zählen, während der abendlichen Dämmerung am Strand einige Scheite Holz zusammentrugen und ein Feuer anzündeten, was sogar vom Zwilling und Crockeye als ein freundliches Signal aufgefaßt wurde, als eine Art Brückenbau, und seitdem saßen sie Abend für Abend um lodernde Flammen, ja, gewiß, die gesamte Mannschaft bis tief in die Nacht, teils herrschte Stille, sie hörten auf das ferne Flüstern des Ozeans, teils redeten sie, sei es besonnen, sei es hitzig, sei es im Streit.

Bei Lichte betrachtet und mit nüchternem Verstand, nahmen die Dinge einen hochdramatischen Verlauf, und man muß sich wundern, daß es nicht zu einem Eklat kam wie seinerzeit, als der Bootswächter, wir erinnern uns, so rigide davongejagt wurde, Eldin war wegen des Verlusts einer Schaluppe von der blanken Wut gepackt, ließ er den Bootswächter nicht sogar einige Tage lang in Ketten legen, bevor sie ihn in die Wüste schickten, doch nein, so weit kam es diesmal nicht, und niemand hätte zu sagen gewußt, aus welchen Gründen, hatte etwa die friedfertige Stimmung der Lagune sich wie Balsam über die Seelen gebreitet, wer mochte das wissen, das Leben birgt Geheimnisse, jedenfalls muß man sich sehr wundern, daß diese Umstellung, die ja nichts anderes als eine tief greifende Krise war, niemanden wirklich aus dem Gleichgewicht warf, die Anspannung hätte sich verschärfen, hätte aggressiv eskalieren und erneut einen Kontrollverlust auslösen können, Eldin wäre dafür durchaus empfänglich, wenn einer, dann er, doch diesmal geschah nichts, rein garnichts, der Dämon, so ist man versucht zu meinen, verharrte im Dunkel.

Oder könnte jemand erklären, weshalb oft aus nichtigem Anlaß ein heftiger, sogar blutiger Konflikt ausbricht, gewiß, ein Charakter, cholerisch wie Eldin, ist kaum kalkulierbar, und niemand möchte vorhersagen, ob Eldin unter diesen Umständen oder unter jenen aus seiner Haut fährt, er schert sich nicht um Konsequenzen, er mußte mit Samthandschuhen angefaßt werden, sie mußten ihn behutsam in ihre Gespräche einbinden, zuallererst ihn.

Nicht daß etwa der Eindruck entstünde, über Eldin werde nun der Stab gebrochen, er solle hier schlechtgeredet werden, nein, jeder wird einmal vom Zorn überwältigt, Gründe gäbe es in Hülle und Fülle, und Eldin hätte hinreichend Anlaß, er führte einen Walfänger mit rauhbeinigen, eigenwilligen Matrosen, da mußte er sich durchsetzen, das war die eine Seite der Medaille, und so manch einer war ihm nicht grün, der Commandeur indes hielt sich vornehm im Hintergrund, alle Last ruhte auf Eldin, das war die andere Seite der Medaille, und wir erinnern uns, daß er nicht auf seine Leute herabsah, sondern gesellte sich Abend für Abend zu ihnen ans Lagerfeuer, das müssen wir ihm zugute halten.

| WOLF SENFF

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