9,6 x 14,8 cm klein, leuchtend gelb: Die Assoziation, die Reclam-Heftchen bei den meisten Jugendlichen hervorraufen dürfte, ist der – mal gelungene, mal eher langweilige Deutschunterricht mit Klassikern, bei denen sich die jungen Menschen oft genug die Frage stellen, warum sie die heute noch lesen sollen. Ausnahmen bestätigen die Regel, findet ANDREA WANNER angesichts der Reclam-Ausgabe von Matthias Brandts erstem Roman.
›Blackbird‹ erschien 2019 bei Kiepenheuer & Witsch und erzählt die Geschichte eines Jugendlichen in den späten 1970er Jahren. Ein Anruf verändert das Leben 15jährigen Morten Schumacher, genannt Motte. Sein bester Freund Bogi ist im Krankenhaus und die Situation ist ernst.
Eigentlich hatten die beiden nach einem Fußballturnier sich mal versuchsweise ihren ersten Rausch antrinken wollen. Der Wein, zwei Flaschen Amselfelder – oder wie Bogi sagte: »Blackbirdfielder« – war schon gekauft und versteckt. Zum Einsatz sollte er erst knapp ein Jahr später kommen. Was bis dahin geschieht, erzählt Motte aus seiner Sicht.
Während Bogi im Krankenhaus mit Chemotherapie gegen ein bösartiges Non-Hodgkin-Lymphom, kämpft, wissen die beiden Jungs bei Mottes besuchen nicht wirklich, was sie miteinander reden sollen. Motte hat ein schlechtes Gewissen, aber er fühlt sich blockiert. Außerdem geht draußen das Leben, sein Leben weiter. Seine Eltern haben sich getrennt, der Vater zieht endgültig aus und auch er und seine Mutter suchen sich eine neue Wohnung. Er braucht Kumpels, mit denen er den Alltag durchstehen kann. Er verliebt sich und erlebt einen Showdown. Und er trifft sich mit einem anderen Mädchen, von dem er nicht denkt, dass er in sie verliebt ist. Er hat seinen ersten Rausch, raucht seinen ersten Joint, denkt über das Leben, die Liebe und all das Zeugs nach. Hört Songs, regt sich über Eltern und Lehrer auf und ist traurig.
Wer damals jung war, wird das Lebensgefühl der Siebziger in vielen Details wiederfinden. Wer heute jung ist, entdeckt vielleicht Parallelen, Ähnlichkeiten. Aber auch Unterschiede. Manchmal plätschert das Leben so vor sich hin, man kann sich Unwichtigem widmen und sich über Kleinigkeiten aufregen. Und dann gibt es die elementaren Dinge, die, bei denen es um Leben und Tod geht und die nicht immer warten, bis man erwachsen ist.
Matthias Brandt hat kein Jugendbuch geschrieben, aber dennoch ist es im besten Sinne eines geworden. Unglaublich witzige Passagen wechseln mit philosophischen Überlegungen, unvergesslich sind Szenen wie die Begegnung mit Günter bei Nacht auf dem Zehnmeterbrett des Schwimmbads.
Hilfreich für die Lektüre sind für Nichtzeitgenossen von Motte sicherlich die Anmerkungen im Anhang, die erklären, wer Bogart war und wer Dieter Thomas Heck, was Cappy war und ›Kung Fu Fighting‹. Und dann gibt es Mortens Welt zu entdecken, die aus den Fugen gerät. Gewissheiten, die erschüttert werden und neue Freunde, die helfen, durch das ganze Chaos zu finden.
(*) Beatles, Blackbird
Titelangaben
Matthias Brandt: Blackbird
Ditzingen: Reclam 2023
286 Seiten, 7 Euro
Jugendbuch ab 14 Jahren
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