Einkaufen gehört zu den alltäglichen Dingen. Wer aber die beiden Ladenbesitzer, Alberta und den Geräuschehändler kennenlernt, die ganz unterschiedliche Dinge offerieren, spürt den Reiz des Besonderen, der aus einem Einkauf ein unvergessliches Erlebnis macht. Von BARBARA WEGMANN und ANDREA WANNER.
Blinde Menschen könnten viel zu dem wunderbaren Bilderbuch ›Der Geräuschehändler‹ erzählen. Jedes Geräusch hören und erkennen sie, jede veränderte Nuance in unserem Tonfall wird ihnen unsere Stimmung mitteilen, der Hörsinn ist exzellent ausgeprägt. Auch, wenn wir alle Sinne aktiv haben, ist es eine gute Übung und macht sogar Spaß, die Augen zu schließen und sich einmal auf alle Geräusche zu konzentrieren, findet BARBARA WEGMANN.
Ein kleines grünes Haus in einer unscheinbaren Straße, im Erdgeschoss ein Geschäft, in dem man Geräusche erwerben kann. Damit beginnt eine außergewöhnlich liebenswerte Reise durch die Welt der Geräusche, eine Reise durch eine ganze Woche, Tag für Tag und eine Reise, die viele Geschichten birgt. »Und wenn du ganz still bist, dann kannst du vor dem Laden bereits leises Rumpeln und Quietschen, Summen und Brummen, Knattern und Rattern hören.« Das geht ja gut los, aber es kommt noch viel kurioser. Am Montagmorgen betritt die Straßenlaterne von der Kreuzung den Laden. Verzweifelt erklärt die dem Geräuschehändler, sie könne nachts nicht schlafen, es sei so ruhig, dabei könne man einfach nicht leuchten, sie schlafe immer wieder ein. Der Geräuschehändler, ein netter alter Mann mit Brille weiß Rat, aus einem Jutesäckchen holt er »Autovorbeigeräusche« heraus und steckt sie in ein leeres Tütchen, dazu ein bisschen »Straßenbahnlärm«, »eine Messerspitze Martinshorn«, ein »paar Menschenworte« und »ordentliche Bremsquietscher«. »Und einen Hauch schimpfender Autofahrer vielleicht«, bittet ihn die Laterne. Ein seltsamer Kunde in einem seltsamen Geschäft, aber es ist erst Montag.
Ehrlich gesagt, die Idee dieser Geschichte hat mich ganz schnell fasziniert, wie schön, wenn Fantasie sich in große Höhen schraubt und Pirouetten dreht. Nichts ist unmöglich, man muss es einfach nur weiterdenken. Heraus aus üblichen Mustern, hinein in eine bunte Welt mit einer Vorstellungskraft, sie so gar keine Grenzen hat.
Kathrin Rohmann lebt in der Nähe von Hannover und ist Landwirtin und Agraringenieurin. Das »Klackern der Fressgitter im Rinderstall höre sie so gern und das Rauschen von Regenvorhängen«. In ihrem neuen Buch zaubert die Autorin geradezu ein Füllhorn an Geräuschen und sie alle sind in dem kleinen Laden des netten älteren Mannes in Tüten, Flaschen, Dosen oder alten Schuhkartons, in Regalen und Schubladen bis unter die Decke untergebracht. Wer da nicht das Passende findet …
Jule Wellerdiek hat in Münster Design studiert und, wie es heißt, malt sie schon, seit sie einen Stift halten kann. Schräge Figuren und Details mag sie besonders, na, da war ja diese Geschichte eine hervorragende Herausforderung für sie. »Gelungen!«, kann man nur sagen.
Geräusche kann man natürlich nicht malen, aber die seltsame Kundschaft des netten älteren Geräuschehändlers, die kann man prima in viel Farbe und dynamische Bilder setzen. Da sind die Zirkusleute, die kommen, weil sie eine Stimmungskanone brauchen, das Gespenst, das Katzenschreie, Kettenrasseln und heulenden Wind wünscht. Und da wäre der Regenwurm, der eine Gartenparty feiern möchte und dazu einen »richtig fetten Sound« benötigt. Alle Illustrationen sind ebenso ja, leicht schräg und abenteuerlich wie die Geschichte selbst.
Jeder Kunde kommt an einem anderen Wochentag, und schwups, so lernt man im Handumdrehen nicht nur all diese Kunden kennen, sondern auch die Wochentage. Man lernt die verschiedensten Geräusche kennen und entdeckt ganz nebenbei, dass es auch Spaß machen kann, im eigenen Alltag einmal auf alle Geräusche zu achten. Das Schöne an diesem wirklich liebenswerten Buch: Man kann das Buch auch mit dem Dienstag oder dem Freitag beginnen. Oder mit dem Sonntag, nur sonntags kommen keine Kunden in das Geschäft im grünen Haus, da fährt der Geräuschehändler ans Meer und will Nachschub holen: Möwengeschrei, Schiffstuten, Meeresrauschen. Aber, was für ein großes Unglück: Alles ist ruhig, still, so leise. Dann findet er plötzlich eine uralte Flasche …
Lustigerweise endet genau damit – einer alten Flasche und dem Meer – auch Albertas Geschichte. Aber vorher öffnet sie pünktlich kurz vor 10 das grüne Rolltor ihres Wunschladens für die so unterschiedlichen Kunden, die auf wunderbare Schätze stoßen, freut sich ANDREA WANNER.
Dass die Geschichte bei strömendem Regen beginnt, ändert nichts an der guten Laune und dem Optimismus, den Alberta versprüht. Mit ganzem Namen heißt sie Alberta Brocante und ihr Job ist es, für jede und jeden genau das Richtige auf Lager zu haben. Nomen est omen: das italienische brocante bedeutet auf Deutsch nichts anderes als Händler, was sie verkauft sind gebrauchte und alte Sachen. Und die Menschen, die zu ihr kommen, haben erstaunliche Ansinnen. Ein Mann mit Parkplatzproblemen findet einen passenden Teppich in Schwarz-Weiß, auf dem groß und deutlich PARKPLATZ steht. Jürgen will als Erinnerung ein Stück Meer mitnehmen und zieht glücklich mit einer Riesenmuschel von dannen. Der groß, starke Freund für Elio verbirgt sich hinter einem Schränkchen und Lorena, die gern wie ein Fisch schwimmen möchte, bekommt ein Kostüm mit Schwanzflosse. Heißhunger auf Eier? Dafür gibt es den ultimativen Eierbecher in Trampeletierform, eine kleine Wolke, die ständig regnet, bringt die erwünschte Abkühlung für Bianca. Nie ist Alberta ratlos, immer stellt sie mit einem freundlichen »Oh, ich weiß etwas für Sie!« die Kundinnen und Kunden zufrieden.
Martina Walther, Illustratorin, Bilderbuchzeichnerin, Keramikmacherin und Mitbegründerin des Verlags edition cucuc, lebt und arbeitet in der Schweiz, schöpft in ihrem dritten Kinderbuch aus dem Vollen. Verspielt und schelmisch, überraschend und kreativ, versteckt und verblüffend: Auf jede der Doppelseiten gibt es Unzähliges zu entdecken, laden kleine Szene zum Mitsuchen und Raten ein, werden parallel ganz viele Minigeschichten erzählt. Der Stil der farbenfrohen Illustrationen wirkt auf den ersten Blick kindlich-naiv und bietet auf den zweiten neben dem Kinderzeichnungscharme raffinierte Kompositionen und erstaunliche Bildgefüge. Es macht unglaublich viel Spaß auf den Seiten zu stöbern, fast so als wäre man wirklich in Albertas Laden. Und natürlich kann man das Spiel mit den verrückten Kundenwünschen weiterspinnen, sich Sehnsüchte ausdenken und nach Passendem Ausschau halten.
Am Ende der Geschichte fragt Pepe, ihr bester Kunde, nach Albertas größtem Wunsch. Auch den gibt es – und vielleicht findet sich ja auch dafür das Richtige!
| ANDREA WANNER
| BARBARA WEGMANN
Titelangaben
Kathrin Rohmann: Der Geräuschehändler
Illustriert von Jule Wellerdiek
München: Knesebeck Verlag
48 Seiten, 16 Euro
Bilderbuch ab 5 Jahren
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Martina Walther: Albertas Wunschladen
Mannheim: Kunstanstifter 2023
44 Seiten. 24 Euro.
Bilderbuch ab 4 Jahren
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