Wer kennt das nicht, man ist im Urlaub, bereist Länder und möchte sich etwas Schönes als Andenken mitnehmen, aber eben nicht aus dem Angebot der vorwiegend chinesischen Massenware, sondern etwas mit Geschichte, mit Herkunft, mit Einzigartigkeit. Eben etwas ganz Besonderes. Dieser prachtvolle Bildband öffnet Türen für viele Ideen und Eindrücke, meint BARBARA WEGMANN
Und nicht nur das: der spannende Bildband nimmt mit auf eine Reise in die Geschichte, gibt Einblicke und Eindrücke, vermittelt Begeisterung, Bewunderung und Faszination für Handwerk, Kunst und exklusive Fertigung. Das ausgefallene Buch mit seinem ausgefallenen Thema entführt in Ateliers und Werkstätten, in Arbeitsräume und Studios mit langen Traditionen, in Arbeitsstätten, die voller Geschichte stecken.
Einige der vorgestellten Ateliers, so Autor John Whelan seien höchst erfolgreich und belieferten kulturelle Institutionen oder die »vermögende Weltelite«. Andere befänden sich in einer weniger glücklichen Lage und sähen sich mit den Herausforderungen der digitalen Innovation und einem schwindenden Interesse an ihrem Handwerk konfrontiert. Nach der Lektüre des Bildbandes kommt man sehr schnell zu dem Urteil: es wäre ein großer Verlust, wenn diese Kreativität, diese Handwerke, diese Fertigung von »exklusiven, begehrten und weltweit berühmten Stücken verloren ginge.
Alte Brasserien in Paris und im Elsass zu restaurieren und umzugestalten, damit fing für John Whelan eigentlich alles an. Sein Konzept war aber keine Modernisierung, sondern den alten Glanz der Räumlichkeiten wiederzufinden, historische Innenräume wiederzubeleben, die alte Atmosphäre wieder aufleben zu lassen. Dazu waren viele Handwerksbetriebe aufzusuchen und zu beschäftigen und schon war die Idee zu diesem Buch geboren. Viel Recherche, Liebe zu Thema und offensichtliche Freude an der Umsetzung ergaben eine Reise quer durch Österreich, England, Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien und die Schweiz. Ateliers für die verschiedensten Handwerke besuchte Whelan, begleitet von Fotograf Oskar Proctor, der Whelans Thema nicht nur verstand, sondern in hohem Maße sensibel und einfühlsam optisch umsetzte. Schatten, sanftes Licht, Vergänglichkeit, Geheimnisse und die Atmosphäre vergangener Jahrhunderte, ein paar abendliche Sonnenstrahlen, sie sich in alten Gemäuern verfangen, alles spiegelt sich in seinen Fotografien wider. Bilder, die viele Gesamteindrücke aus den Werkstätten vermitteln, aber auch Details, auserwählte Winzigkeiten, die Kunst, Können, das Schaffen und manchmal auch das kreative Chaos offenbaren.
Blicke in Werkstätten, aber auch Blicke in die Vergangenheit und Einblicke in ganz besondere Künste. Zum Beispiel das alteingesessene Glasmalerei-Unternehmen »Bonet« in Barcelona. Viel hat man hier mit den Restaurierungen zahlreicher verzierter Treppenhäuser und Bogenfenster zu tun, die für die Stadt so typisch sind. Und: Das Unternehmen arbeitet auch an den Glasfenstern der Sagrada Familia. »Diese Fenster, die die Besucher der Sagrada Familia in einen Regenbogen aus Sonnenlicht tauchen, sind ein wesentlicher Bestandteil des weltberühmten Kirchenbaus.«
Egal, ob es die Keramikmanufaktur 1882 im britischen Stoke-on-Trent ist, das Atelier für Dekormalerei in Paris, oder aber die Werkstatt für Porzellanmanufaktur, ganz nahe dem Nymphenburger Schloss in München gelegen, es sind einzigartige Kreationen und Künste. »Für die Herstellung des ›weißen Goldes‹ werden bis heute dieselben Techniken genutzt wie in der Zeit des Rokoko, unverändert weitergegeben von einer Generation zur Nächsten.«
Die begleitenden Texte zu jedem Atelierbesuch, sie geben das informative Fundament, halten sich aber angesichts der in der Tat sehr schönen Fotografien zurück. In diesem Buch dominieren und begeistern die optischen Eindrücke.
Kristall, Schmiedeeisen oder Stoff und Keramik, Textilien, Buchbindearbeiten, Leuchten, Metall-, Holz- oder Silber- und Goldmanufaktur, die Breite der kunstvollen und künstlerischen Arbeiten ist groß, die Unternehmensgeschichten oft lang und generationenübergreifend, die Ateliers erzählen diese Geschichten, in aller Stille und Würde. Menschen, Mitarbeiter, man sucht sie vergebens auf den Bildern, hier dominieren die Räume, die Regale, die Schränke, die Werkzeuge, und man schnuppert förmlich den Geruch der Werkstatt. »Ich wollte einfach diese erhabenen, einsamen Momente teilen, in denen ich in diesen einzigartigen Arbeitsräumen verweilte und das Gefühl hatte, die Zeit sei stehen geblieben, wenn auch nur für einen Augenblick.«
Titelangaben
John Whelan: Ateliers und Werkstätten
Dekorative Kunst in Europa
Fotografie: Oskar Proctor
Prestel Verlag
288 Seiten, 50 Euro
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