Ich denke an sie wie an ein Mädchen

Biografie | Heinz Bachmann: Ingeborg Bachmann, meine Schwester

Um das Leben der in Klagenfurt geborenen und unter tragischen Umständen in Rom gestorbenen österreichischen Schriftstellerin Ingeborg Bachmann (1925 – 1973) ranken sich zahlreiche Mythen, noch geschürt durch lange unveröffentlichte Nachlassfragmente und gesperrte Briefwechsel. Am 17. Oktober jährt sich ihr Todestag zum 50. Mal. Der jüngere Bruder Heinz erinnert sich an ›Ingeborg Bachmann, meine Schwester‹ und gewährt Einblicke in das Familienalbum. Von INGEBORG JAISER

Ingeborg Bachmann sitzt lächelnd auf einem GartenstuhlSie war zugleich Femme fatale und Fräuleinwunder der deutschsprachigen Nachkriegsliteratur: vielgestaltig, undurchsichtig, rätselhaft. Mal mit Scheuem-Reh-Attitüde bei der Niendorfer Tagung der Gruppe 47, mal als durchgestyltes Cover-Girl auf der Spiegel-Titelseite – als erste Frau überhaupt. Mit Männern hatte sie kein nachhaltiges Glück, auch wenn Paul Celan, Max Frisch, Werner Henze und wohl auch Henry Kissinger zu ihren temporären Liebhabern und Partnern gehörten. Zahlreiche Biographen, Herausgeber und Literaturwissenschaftler haben sich um Deutungsversuche zwischen Leben und Werk Ingeborg Bachmanns bemüht. Und im Vorgriff auf den 50. Todestag (am 17.10.2023) der berühmten Tochter der Stadt wurde bereits im Sommer die bescheidene Grünfläche vor dem ORF-Landesstudio Kärnten zum »Ingeborg-Bachmann-Park« umgewidmet – nach all den bereits bestehenden Ingeborg-Bachmann-Plätzen, -Gymnasien, -Denkmälern und -Wegen, ganz zu schweigen von einer der wichtigsten literarischen Auszeichnungen im deutschen Sprachraum, dem Ingeborg-Bachmann-Preis.

Familiärer Zusammenhalt

Nach all diesen Würdigungen überrascht der eben erschienene Erinnerungsband ›Ingeborg Bachmann, meine Schwester‹ durch bescheidene Zurückhaltung. Es ist der Versuch des 13 Jahre jüngeren Bruders Heinz, einem lange in Afrika und dem Nahen Osten arbeitenden Geologen, das Leben seiner Schwester Ingeborg aus privater, familiärer Sicht neu zu erzählen. Auch wenn er als »Spätling« nur schemenhafte Erinnerungen an ihre Schulzeit haben kann und er sich erst in den Sechzigerjahren »auf Augenhöhe« mit seiner großen Schwester gefühlt hat, wie er selbst gesteht. Doch anrührende, vielfach unbekannte Fotos aus dem Familienalbum und tradierte Erzählungen aus dem Alltagsleben schließen mögliche Lücken glaubhaft und stimmig.

Besonders wichtig erscheint es Heinz Bachmann, den engen, über Jahrzehnte und weite räumliche Distanzen hinweg bestehenden familiären Zusammenhalt zu betonen. Offenbar besuchte man sich gerne und schrieb regelmäßig Briefe. Reiselustig, umtriebig, bewegungsfreudig und polyglott dürfte die ganze Familie gewesen sein. Es wird von abenteuerlichen Reisen der Eltern mit dem Rad berichtet, nach Italien oder zu Verwandten ins 90 Kilometer entfernte Gailtal, mit den Kindern auf dem Gepäckträger. Ingeborg soll sich auch gerne mit ihrem Vater auf Italienisch unterhalten haben. Überhaupt wird das Vater-Tochter-Verhältnis durch Heinz Bachmann als vertrauensvoll und liebevoll dargestellt, obgleich viele Biographen (und natürlich Ingeborg Bachmann selbst) eine zutiefst ambivalente Haltung erspürt haben. Die gnadenlose, grausame Vaterfigur in ›Malina‹ gibt Zeugnis davon.

Es war ein Wirbel, der nie aufhörte

Und sollte die praktizierte Reiselust der Eltern prägend für die Kinder gewesen sein? Sowohl Heinz als auch Ingeborg haben lange Zeit im Ausland gelebt, mit ständig wechselnden Wohnsitzen, Aufenthaltsorten, Fixpunkten. Mehr als einmal müssen große Geldbeträge transferiert und Seilschaften aktiviert worden sein, um einander in Notsituationen zu helfen. Bereits die Finanzierung von Ingeborgs Philosophie-Studium in Wien verschlang alle Reserven. »Auch die ganzen Fotogeräte wurden verkauft«, schreibt Heinz Bachmann. »Daher gibt es ab dieser Zeit keine Familienfotos mehr.« Doch gegenseitige Anteilnahme, Austausch und Inspiration wurde stets gelebt. Noch heute ist Heinz Bachmann stolz darauf, dass fast wörtliche Zitate aus seiner geologischen Dissertation Eingang in ›Das Buch Franza‹ gefunden haben.

Auch wenn Ingeborg Bachmann oft ruhesuchend nach Klagenfurt zurückgekehrt ist, drehte sich ihr Leben immer schneller – »es war ein Wirbel, der nie aufhörte und körperlich wie seelisch sehr anstrengend war«, schreibt ihr Bruder. Über die wechselnden Beziehungen seiner Schwester scheint er informiert gewesen zu sein – auch wenn er im Nachhinein auf jegliche Animosität verzichtet, der öffentlichen Wahrnehmung höchstens eine persönliche Sichtweise hinzufügt. So schreibt er über Ingeborg Bachmanns Wiener Zeit: »Aber in unserer Familie hatte Paul Celan nie die Bedeutung, die Hans Weigel in diesen Jahren besaß.« Und später konnte »Herr Frisch« trotz Geschenken und beeindruckendem Auto nie überzeugend punkten (»Ganz allgemein fehlte es an Herzlichkeit.«).

Noch fünf Jahrzehnte nach Ingeborg Bachmanns Tod sind Heinz Bachmanns Erinnerungen von Trauer und einem unterschwelligen Bedauern über mögliche Versäumnisse, Abwesenheiten, Nachlässigkeiten durchzogen. Das gibt diesem Buch einen sehr menschlichen, persönlichen Touch. Schade nur, dass der Verlag auf einen Anhang mit bio-bibliographischen Daten verzichtet hat, auf die man als Leser gerne zurückgreifen würde.

| INGEBORG JAISER

Titelangaben
Heinz Bachmann: Ingeborg Bachmann, meine Schwester
Erinnerungen und Bilder
München: Piper, 2023
125 Seiten, 24,- Euro

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Schoko-Wahnsinn

Nächster Artikel

Karttinger 8

Weitere Artikel der Kategorie »Menschen«

Die Sammler der Herzen

Musik | Album: Fettes Brot Keine andere Band hat die Hamburger Hiphopszene so geprägt, wie »Fettes Brot«. Die Gründer: Doktor Renz, König Boris und Björn Beton sind seit 1995 aus der deutschen Musiklandschaft nicht mehr wegzudenken. Besonders legendär aus diesem Jahr war und ist ihr Titel »Jein«, mit dem sie deutschlandweit bekannt wurden. Und das lange, bevor die Herren von »Deichkind« mit dem Hinterteil zu »Bon Voyage« wackelten. ANNA NOAH hört in die allerneueste Brot-CD namens »Lovestory«.

A Trip To The Silent Harbour

Music | Bittles’ Magazine: The music column from the end of the world Dutch producer Boris Bunnik is a man of many aliases. Over the years he has been responsible for a series of stunning genre defying tracks as Conforce, Versalife, Hexagon, Vernon Felicity and Silent Harbour. Someone who understands the importance of patience and space, releases on labels such as Delsin, Clone, Rush Hour, Frustrated Funk and Echocord have cemented his reputation as a producer able to inject a vivid sense of personality into the music he creates.  Disregarding the restrictions of BPM count or style, all of his

Spalter und kein Integrierer

Menschen | Zum 80. Geburtstag des langjährigen PEN-Präsidenten Johano Strasser am 1. Mai »Was in den USA zurzeit passiert, ist eine Tragödie. Donald Trump ist ein Mensch, der eigentlich nicht in ein solches Amt gehört. Noch dazu ein Amt, das besondere Befugnisse hat, die weit über das hinausgehen, was ein vergleichbarer Staatschef — beispielsweise die Kanzlerin — hätte. Das darf eigentlich nicht passieren«, beklagte Johano Strasser vor einem Jahr in einem Interview. Der Schriftsteller, Publizist und Politologe ist stets ein Querdenker gewesen, ein skeptischer Grübler, denn (so Strasser) der Intellektuelle sei nun einmal ein »Spalter und kein Integrierer«. Von PETER

1989 – ein Jahr in Bildern

Menschen | Chris Niedenthal 1989: The year of hope Chris Niedenthal war der erste und lange Zeit einzige akkreditierte Fotojournalist, der in der ehemaligen Sowjetunion für westliche Medien arbeitete. Niemand sonst erlebte die letzten Monate vor dem Zusammenbruch des Ostblocks und dem Fall der Mauer so nah wie er. Nun hat der britisch-polnische Fotograf einen Bildband veröffentlicht, in dem er die wichtigsten Fotos aus dem Wendejahr zusammenfasst. Von FLORIAN STURM

Liebenswerter Außenseiter

Menschen | Zum Tod von Walter Kappacher

Er galt viele Jahre als Geheimtipp in der literarischen Welt, sein renommierter Landsmann Peter Handke hatte sich vehement für ihn eingesetzt. Doch die große öffentliche Anerkennung errang der Schriftsteller Walter Kappacher erst 2009 nach dem Erscheinen des Romans ›Der Fliegenpalast‹. Danach wurde ihm die wichtigste literarische Auszeichnung des deutschsprachigen Raumes verliehen – der Georg-Büchner-Preis. Von PETER MOHR