//

Karttinger 8

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Karttinger 8

Mit atemberaubender Geschwindigkeit gegen die Wand! Tempi passati. Das Geschehen am Rio Lobo auf einen Schlag beendet. Ein ernüchterndes Beispiel! Nur nicht aus Liebe weinen! Da werde aber jedem angst und bange, daß eine Erzählung knallrot zu Ende geht.

Nahstoll zeigte sich unerschütterlich: Das sei eben der Lauf der Welt, sagte er, zu guter Letzt sei der Knoten geplatzt, das lasse sich gar nicht vermeiden, keinesfalls, ein jeder Knoten, sagte er, neige zum Platzen, heut’ Abend lad’ ich mir die Liebe ein, die Vendée sei der Karttinger eine zweite Heimat geworden, und wer wäre so todesmutig und stellte sich dem Geschehen in den Weg, wenn sich die Dinge in ihre Ordnung ergössen, davon geht die Welt nicht unter.

Souverän, sagte Wollmann, bewundernswert.

Ungewöhnlich, ergänzte Nahstoll, doch wen störe das, man habe anderes gesehen. Kyoto, Hamburg, En Bokek, Niort, der Wind hat mir ein Lied erzählt, die Abstände schmölzen dahin wie jener gigantische Gletscher Thwaites, Raum und Zeit würden schrumpfen und sich ins Nichts verlieren, über den Wolken, das werfe uns nicht aus der Bahn, keineswegs, nicht einmal in diesen aufwühlenden Zeitläuften, hier wie dort, es stehe Spitz auf Knopf, ein mächtiges mentales Beben erschüttere die inneren Strukturen, die Fundamente wanken, nichts geht mehr, ich schau den weißen Wolken nach und fange an zu träumen.

Ein überaus dramatischer Abschnitt kündige sich an, erklärte Wollmann, und drohe sich in eine einzige Nacht und den darauf folgenden Vormittag zu komprimieren, für extreme Vorkommnisse bitte der Autor seine Leser vorweg um Nachsicht, Schließen Sie Türen und Fenster und halten Sie sich in geschlossenen Räumen auf!, er wolle sich keine Blöße, das sei seine Pflicht und Schuldigkeit als höflicher Mensch, keinesfalls, eine Ballung werde möglicherweise als ein Verstoß empfunden.

Wer könne es schon allen recht machen, wandte Nahstoll ein.

Ob der Autor einen Telefonanschluß hinterlegt habe, fragte Wollmann, er hätte die Kontaktdaten gern schwarz auf weiß, einer müsse für die Ereignisse geradestehen, sofern sie entgleisten, nicht, aber verständlich auch, daß ein Autor sich zurückziehe, um sich zu besinnen, so etwas komme vor, die Dinge müßten ihre Ordnung haben, nein, wir dürfen das nicht auf die leichte Schulter nehmen, keineswegs,  die Lage sei verwirrend, das Durcheinander erheblich, was sich aber unverhofft als reizvoll erweisen könne und als attraktiv, wer wisse das denn, und was wäre gegen eine Pause einzuwenden, bis er imstande sei, das Geschehen in aller Ruhe weiterzuführen, nichts, sagte Wollmann, und nein, den selbstschreibenden Roman, den habe bislang niemand erfunden, schade eigentlich, die Ingenieure seien sämtlich mit den Fehlern und Ausfällen des selbstfahrenden Autos befaßt – er wolle nicht schwarzmalen, keineswegs – und mit aufwendigen Präsentationen von Home Electronics, ein spöttisches Lächeln: trial and error, Risse und Brüche, und der Fachkräftemangel, sagte Wollmann, sei bekanntlich beträchtlich, er wolle nicht schwarzmalen, keineswegs, nein, doch die Fachkräfte dünnten aus wie der unlängst erwähnte Colorado River.

Das solle jedoch bitte niemandem schlaflose Nächte. Nahstoll blieb erstaunlich gelassen. Sich nicht zu ereifern, das rate er Wollmann, sondern sich in Geduld zu üben, solange das möglich sei, gegen den Klimakollaps sei eh kein Kraut gewachsen, null, Widerstand zwecklos.

Ob Autor oder kein Autor, sagte er, jede Erzählung habe über Brüche, Stürze und Risse stets an ihr Ende. Dieser werde es nicht anders ergehen, Brüche, Stürze und Risse seien unverzichtbar, sogar für Quälgeister werde sich ein passabler Platz, und wir werden das überbordende Palaver eingrenzen, so daß das nachfolgende bitte einfach.

| WOLF SENFF

Weiterlesen
| Karttinger 9 folgt demnächst, die vorhergehenden Texte sind hier einzusehen

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Ich denke an sie wie an ein Mädchen

Nächster Artikel

Guerilla-Häkeln

Weitere Artikel der Kategorie »Kurzprosa«

Beacon to the world

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Beacon to the world

Mit stolzgeschwellter Brust nennt er seine Gegenwart Neuzeit, sich selbst kühn einen Homo sapiens und nimmt dennoch die vernichtenden Abläufe nicht wahr.

Wie ist das möglich, Gramner?

Der Mensch kann die Augen schließen, rein physisch, die Lider herunterklappen, Augen zu, und allem Anschein nach ist sein Geist ähnlich eingerichtet, seine Wahrnehmung kann hellwach, doch kann auch auf Null geschaltet sein.

Und wovon soll das abhängig sein?

Das ergibt Sinn, oder? Vor einem Anblick, der ihn quält, schließt er unwillkürlich die Augen, und auch seine Wahrnehmung sperrt sich gegen bestimmte Dinge, er tabuisiert sie.

Er will etwas nicht wahrhaben?

Er neigt dazu, manche Dinge nicht wahrzuhaben, Ausguck, zum Beispiel nimmt er nur in Ansätzen wahr, daß der Planet leidet, die Lebensgrundlagen gehen verloren, er verzeichnet die Symptome, er schweigt sich aus über Ursachen.

Er tut, was er kann.

Entscheidung

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Entscheidung

Ob es nicht an der Zeit wäre, fragte der Ausguck, wieder auf Walfang zu gehen.

Die anderen nickten.

Höchste Zeit, bekräftigte London.

Wie lange hatten sie ausgesetzt, überlegte Harmat, sechs Tage?

Die Tage würden ihm lang, die Untätigkeit setze ihm zu, erklärte Bildoon.

Ob die Blessuren vom ersten Fangtag denn ausgeheilt seien, fragte Pirelli.

Alles kuriert bis auf Eldins Schulter, sagte Crockeye.

Eldin schwieg.

Hochgeschwindigkeit

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Hochleistung

Das ist es, sagte Tilman, streckte die Beine lang und saß in diesem Sessel dennoch unbequem, er mußte sich in den nächsten Tagen nach einer verträglichen Sitzgelegenheit umtun, höchste Eisenbahn, weshalb findet sich für die einfachen Dinge stets so mühsam eine Lösung, er rückte ein Stück näher an den Couchtisch.

Farb tat sich einen Löffel Schlagsahne auf.

Annika warf einen Blick nach dem Gohliser Schlößchen.

Zeit, daß wir umdenken, sagte Tilman.

Annika gähnte und wandte sich ihrer Zeitschrift zu.

Wir sind eine Hochleistungsgesellschaft, stimmt's?

Das ist nichts Neues, Tilman.

Höchstleistung in allen Bereichen.

Du sagst es.

Melancholischer Pessimist mit Humor

Menschen | 100. Geburtstag von Wolfgang Hildesheimer Vor 100 Jahren (am 9. Dezember) wurde der Georg-Büchner-Preisträger Wolfgang Hildesheimer geboren. Von PETER MOHR

Von Rügen nach Rom

Kurzprosa | Hartmut Lange: An der Prorer Wiek und anderswo »In der Unheimlichkeit steht das Dasein ursprünglich mit sich selbst zusammen.« Dieser Heidegger-Satz, den Hartmut Lange 1994 seinen Erzählungen ›Schnitzlers Würgeengel‹ vorangestellt hatte, könnte auch als Leitmotiv für den neuen, zehn Novellen umfassenden Band des Berliner Autors fungieren. Von PETER MOHR