Guerilla-Häkeln

Jugendbuch | Anne Becker: Luftmaschentage

Matea ist unglaublich schüchtern und kann nur mit wenigen Personen reden: in der Familie, bei der alten Frau Loose, bei ihrer Freundin Charlotte. Und dann freundet sie sich ausgerechnet mit Riccarda, der Neuen in ihrer Klasse an, die eine ausgesprochen große Klappe hat. Das ist der Beginn einer Freundschaft mit Hindernissen, die ANDREA WANNER einfach großartig findet.

Zwei Personen sitzen in der Krone eines Baums, dessen Stamm mit bunten Wollfäden umwickelt ist.Matea hat ein eher ungewöhnliches Hobby: Sie häkelt. Das hat ihr Frau Loose beigebracht, die vor kurzen gestorben ist. Matea häkelt weder Topflappen noch Schals, sondern Stücke aus der bunten Wolle, die Frau Loose ihr geschenkt hat, mit denen sie den öffentlichen Raum verschönert. So erwischt sie auch Riccarda: Matea sitzt auf einem Baum vor der Kirche, dem sie in der grauen Jahreszeit ein fröhliches Outfit verpasst. Gehäkelte Streetart, die nicht direkt erlaubt, aber in vielen Städten geduldet wird. Trotzdem ist die Situation brenzlig: der Küster droht, sie zu erwischen. Und Mateas Mutter ist ausgerechnet die Pfarrerin. Riccarda rettet sie aus dieser Situation und schon bald werden die beiden zu Mats und Ricci, ein ebenso ungleiches wie starkes Team.

Mit Ricci kann Mats reden, Madame Schüchtern, wie sie sich die Krake mit »dickem, plumpen, schwabbeligen Leib« vorstellt, die in ihrem Bauch wohnt und sie am Sprechen hindert, verzieht sich in Riccis Gegenwart. Ricci lernt häkeln, gemeinsam arbeiten sie an einem genialen Projekt. Und trotzdem ist die Verbindung keine ungetrübte: Ricci hat Geheimnisse, über die sie nur in Andeutungen spricht. Und irgendwann eskaliert die Situation.

Mit ungeheurem Einfühlungsvermögen erzählt Anne Becker von den beiden Mädchen in zwei Erzählsträngen: Er eine erzählt von der gemeinsamen Zeit, im Wechsel mit dem zweiten, der Mateas Sprachnachrichten ab dem 1. Tag ohne ihre Freundin erzählt. So erfährt man schon bald, dass Ricci verschwindet. Wohin ist nicht nur für Mats ein Rätsel. Dazwischen geht es um Ängste und Mobbing, soziale Unterschiede, Vertrauen und Familie: ein Bündel an Problemen, die die Mädchen unterschiedlich betreffen und durch ihr Zusammentreffen auch für die jeweils andere relevant werden lassen.

Becker wurde 2020 mit ihrem Debütroman ›Die beste Bahn meines Lebens‹ für den Deutschen Kinder- und Jugendbuchpreis nominiert. So wie die Story von Jan und Flo etwas wirklich Besonderes war, ist auch die von Mats und Ricci einfach unvergesslich.

| ANDREA WANNER

Titelangaben
Anne Becker: Luftmaschentage
Weinheim: Beltz & Gelberg
174 Seiten, 13 Euro
Jugendbuch ab 12 Jahren
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