Zum siebten Mal seit 2011 lässt Martin Suter in Allmen und Herr Weynfeldt seinen kultivierten Kunstdetektiv Johann Friedrich von Allmen nach verschwundenen Werken suchen. Diesmal ist es ein umstrittener Picasso, der über Nacht aus dem Besitz des renommierten Kenners Adrian Weynfeldt verschwunden ist. Und ob das Bild mit dem schönen Titel Baigneuses au ballon 4 nun ein echter Picasso ist oder nicht – irgendjemand scheint zu glauben, damit das große Geschäft machen zu können. Von DIETMAR JACOBSEN
Die Experten sind sich keineswegs einig, ob es sich bei Baigneuses au ballon 4 tatsächlich um einen echten Picasso handelt. Im Gegensatz zu den drei Bildern mit dem gleichen Sujet – drei ballspielende abstrahierte Badenixen – taucht es nämlich in keinem Verzeichnis der Werke des Meisters auf.
Doch der Zürcher Kunstsachverständige Adrian Weynfeldt – emsige Suter-Leser kennen den Mann natürlich bereits aus dem 2008 erschienenen Roman Der letzte Weynfeldt – ist sich sicher: Er hat zu einem ausgesprochen günstigen Preis erworben, was vorher auf zwei Auktionen wegen seines dubiosen Rufs von den Sammlern verschmäht wurde – ein Werk, von dem der Künstler wollte, dass es nicht der Öffentlichkeit, sondern allein einer seiner Geliebten gehörte. Und deshalb stellen die badenden Frauen letzten Endes nicht nur Kunst, sondern auch eine Kuriosität mit einer wunderbar zu erzählenden Anekdote im Hintergrund dar.
Drei ballspielende Badenixen
Kein Wunder also, dass die Aufregung groß ist, als Adrian Weynfeldt eines Abends an jener Wand seiner luxuriösen Wohnung, wo eigentlich der Picasso hängen sollte, eine leere Stelle entdeckt. Er ist gerade dabei, einem Mann, den er eben erst in einer Bar kennengelernt hat, und bei dem es sich um den Kunstdetektiv Johann Friedrich von Allmen handelt, seine Sammlung zu zeigen, als er das Fehlen des kleinen Meisterwerks bemerkt. Und schon hat der periodisch klamme Züricher Lebemann Allmen einen neuen lukrativen Fall an Land gezogen und muss nicht mehr Tag für Tag den Geruch guatemaltekischer »Frijoles« ertragen, jener schwarzen Bohnen, die man in der ehemaligen Heimat seines Dieners und Faktotums Carlos isst, wenn die Kasse leer ist.
Aber einer wie von Allmen bietet die Dienste seiner kleinen Firma Allmen International Inquiries natürlich nicht plump an, sondern wartet, bis man ihn um Hilfe bittet. Und wenn dann noch ein Scheck mit einer ansehnlichen Summe als Vorschuss ins Haus flattert, ist fast wieder alles beim Alten. Nur dass sich das Interesse des Kunstdetektivs sofort auf jene Männer und Frauen konzentriert, die Adrian Weynfeldts engsten Freundeskreis ausmachen, will dem Bestohlenen anfangs nicht so recht gefallen. Denn sollte man tatsächlich just jenen Menschen mit Misstrauen begegnen, die einem über viele Jahre ans Herz gewachsen sind? Aber da sie alle zum Zeitpunkt des Diebstahls bei einer kleinen Festivität in Weynfeldts Haus versammelt waren, muss man wohl tatsächlich bei ihnen beginnen.
Die üblichen Verdächtigen
Und so sehen sich der Filmregisseur, der Architekt, der Anwalt, der Webdesigner, die Kunstbuchhändlerin, der Maler und die Eisenplastikerin plötzlich allesamt in der unangenehmen Situation, des Diebstahls verdächtigt und dementsprechend durchleuchtet zu werden. Als eine Person aus diesem lukrativen Kreis dann sogar noch unter mysteriösen Umständen zu Tode kommt, ahnt Allmen, dass seine Ermittlungen den Täter endgültig nervös gemacht haben.
Auch der siebente Roman um Martin Suters Bonvivant, den sein Erfinder mit ein paar Zügen von sich selbst versehen in die Welt der Literatur hinausgeschickt hat, bietet nichts, was Leserinnen und Lesern mit schwachen Nerven schaden könnte. Nein, es geht ruhig und gepflegt zu, wenn Johann Friedrich von Almen die Szene betritt. Da, wo eine gute Flasche Wein schon einmal knapp tausend Franken kosten kann, Anzüge mit achtzig Prozent Acrylanteil ein dezentes Kopfschütteln unter den Betuchten hervorrufen und man zum Schneider nach Rom und zum Schuhkauf nach London fliegt, ist Eile nicht geboten. Genauso wenig wie barsche Töne oder gar Handgreiflichkeiten. Nein, hier regelt sich alles irgendwann, irgendwie und ganz ohne großes Theater. Und selbst wenn der Roman Carlos‘ kolumbianische Lebensgefährtin María Moreno wieder einmal auf eine Undercover-Mission schickt, so hat der Körpereinsatz, der ihr dabei abverlangt wird, keinerlei gefährliche Folgen.
Der Beginn einer wunderbaren Freundschaft?
Genießen dürfen Suters Leserinnen und Leser deshalb weniger den Spannungspegel, mit dem der Autor seine kleine Geschichte versehen hat, sondern mehr die Art und Weise, mit der sie vorgetragen wird: so lässig wie souverän, so sprachlich elegant wie stilistisch nuanciert. Und als kleines, allein für Suters große Leserschaft entscheidendes Surplus lässt der Schweizer Autor in Allmen und Herr Weynfeldt auch noch die bis dato getrennt gehaltenen literarischen Sphären von zwei seiner interessantesten Figuren miteinander kollidieren. Was das für Allmens und Weynfeldts Zukunft bedeuten könnte, wollen wir uns an dieser Stelle gar nicht ausmalen. Am Ende jedenfalls ist der Picasso wieder da. Aber wer hätte auch etwas anderes vermutet?
Titelangaben
Martin Suter: Allmen und Herr Weynfeldt
Zürich: Diogenes Verlag 2024
217 Seiten. 26 Euro
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