Der Drucker als einziger Freund

Roman | Fien Veldman: Xerox

Der Romanerstling der jungen niederländischen Autorin Fien Veldman ist gleich ein großer literarischer Wurf. Mit geradezu sezierendem Blick und anspruchsvoller Komposition betritt die 34-Jährige mutig und voller Elan die literarische Bühne. In ihrem schmalen Roman thematisiert sie viele zeitgenössische, gesellschaftlich relevante Sujets. Es geht in Xerox um die Vereinsamung der Individuen, um Veränderungen in der Arbeitswelt und um die Reduzierung der verbalen Kommunikation und der sozialen Interaktion auf ein Minimum. Von PETER MOHR

Im Mittelpunkt des Romandebüts der in Leeuwarden geborenen Schriftstellerin, die bisher vor allem als Journalistin und Theaterkritikerin arbeitete, steht eine namenlose, aus einfachen Verhältnissen stammende junge Frau aus der Provinz.

Der Einstieg wirkt eher irritierend, aber eine absurde Note zieht sich wie ein roter Faden durch den Roman. Es beginnt mit einer Paketsendung, die offensichtlich an eine falsche Adresse geschickt wurde. Die Protagonistin macht sich auf den Weg, um das Paket abzuholen. Sie kennt weder den Inhalt noch weiß sie, wer der Absender ist.

Die junge Frau arbeitet in einem Amsterdamer Start-up und bedient dort den Drucker, der pausenlos E-Mails »ausspuckt«. Kontakt zu anderen Mitarbeitern hat sie nur sporadisch, sie lebt zurückgezogen – in einer Mischung aus Frustration und Gleichgültigkeit. Trotz ihres Studiums hat die moderne Ellenbogengesellschaft ihr »nur« den Job am Büro-Drucker zugewiesen. Eine Tätigkeit, die sie glücklich-unglücklich macht. Sie ist zwar einsam, wird aber auch nicht permanent gegängelt und kontrolliert.

Die junge Frau redet laut mit dem Drucker, offenbart ihm ihre trostlose Vergangenheit in der Provinz und ihren latenten Wunsch nach sozialem Aufstieg. Diese Passagen heben sich schon optisch durch das kursive Schriftbild ab, wirken zugleich tragisch und komisch. Dahinter verbirgt sich die Enttäuschung, nach dem Studium keinen adäquaten Job gefunden zu haben.

Die Kolleginnen und Kollegen haben keine Namen, sondern werden nach ihrer Funktion (»Chef«, »Projekt« oder »PR«) benannt. Austauschbar wie programmierbare Maschinen und total entmenschlicht.

Die Erzählerin lässt uns (abseits ihres Arbeitsplatzes) auf ihrem Weg durch die Straßen Amsterdams an ihren Beobachtungen der »Vermüllung« als Auswuchs der Wegwerfgesellschaft teilhaben. Die Metropole droht im Müll umzukommen. Autorin Fien Veldman erzählt durchgehend im Präsens und holt den Leser dadurch ganz nah an die Geschehnisse heran. Ihre Sprache ist schnörkellos, wirkt bisweilen sogar so kalt und abweisend wie der Alltag der Protagonistin.

In Xerox erleben wir ein Höchstmaß an Entfremdung und Frustration. Die dargestellte Leere im Arbeitsalltag mündet in der absurd wirkenden Ersatzbefriedigung menschlicher Bedürfnisse durch den Drucker. Er hört zu und widerspricht nicht. Und wieder wirkt es tragisch und komisch gleichzeitig.

Den Namen Fien Veldman werden wir uns merken müssen. Eine junge Frau mit wachem Blick, eine neue unverbrauchte Stimme in der Gegenwartsliteratur. Mit ihrem Romandebüt Xerox hat sie die Messlatte für Nachfolgewerke sehr hochgelegt. Man darf gespannt sein, ob sie dieses Niveau halten kann.

| PETER MOHR

Titelangaben
Fien Veldman: Xerox
Aus dem Niederländischen von Christina Brunnenkamp
München: Hanser 2024
223 Seiten. 23 Euro
| Erwerben Sie diesen Band portofrei bei Osiander

Reinschauen| Leseprobe

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Unheimliches

Nächster Artikel

Eine geheimnisvolle Kiste

Weitere Artikel der Kategorie »Roman«

Mord im verschlossenen Raum

Roman | Adrian McKinty: Rain Dogs Buch für Buch treibt Adrian McKinty seine Sean-Duffy-Reihe voran. ›Rain Dogs‹ ist bereits der fünfte Roman um den Mann, der aufgrund seiner katholischen Konfession als Bulle nicht so recht passen will in das Nordirland der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts. Von DIETMAR JACOBSEN

Erst einen auf dicken Max machen

Roman | Frédéric Beigbeder: Der Mann, der vor Lachen weinte

Octave Parango ist ein Mann, der in der Mitte des Lebens steht – Midlifekrise, Potenzstörung, Fragen nach dem Sinn. Letztere lösen eine existenzielle Krise für den Helden aus. Und gerade deswegen spielt er noch einmal eine ganze lange letzte Nacht hindurch auf der Klaviatur des Lebens. Warum aber schlussendlich selbst Präsident Macron eine Rolle in dieser Pariser »Féte« übernehmen muss, wird nicht verraten. Frédéric Beigbeders neuer Roman Der Mann, der vor Lachen weinte mag für unruhige Nächte als Bettlektüre empfohlen sein – nicht ohne »Aufreger-Garantie« – meint HUBERT HOLZMANN.

Der Tod spielt Trompete

Roman | Hans Joachim Schädlich: Felix und Felka »Inmitten der zusammengestürzten Welt – menschliche Skelette mit Musikinstrumenten. Der Tod spielt Trompete. Felix erwacht. Er schwitzt. Er zittert.« Sätze, die wie Nadelstiche unter die Haut gehen und beinahe ähnliche Schmerzen bei der Lektüre von Hans-Joachim Schädlichs neuem Roman Felix und Felka bereiten. Der inzwischen 82-Jährige, der oft (und nicht zu Unrecht) als Meister der sprachlichen Reduktion gefeiert wurde, hat wieder einmal unter Beweis gestellt, dass er mit knappen, schlanken Sätzen auf wenigen Seiten mehr auszudrücken versteht, als in vielen opulenten Romanwälzern steckt. Von PETER MOHR

Generationenkonflikt

Jugendbuch | Sarah N. Harvey: Arthur oder Wie ich lernte den T-Bird zu fahren Der siebzehnjährige Royce hat eine besondere Aufgabe übernommen: Gegen Bezahlung soll er sich um seinen Großvater kümmern. Aber Arthur ist ebenso exzentrisch wie unausstehlich. ANDREA WANNER beobachtete eine zaghafte Annäherung zwischen den beiden.

Wenn die Socken sprechen

Roman | Gerda Blees: Wir sind das Licht

Eine Frau verhungert, und drei ihr nahestehende Personen schauen ihr dabei zu. Das ist der beklemmende Handlungsrahmen des Romans Wir sind das Licht aus der Feder der 37-jährigen niederländischen Schriftstellerin Gerda Blees. Bisher waren lediglich eine Sammlung von Kurzgeschichten und ein schmaler Lyrikband aus der Feder der in Haarlem lebenden Autorin erschienen. Von PETER MOHR